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Peter in der Silvesternacht in einem Haus
in Schwabing vier Treppen hoch geklet-
tert. Rurz zuvor hatte er die Tänzerin,
nachdem sie lange für ihn verschollen war,
zufällig auf der Straße getroffen. Er war
erschrocken über ihr schmal gewordenes
Gesicht, ihr verstörtes Aussehen.

„Rrank, mein Freund, man hat mir das
Tanzen verboten. Mein Verlobter ist fort,
natürlich, wer will mit einer kranken Per-
son zu tun haben. Aber ich will nicht ver-
zichten und klein beigeben, leben will ich,
hörst du, leben!" Ihre bebenden Finger
hatten seinen Arm umklammert. „Ich bin
so froh,, dich getroffen zu haben, Peter, du
bist anders als sie alle, du wirst mich ver-
stehen und nicht allein lassen."

Er hatte sie zu trösten und aufzuheitern
versucht. Am nächsten Abend war er mit
ihr ins Theater gegangen, um sie auf an-
dere Gedanken zu bringen. Doch die Zeit
war ungünstig, es ging auf Weihnachten,
er mußte sich seiner Familie widmen. Als
Frau und Tochter sich unterm Lichterbaum
über ihre Geschenke beugten, da wanderten
Peters Gedanken zu Mariposa, die jetzt
vielleicht einsam und traurig in ihrem
Stübchen saß und sich sehnte.

Am Silvestermorgen hatte das Telephon
geklingelt. „Du mußt heute abend zu mir
kommen, bitte, mache es möglich, ich kann
nicht langer allein sein, niemand sonst
kümmert sich um mich. Du kommst, nicht
wahr? Ich warte, die ganze Nacht warte
ich auf dich."

Familie Reimann war zu einer Silvester-
feier bei Bekannten eingeladen. Peter ließ
sich entschuldigen, schickte Frau und Toch-
ter allein hin. Niemand würde ihn allzu
sehr vermissen. Mariposa aber — was
machte sie eigentlich, wovon lebte sie, wenn
sie nicht mehr tanzen konnte, hatte sie
wirklich-keinen einzigen Menschen, der für
sie sorgten

Als er bei der Tänzerin eintrat, fand er
sie in ihrem Leopardenmantel, die bloßen
Füße in roten Lederschuhen, kniend vor
dem eisernen Ofen. Sie fror. Dicke Scheite
warf sie in die Glut. Man sah die feinen

Eisig weht der Wind und pfeift.
Klirrend knirscht der Schnee.

Baum und Busch sind rauhbereift.
Tief verschneit der See.

Und doch rauscht im Tiefsten heiß
Freudig mir das Blut.

Ganz von Herzen ist — ich weiß —
Eine Frau mir gut.

Leise fällt die Dämm rung ein. —
Kräftig greif ich aus.

Fern blinkt auf ein warmer Schein —
Herd und Heim und Haus.

Hanns Edelmann

blauen Adern durch die zarte Haut ihrer
Rnöchel schimmern. Peter half Tee berei-
ten. Dann saßen sie zusammen auf dem
kleinen Sofa. „Lösch das Licht", bat sie.
Nur vom Ofen kam ein rötliches Flackern.
Nach einer weile ging Peter hin und
warf neue Scheite hinein. Als er sich um-
wandte, stand sie vor ihm wie ein Denk-
mal aus blassem Marmor. Der Mantel
war zu Boden geglitten, wie ein schmei-
chelndes Tier legte er sich um ihre Füße.
Sie lehnte den Ropf weit in den Nacken
zurück, breitete die Arme, als wolle sie
empor fliegen. „Peter!" hörte er sich an-
gerufen, da war er schon bei ihr, vernahm
den leise stöhnenden Atem, das wilde
pochen ihres ungestümen Herzens. Mußte
sie nicht zerbrechen in seinen starken
Armen, hinschmelzen in ihrer jah erwach-
ten Gluty Dicht sah er ihr sehnsüchtiges
Gesicht vor dem seinen und — schob den
'Relch zur Seite, der so verführerisch sich
ihm darbot. Er küßte, streichelte, tröstete
sie wie ein Rind, legte den pelz um ihre
fröstelnde Schulter. Nie mehr kann er das
schmerzliche Lächeln vergessen, mit dem sie
alles geschehen ließ.

Sie gingen an diesem Abend noch unter
Menschen. Mariposa sollte Musik hören,
die besten Leckerbissen mußte sie sich aus-
suchen. Einmal tanzten sie sogar zusam-
men, einen ganz langsamen Walzer. Allein
sie hing ihm plötzlich so müde und kraft-
los im Arm, daß er sie erschrocken aus
ihren Platz zurücksührte und bald wieder

„Hab ich im Keuen Jahr wieder so wenig anzuziehenV‘


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Register
Hanns Edelmann: Winterfahrt
Signatur nicht identifiziert: Zeichnung ohne Titel
 
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