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Die Couch

Von Ell wendt

O angst du schon wieder damit an, und
auch noch ausgerechnet beim Frühstück",
sagt Robert unwillig und verschanzt sich
hinter die Zeitung.

Erika schweigt schuldbewußt, sie ist lange
genug verheiratet, um zu wissen, daß
Robert beim Frühstück nicht gestört sein
will. Doch dann gibt sie sich einen ent-
schlossenen Ruck. „Ich muß mich doch
beute entscheiden", sagt sie vorwurfsvoll.

„wieso entscheiden;" klingt es hinter der
Zeitung hervor, „da ist nichts mehr zu
entscheiden. In meine Wohnung kommt
keine Couch."

„Deine Wohnung", sagt Erika erbittert,
„schließlich ist es auch meine Wohnung."

„Schön, also unsere Wohnung." Robert
faltet die Zeitung geräuschvoll zusammen.

Erika, verzweifelt: „warum willst du
nur durchaus keine Couchs Bedenke doch,
wie schön du dein Mittagsschläfchen darauf
halten könntest", fügt sie lockend hinzu.

„Mein Mittagsschläfchen kann ich auch
auf einem vernünftigen Sofa halten", sagt
Robert ungerührt.

„Aber eine Couch ist doch viel bequemer",
wendet Erika ein.

„Bequem", höhnt Robert, „ein Möbel,
aus dem man nicht einmal ordentlich sitzen
kann. Oder hast du schon einmal bequem
aus einer Couch gesessene

„weil du klein und dick bist", sagt Erika
rachsüchtig und berührt damit einen wun-
den Punkt in Roberts Seele, der in Bezug
auf sein Äußeres höchstens das Wort voll-
schlank gelten läßt.

„Daß Frauen immer alles haben müssen,
nur weil es Mode ist," ereiferte sich Robert,
„die Couch grassiert ja geradezu seit ein
paar Iahren. Reine Wohnung ohne
Couch! Aber in meine Wohnung kommt
keine Couch, und damit basta!"

„Du vergißt schon wieder, daß es sich
auch um meine Wohnung handelt," sagt
Erika hoheitsvoll, „das ist also dein letztes
Wort in der Sachen"

,/Ia", antwortete Robert mit eherner
Stirn, „auf Wiedersehen." Und er ver-
schwindet ohne Abschiedskuß.

Erika sitzt noch eineweile am Frühstücks-
tisch, Zorn und Aufruhr im Kerzen. Doch
dann geht sie mit einem plötzlichen Ent-
schluß ans Telephon. Ich werde ihn vor
eine vollendete Tatsache stellen, denkt sie
trotzig, indem sie die Nummer wählt,
„wenn Robert die Couch erst mal sieht.."
Und obgleich an diesem Punkt ihre Gedan-
ken viel an Mut und Optimismus verlie-
ren, spricht sie freundlich in den Apparat:
„Ach bitte, schicken Sie mir doch die Couch
mal zur Ansicht herein, mein Mann möchte
sehn, wie sie sich in der Wohnung aus-
nimmt."

Als Robert mittags nichts Böses ahnend
heimkommt, findet er Erika in die Rissen

Mayrshofer

einer ihm völlig unbekannten Couch ge-
schmiegt. Sie lächelt ihm verführerisch ent-
gegen. Doch Robert ist weit entfernt, ihr
Lächeln zu bemerken, geschweige denn zu
erwidern. „Du bist wohl verrückt gewor-
den", sagt er an Stelle einer Begrüßung.

„Aber Liebling", sagt Erika, „sieh dir
die Couch doch wenigstens mal an. Das
ganze Zimmer gewinnt, das mußt du doch
zugeben."

„Nichts gebe ich zu, gar nichts", donnert
Robert. Die Frage, wer der Herr im Hause
sei, drängt sich ihm auf, aber er verzichtet
auf einen so billigen Effekt. „Liebes Rind",
sagt er mit einem großen Aufwand an
imponierender Ruhe, „ich gehe jetzt fort,
wenn ich wiederkomme, wünsche ich dies
verfluchte Möbel nicht mehr zu sehn. Du
hast die Wahl zwischen der Couch und
mir!" .

Leider verdirbt er den Eindruck dieser

Der- Weise

Es kam bei einem weisen Mann
verzagt ein Wahrheitssucher an
and sprach zu ihm: „Oh, Weiser du,
ich finde weder Rast, noch Ruh,

Bei Tag und Nacht — auf Meer und Land,
so lang ich nicht die Wahrheit fand,
die letzte Zuflucht bist nur du! —

Gib Wahrheit mir, dann hob ich Ruh!“

Da sprach der Weise mit Bedacht:

„Ich fand die Wahrheit einst bei Nacht
in einem guten Tropfen Wein,
im Saft der Reben klar und rein.

Wenn du des Lebens Müh und Pein,
ertränkst im perlend goldenen Wein,
dann findest bald die Wahrheit du.

Befolg den Rat und du hast Ruh!“ —

J- Z.

großen Worte durch den Rnall, mit dem er
die Tür hinter sich ins Schloß wirft.

Erika bleibt geschlagen auf dem ehelichen
Schlachtfeld zurück. Zunächst tut sie, was
jede Frau in ihrer Lage täte: sie weint
bittere, zornige Tränen. Dann legt sie sich
auf das Streitobjekt und bemüht sich,
Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
Es ist klar, daß der Versuch, Robert vor
eine vollendete Tatsache zu stellen, kläglich
gescheitert ist. Aber ihr ganzes Herz dür-
stet nach dem Besitz einer Couch. Sie er-
innert sich, von ihrer Freundin Lisa ge-
hört zu haben, Männer müßten mit Ge-
schick und Diplomatie behandelt werden.
Vielleicht ist doch noch nicht alles verloren.
Das Endresultat ihrer Überlegungen ist
ein Rückzug aus taktischen Gründen: sie
läßt die Couch abholen und bittet zugleich,
daß sie noch zwei Tage für sie reserviert
bleiben möge.

Robert seinerseits irrt hungrig und ver-
ärgert durch die Straßen. Das hat man
nun davon, denkt er zusammenhanglos.
Eine unbequeme innere Stimme flüstert
ihm zu, er sei zu weit gegangen. Außerdem
muß er sich widerwillig eingestehen, daß
die Couch gar nicht übel ausgesehn hatte;
ein Eindruck von großen, geblümten Rissen
ist in seinem zornumnebelten Hirn hängen
geblieben...

Gegen Abend kommt er nach Hause. Die
Couch ist fort. Robert sieht Erika miß-
trauisch an: bockt fte; Nein, sie begrüßt
ihn mit einer Sanftmut, die ihm bedroh-
lich vorkommt. Da kenne sich nun ein
Mensch aus, denkt Robert irritiert. Beim
Abendessen sagt Erika nur: „Eigentlich
hättest du ja auch freundlich sagen können,
daß du um keinen Preis eine Couch haben
wolltest. Selbstverständlich habe ich sie
zurückgeschickt." Robert schweigt. Ihm ist
sozusagen der wind aus den Segeln ge-
nommen. Die Couch ist fort und sein Zorn
damit gegenstandslos geworden. Irgendwie
fühlt er sich in die Rolle des Unterlegenen
gedrängt, und er bemerkt mit Mißbehagen,
daß man keine gute Figur vor sich selber
macht, wenn man seinen willen um jeden
Preis durchgesetzt hat.

Der Abend verläuft ziemlich schweigsam.
Es läßt sich nicht verhehlen, daß die Couch,
obwohl nicht mehr vorhanden, dennoch wie
ein wall zwischen ihnen steht. Doch als sie
sich anschicken zu Bett zu gehn, sagt Robert
aus einmal beiläufig, als handle es sich um
eine belanglose Alltäglichkeit:,, Man könnte
sich die Couch schließlich noch einmal an-
sehn — ganz unverbindlich natürlich", setzt
er hinzu, in dem Bestreben, seine Inkonse-
quenz vor sich und Erika zu rechtfertigen.

Erika schmiegt sich an ihn. „Die Haupt-
sache ist doch, daß du Freude daran hast"
sagt sie herzlich. Allerlei Einwendungen
erheben sich Ln Robert; aber er unterdrückt
sie Ln der ausblitzenden Erkentnis, daß
Erikas Bemerkung ihn zum Sieger in der
Streitfrage stempelt. So beschränkt er sich
auf einen wohlwollenden Gutenachtkuß.
Das Dunkel verbirgt ihm das stolze Lä-
cheln, mit dem Erika einschläft.

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Max Mayrshofer: Vignette
J. Z.: Der Weise
Ell Wendt: Die Couch
 
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