Heitere Geschichten aus dem Orient:
Zeit Sultan Abdul 'Hamids üppiger
Kalifenpracht, leuchtete in Tanlidja, am
asiatischen Ufer, weithin der Sitz Mahmut
Paschas, des Vezieres. Der Palast erhob
sich weiß und verlockend inmitten eines
zauberischen, zwischen Wasser und Hohe
hingebreiteten Gartens.
Als Mahmut Pascha starb, wurde der
Landsitz zwischen seinem einzigen Sohne
lind seiner Tochter Aische, der Gattin Ali
Paschas solchermaßen . geteilt, daß das
Männerhaus an den Sohn, der Haremlik
der Tochter zufiel. Jedes dieser beiden Ge-
bäude umfaßte mehr als zwei Dutzend
Lupusgemacher, von den vielen andern
Gelassen ganz zu schweigen, und jede Gar-
tenhalste war noch immer ein Park, in dem
man sich eine Stunde lang ergehen konnte,
ohne zweimal denselben Pfad zu betreten.
Mahmut Paschas Sohn lebte dazumal
als Statthalter in Reinen. Dort verstarb
er kinderlos vier Jahre nach dem Vater.
So also kam auch das seit Jahren un-
bewohnte Mannerhaus samt seiner Park-
hälfte an Aische und Ali; die neuererbte
Landsitzhälfte sollte vermietet werden.
Zu jenen Zeiten stand ein kluger, ehren-
hafter Deutscher dem kaiserlichen Hofe
ziemlich nahe. Er hatte eine schöne Frau
und eine hübsche und fröhliche Tochter, die
sich wie in einem Netze Hals über Kopf in
der Poesie orientalischen Lebens verfingen.
Als sie erfuhren, daß der Feenpalast des
alten Mahmut zu vermieten sei, bedräng-
ten sie Gatten und Vater, bis er sich wir-
lich entschloß, dorthin zu übersiedeln.
Am Tage nach der Unterzeichnung des
Mietvertrages fuhr die ganze Familie
nach Tanlidja um Haus und park zu be-
sichtigen. wer das Glück hat Tanlidja zu
kennen, wird sich über ihr Entzücken nicht
wundern. Der Ausblick vom Hause war
unschilderbar herrlich: vom europäischen
Ufer leuchteten zwischen dunklen Zypressen
die Marmorpalaste Therapias und Bojük-
deree herüber, der Bosporus funkelte und
gleiße im strahlenden Blau seiner gesegne-
ten wogen, golden spiegelte funkelndstes
Sonnenlicht über die reizende, die könig-
lich anmutige Landschaft. Nirgends sonst
auf Erden vermittelt die prunkendem Men-
schenwerk vermahlte Natur so beseligendes
Glück.
Die Mutter, ebenso lässig wie schön,
wandte sich an ihre Tochter: „Richte das
Haus ein", gebot sie, „du verstehst solche
Arbeit besser als ich."
Vor ihrer Rückkehr nach Stambul er-
ledigten Mutter und Tochter auch ihre
Antrittsvisite bei der vornehmen Vermie-
terin und erkannten in ihr erfreut eine
jener Frauen alttürkischer Art, deren Höf-
lichkeit und Güte, mit bestrickender Anmut
gepaart, sie unbeschreiblich bezauberte.
Frau Aische ihrerseits fand Gefallen an
ihren Besucherinnen. Die Kinderlose fühlte
sich besonders zu Lhristel hingezogen, der
hübschen und fröhlichen Tochter, die so
freundlich türkisch zwitscherte. „Komme zu
mir, liebes Kind", sagte sie, „so oft es dich
freut."
Anderen Morgens besah auch der Gatte
und Vater den Konak. Auch er war
befriedigt; weil er aber Konstantinopel
nur allzu gut kannte, dampfte vernünftige
Überlegung seine Ekstase. „Gewiß, das sind
prächtige Räume, — himmlische Räume
sind es dennoch nicht ganz", sagte er. „Die
Bretterdielen der Säle erregen mein Miß-
trauen, noch mehr die kostbaren Matten,
die sie überall überdecken. Ich wette, dort
haust allerlei Unliebsames. Ich rate dir
gut, meine Tochter, ehe du diese Diele mit
unseren Teppichen belegst, nimm morgen
Musto, Schahin, Mehmet, ümer und Isa,
laß sie nicht nur scheuern, sondern spritze
Lysol."
Die Tochter beorderte Musto, Schahin,
Mehmet, Ümer und Isa, nahm eine
riesige Spritze, kaufte zehn Liter Lysol
und fuhr nach Tanlidja. Mit den zehn
Litern Lysol wurde die riesige Halle, wur-
den die zwei Dutzend Staatsgelasse und die
zwanzig Kammern derart bespritzt, daß
nicht mehr der Dust der zehntausend Rosen
aus dem Garten ins Haus strömte, sondern
mörderischer Lysolgestank vom Haus in
den park. Am Nachmittag war das Werk
beendet: „eins ist gewiß", dachte das Mäd-
chen, „für eine Woche vermag hier weder
Mensch noch Tier Atem zu holen, ohne
daran zu ersticken; wir müssen den Einzug
verschieben."
Sie fühlte sich nach dem langen Kom-
mando totmüde, verspürte Lust nach einem
türkischen Kaffee und Sehnsucht nach Frau
Aisches mütterlicher Güte; sie schickte ihr
männliches Expeditionskorps nach Stam-
bul zurück, durchschritt selbst aber die enge
Pforte in der weißen Trennungsmauer,
die zu Ali Paschas Reich führte.
Eine verstörte Dienerin empfing sie an
der Haremspforte: „Allah segne deinen Ein-
zug", sagte sie zwar und ließ das Mädchen
zögernd an sich vorüber, ins Gartengeschoß,
kopfschüttelnd und murmelnd fügte sie
jedoch bei, was die deutsche Thristel nicht
ganz verstand, es klang nach „schrecklichem
Überfall", nach „Schande"! und „Unheil"!
Gräßliches befürchtend wandte sich darum
das Mädchen nach Frau Aisches großem
Empfangssaal; ehe sie die Hausfrau zu
begrüßen vermochte, blieb sie wie an-
genagelt unter der Türe.
Auf dem großen Diwan ihr gegenüber
nämlich saßen Hausherr und Hausfrau
Seite an Seite auf eine weise, die sie nie-
mals wieder vergaß. Sie saßen dort laut-
los und mit entsetzten, verzerrten Gesich-
tern. Lei Gott, — Frau Aische, die Form-
vollendete, hatte den Hanumsrock hoch-
geschlagen, Ali Pascha aber seine europäi-
schen Hosen ausgekrempelt bis übers Knie.
Beider Füße staken in einem Becken mit
Wasser, Noch zehn Jahre später scheuch-
ten Christel mitunter Ali Paschas hagere,
dunkelbeharrte Beine des Nachts plötzlich
vor ihr ausragend, aus seligen Träumen.
Kaum ward Frau Aische ihrer Besucherin
ansichtig, hob sie die Hände gerungen zum
Himmel; „Allah — am man — pirre!"
(Gott Erbarmen — Flöhe!) drang ihr ein
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Zeit Sultan Abdul 'Hamids üppiger
Kalifenpracht, leuchtete in Tanlidja, am
asiatischen Ufer, weithin der Sitz Mahmut
Paschas, des Vezieres. Der Palast erhob
sich weiß und verlockend inmitten eines
zauberischen, zwischen Wasser und Hohe
hingebreiteten Gartens.
Als Mahmut Pascha starb, wurde der
Landsitz zwischen seinem einzigen Sohne
lind seiner Tochter Aische, der Gattin Ali
Paschas solchermaßen . geteilt, daß das
Männerhaus an den Sohn, der Haremlik
der Tochter zufiel. Jedes dieser beiden Ge-
bäude umfaßte mehr als zwei Dutzend
Lupusgemacher, von den vielen andern
Gelassen ganz zu schweigen, und jede Gar-
tenhalste war noch immer ein Park, in dem
man sich eine Stunde lang ergehen konnte,
ohne zweimal denselben Pfad zu betreten.
Mahmut Paschas Sohn lebte dazumal
als Statthalter in Reinen. Dort verstarb
er kinderlos vier Jahre nach dem Vater.
So also kam auch das seit Jahren un-
bewohnte Mannerhaus samt seiner Park-
hälfte an Aische und Ali; die neuererbte
Landsitzhälfte sollte vermietet werden.
Zu jenen Zeiten stand ein kluger, ehren-
hafter Deutscher dem kaiserlichen Hofe
ziemlich nahe. Er hatte eine schöne Frau
und eine hübsche und fröhliche Tochter, die
sich wie in einem Netze Hals über Kopf in
der Poesie orientalischen Lebens verfingen.
Als sie erfuhren, daß der Feenpalast des
alten Mahmut zu vermieten sei, bedräng-
ten sie Gatten und Vater, bis er sich wir-
lich entschloß, dorthin zu übersiedeln.
Am Tage nach der Unterzeichnung des
Mietvertrages fuhr die ganze Familie
nach Tanlidja um Haus und park zu be-
sichtigen. wer das Glück hat Tanlidja zu
kennen, wird sich über ihr Entzücken nicht
wundern. Der Ausblick vom Hause war
unschilderbar herrlich: vom europäischen
Ufer leuchteten zwischen dunklen Zypressen
die Marmorpalaste Therapias und Bojük-
deree herüber, der Bosporus funkelte und
gleiße im strahlenden Blau seiner gesegne-
ten wogen, golden spiegelte funkelndstes
Sonnenlicht über die reizende, die könig-
lich anmutige Landschaft. Nirgends sonst
auf Erden vermittelt die prunkendem Men-
schenwerk vermahlte Natur so beseligendes
Glück.
Die Mutter, ebenso lässig wie schön,
wandte sich an ihre Tochter: „Richte das
Haus ein", gebot sie, „du verstehst solche
Arbeit besser als ich."
Vor ihrer Rückkehr nach Stambul er-
ledigten Mutter und Tochter auch ihre
Antrittsvisite bei der vornehmen Vermie-
terin und erkannten in ihr erfreut eine
jener Frauen alttürkischer Art, deren Höf-
lichkeit und Güte, mit bestrickender Anmut
gepaart, sie unbeschreiblich bezauberte.
Frau Aische ihrerseits fand Gefallen an
ihren Besucherinnen. Die Kinderlose fühlte
sich besonders zu Lhristel hingezogen, der
hübschen und fröhlichen Tochter, die so
freundlich türkisch zwitscherte. „Komme zu
mir, liebes Kind", sagte sie, „so oft es dich
freut."
Anderen Morgens besah auch der Gatte
und Vater den Konak. Auch er war
befriedigt; weil er aber Konstantinopel
nur allzu gut kannte, dampfte vernünftige
Überlegung seine Ekstase. „Gewiß, das sind
prächtige Räume, — himmlische Räume
sind es dennoch nicht ganz", sagte er. „Die
Bretterdielen der Säle erregen mein Miß-
trauen, noch mehr die kostbaren Matten,
die sie überall überdecken. Ich wette, dort
haust allerlei Unliebsames. Ich rate dir
gut, meine Tochter, ehe du diese Diele mit
unseren Teppichen belegst, nimm morgen
Musto, Schahin, Mehmet, ümer und Isa,
laß sie nicht nur scheuern, sondern spritze
Lysol."
Die Tochter beorderte Musto, Schahin,
Mehmet, Ümer und Isa, nahm eine
riesige Spritze, kaufte zehn Liter Lysol
und fuhr nach Tanlidja. Mit den zehn
Litern Lysol wurde die riesige Halle, wur-
den die zwei Dutzend Staatsgelasse und die
zwanzig Kammern derart bespritzt, daß
nicht mehr der Dust der zehntausend Rosen
aus dem Garten ins Haus strömte, sondern
mörderischer Lysolgestank vom Haus in
den park. Am Nachmittag war das Werk
beendet: „eins ist gewiß", dachte das Mäd-
chen, „für eine Woche vermag hier weder
Mensch noch Tier Atem zu holen, ohne
daran zu ersticken; wir müssen den Einzug
verschieben."
Sie fühlte sich nach dem langen Kom-
mando totmüde, verspürte Lust nach einem
türkischen Kaffee und Sehnsucht nach Frau
Aisches mütterlicher Güte; sie schickte ihr
männliches Expeditionskorps nach Stam-
bul zurück, durchschritt selbst aber die enge
Pforte in der weißen Trennungsmauer,
die zu Ali Paschas Reich führte.
Eine verstörte Dienerin empfing sie an
der Haremspforte: „Allah segne deinen Ein-
zug", sagte sie zwar und ließ das Mädchen
zögernd an sich vorüber, ins Gartengeschoß,
kopfschüttelnd und murmelnd fügte sie
jedoch bei, was die deutsche Thristel nicht
ganz verstand, es klang nach „schrecklichem
Überfall", nach „Schande"! und „Unheil"!
Gräßliches befürchtend wandte sich darum
das Mädchen nach Frau Aisches großem
Empfangssaal; ehe sie die Hausfrau zu
begrüßen vermochte, blieb sie wie an-
genagelt unter der Türe.
Auf dem großen Diwan ihr gegenüber
nämlich saßen Hausherr und Hausfrau
Seite an Seite auf eine weise, die sie nie-
mals wieder vergaß. Sie saßen dort laut-
los und mit entsetzten, verzerrten Gesich-
tern. Lei Gott, — Frau Aische, die Form-
vollendete, hatte den Hanumsrock hoch-
geschlagen, Ali Pascha aber seine europäi-
schen Hosen ausgekrempelt bis übers Knie.
Beider Füße staken in einem Becken mit
Wasser, Noch zehn Jahre später scheuch-
ten Christel mitunter Ali Paschas hagere,
dunkelbeharrte Beine des Nachts plötzlich
vor ihr ausragend, aus seligen Träumen.
Kaum ward Frau Aische ihrer Besucherin
ansichtig, hob sie die Hände gerungen zum
Himmel; „Allah — am man — pirre!"
(Gott Erbarmen — Flöhe!) drang ihr ein
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