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Die Tasse mit dem linken Henkel

Nacherzählt von
Ferdinand Silbereisen

Einst trat der bekannte Romiker
N e st r o y in ein wiener Raffeehaus und
bestellte sich eine Taffe Rassee. Der Ober
hatte die Bestellung schon notiert, als ihm
Nestroy noch nachrief: „Bitte, bringen
Sie mir aber den Raffee doch in einer
Taffe mit dem Henkel auf der linken
Seite, denn ich bin leider linkshändig und
kann deshalb leider keine andere Taffe
gebrauchen."

„Sehr wohl, mein Herr", antwortete
dienstbeflissen und zuvorkommend gegen
den illustren Gast der Rellner, lief davon
und sprach eifrig mit dem Oberkellner.

Der Oberkellner näherte sich darauf
ehrerbietig dem Romiker mit der devoten
Frage: „was für eine Art von Taffe
wünscht der r£evv eigentliche"

„Eine Taffe mit dem Henkel aus der
linken Seite, denn ich bin linkshändig",
sagte ruhig, aber bestimmt der Gast.

Der Oberkellner verschwand und kehrte
bald darauf mit dem Lafetier selbst zurück.
Der letztere begann verlegen: „Diese Art
Taffe, die Sie da wünschen, ist leider..."

„was?" rief Nestroy ungläubig mit
gut gespielter Entrüstung aus, „glauben
Sie, Sie könnten mir weismachen, in
einem so erstklassigen Raffee wie diesem
gäbe es kein solches Geschirr, wie eine
Tasse mit dem Henkel aus der linken
Seite?"

„Gewiß", stammelte der Wirt, „wir
haben sie auch gewöhnlich, aber ich be-
dauere gestehen zu müssen, daß die letzte
von dieser Sorte gerade beute morgen
unglückseligerweise durch die Ungeschick-
lichkeit des Pikkolo zerbrochen wurde."

„Nun", meinte trocken Nestroy, „unter
so fatalen Umstanden muß ich mir halt
schon selber helfen." Sprach 's, stand auf
und nahm die nächstbeste leere Taffe vom
Büffet und drehte sie mit einer entspre-
chenden behenden Bewegung Kalb um. —
„So", fügte er lachend hinzu, „hier haben
wir solch eine Taffe mit dem Henkel auf
der — linken Seite."

Raiser Rudolph I. verleugnete seinen
heiteren Geist nicht, als ihm die Ärzte sein
nahes Ende ankündigten, „Nun, so laßt
uns nach Speyer reisen", sagte er, reiste
wirklich ab und starb auf dem Wege zur
Raisergruft.


Menzel sitzt mit einer orjahrigen Dame
zu Tisch. Diese sagt zu ihm, als gerade
das Gespräch auf das Jenseits kam: „Der
Tod hat uns vergessen, Meister." wor-
auf Menzel den Finger an den Mund
legt: „Pst...!"

Lenbach war in den Adelsstand erhoben
worden. Rurz darauf porträtierte er
seinen Gönner, den Grafen Schack. Dieser
fragte den Rünstler, wie er sich in seiner
neuen würde fühle. „Einfach selig", ant-
wortete Lenbach, „wenn ich an die letzte
bürgerliche Nacht denke ..."

Bekanntlich ist die Villa Lenbachs in
München in der Nahe der Propyläen
nach eigenen Plänen des Meisters erbaut
worden. Ein Freund, dem während des
Baues die zweiteilige Romposition auf-
fiel, wollte wissen, wie er die beiden
Däuser zu verbinden gedenke. „Durch
eine gemeinsame Hypothek", antwortete
Lenbach.
Register
Heinz Kistler: Zeichnung ohne Titel
Ferdinand Silbereisen: Die Tasse mit dem linken Henkel
[nicht signierter Beitrag]: Maler-Anekdoten
 
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