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Geschichten von
„weinenden" Witwen

Karl Giselher Gössele

„Stirb halt finster!"

Ein Tübinger Metzgermeister, der lange
krank gelegen, verspürte, daß sein letztes
Stündlein gekommen sei. Da es mitten in
der Nacht und stockdunkel war, weckte er
unter Aufbietung seiner letzten Kräfte
sein neben ihm schnarchendes Eheweib
und bat sie, Licht zu machen.

Frau Barbara fuhr aus dem Schlaf
auf und suchte nach den Streichhölzern.
Sie fand keine und ihre Laune verdüsterte
sich. Sie suchte weiter ohne Erfolg.
Schließlich wurde sie ärgerlich. Sie sagte:
„Zum Teufel, ich finde keine Streich-
hölzer."

Und dann entblößte sie ihre schöne
Seele, indem sie kommandierte: „Stirb
halt finster, Christian!"

Da dem Christian keine andere Wahl
blieb, tat ers auch.

*

Eine junge Frau aus Thüringen hatte
nach Baden geheiratet. Ein paar Wochen
spater starb der Bruder ihres Mannes
und sie war gezwungen, an der Beerdi-
gung teilzunehmen.

Da es sich um das erste Leichenbegäng-
nis handelte, das sie im badischen Muster-
ländle mitmachte, wußte sie nicht, wie sie
sich benehmen sollte. Ihre Unsicherheit
gipfelte in der Frage: „Heult man bei
euch schon vom Trauerhaus ab oder erst
auf dem Friedhof?"

Als sie die Antwort erhielt, daß man
schon vom Trauerhaus ab zu weinen be-
ginne, setzte die zartfühlende Thüringerin
prompt mit steinerweichendem Schluchzen
ein.

*

Eine Witwe stand am Grabe ihres
Gatten.

Mehrere schöne Reden aus den Toten
waren gehalten worden, und nun sang der
Gesangverein, dessen Mitglied der Ver-
storbene gewesen war.

Unter den Sängern fiel der Junggeselle
Sebastian Schmoll auf, weil er ganz be-
sonders hingegeben sang. Er besaß ein
gutgehendes Weißwarengeschäft und er
galt als sehr vermögend.

Die Schwester der Witwe, die neben
dieser stand, flüsterte unter dem Trauer-
schleier hervor:

„Der Sebastian Schmoll, Berta, das
wäre der richtige Mann für dich!"

„Nicht war, Klara?! das denke ich
schon, seit der Gesangverein zu singen an-
gefangen hat!"

*

Ein Holzfäller vom Bayerischen Wald

„Was ist in der Silvesternacht für ein
Unterschied zwischen einem Glas Sekt und
einer Pfanne voll geschmolzenem Blei?“
,,?? — Keine Ahnung!“

„Dann lassen Sie sich mal beides heut’
um 12 Uhr durch die Gurgel rollen!“

war von einer stürzenden Tanne erschla-
gen worden.

Die Weiber der Holzfäller, die mit dem
Verschiedenen gearbeitet hatten, sprachen
der Witwe unter Strömen von Tränen
ihr Beileid aus.

„Ich habe noch Glück im Unglück ge-
habt", erwiderte die Frau des verunglück-
ten Holzfällers. „Der Oberförster war
heute bei mir und hat mir mitgeteilt, daß

Mit Russenstiefeln ins Neue Jahr

Was muß clas doch für ein Getrampel,
ein wackeres Getrampel sein,
wenn so 9ne Trampel mit Gestrampel
rangiert ins Neue Jahr hinein.

Man kanns verstehen, aber sicher,
das sieht, bei Gott, nach etwas aus,
und schielt das Fett — laßt das Gekicher! —
auch hundertmal zum Schaft heraus.

Was andres ists, wenn gar zu dünne
die Wadln und Gelenke — oh,
es lockt das Gleichnis mit der Spinne, —
doch ists in diesem Falle so:

Die Stiefel sind nicht zum Flanieren,
sind nur zum Demonstrieren gut,
daß man troij billiger Allüren
auch etwas für die Mode tut.

So geht es wieder mal ans — Zünden,
mit oder ohne Russen-„scharm“,
sie mögen gute Gründe finden,
ich halt mich anderweitig — warm.

Pelikan

ich von der Unfallversicherung 5000 Mark
ausbezahlt bekommen würde."

Den Holzfällerweibern aus dem Bayeri-
schen Wald verschlugs die Sprache, als
sie diese für ihre Begriffe ungeheuerlich
große Summe nennen hörten. Ihre Augen
wurden kugelrund und die Tränen ver-
siegten.

Eine brachte zum Ausdruck, was alle
dachten:

„5000 Mark sind kaputt, weil mein Depp
weggesprungen ist!"

Das lvutbinkerl

Im ganzen Haus ist der Herr Hafner-
meister Schwammvogl als „wutbinkerl"
bekannt. Fast kein Tag vergeht, an dem
es nicht bei ihm „brennt", an dem er sich
nicht über etwas ärgern muß. Am meisten
Kummer in dieser Beziehung macht ihm
seine Alte. Einen Tag schimpft er übers
Essen, das Fleisch ist zu „zach", die Supp'n
zu heiß, das Bier zu kalt, an einem
andern hat er's mit den Kindern zu Haus,
mit den „Bangerten", wie er sich aus-
drückt. Dann wieder ärgert er sich über
die Trambahn, wenn er auf sie warten
muß oder über einen Schalterbeamten auf
der Post, der ihn nicht schnell genug ab-
sertigt.

Nun gibt es ja viele Leute in einer-
großen Stadt, die sich gleich über jede
Kleinigkeit ausregen. Aber meist ist

denen ihre Wut schnell verraucht. Aber
beim Herrn Hafnermeister Schwammvogl
ist das anders, da ist die Wut anhaltend
bis zum nächsten Ärgernis. Man kann
also sagen, daß Herr Schwammvogl fast
nie vor „Gift" zur Ruhe kommt.

Um zu beweisen, wie der Herr

Schwammvogl es treibt, sei hier erzählt,
bis zu welchem Grad von Verbohrtheit
ihn seine giftige Galle treiben kann. Da
hatte er wieder einmal einen pfundskrach
mit seiner Alten gehabt und in seiner
Wut rennt er hinunter auf die Straße
und dann weiter ins Ungewisse. Immer
vor sich hinbrummelnd stürmt er dahin,
von der Stadtmitte bis ins äußerste
Schwabing. Herr Schwammvogl kommt
sehr selten in diese Gegend und so pas-
siertes ihm bei seiner Rennerei, daß er
sich an einer Straßeneck'n gar nicht mehr
auskennt. Es bleibt ihm nichts anderes
übrig, als jemand um Auskunft zu fragen.
Ein junger Mann ist ihm für diesen
Zweck recht und er fragt, nicht gar sehr
höflich: „Sie, heh, wia komm i denn da
zur Leopoldstraßn?"

Der junge Mann steht auf dem Stand-
punkt der Verkehrsdisziplin und rügt
Herrn Schwammvogl: „Na, na, können
S' net a bißl höflicher fragn?" woraus
ihn Herr Hafnermeister Schwammvogl
anbrüllt: „Na, i net! Heit scho gar net!
Liaba valaaf i mi!"

H. w. B ü r k m a y e r

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Register
Karl Gideon (Giselher) Gössele: Geschichten von "weinenden" Witwen
Hans Willi Bürkmayer: Das Wutbinkerl
TD.: Zeichnung ohne Titel
Pelikan: Mit Russenstiefeln ins Neue Jahr
 
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