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Der Roder

Eine Geschichte von Rudolf witzany

Zuerst war die magere Hutweide Ge-
meinschaftsgut des ganzen Dorfes. Die
grauen Granitblöcke, die schroffig aus dem
hageren Gras wuchsen, ließen keine Be-
gehrlichkeit nach dem dürftigen Erdenfleck
auskommen. überhaupt lag die weide
nicht sonderlich bequem und nur der Leut-
gang, dessen schmale Feldstreifen auf der
einen Seite die felsige Hutweide säumte,
schielte manchmal nachdenklich über das
flechtengraue Holzgeländer.

Nachher gab es im Dorf eine Streiterei.
Bei der großen Politik fing sie an und bei
der Hutweide hörte sie auf. Da kamen sie
überein, das Stücklein Magerwiese aufzu-
teilen. Niemand hatte etwas dawider.
Nicht einmal die Hütbuben, weil sie ja
doch das Vieh dorthin trieben, wo es
ihnen gefiel. Als der gerbst kam und das
Vieh droben auf der steinübersaten weide
stand, merkte keiner einen Unterschied
gegen früher. Es war, als sollte die Auf-
teilung nur ein Scherz bleiben, an den
niemand mehr dachte.

Bis eines Tages der Leutgang nimmer
bei dem flechtengrauen Holzgeländer am
Rain stehen blieb, sondern gemächlich zu
den Hütejungen schlurfte und ihnen sagte,
daß sie auf seinem Grund stünden und
schauen sollten, daß sie weiterkamen.

Die Buben schauten ihn großmächtig
an. Der kleinste wandte sich um und lief
talwärts davon. Die anderen trieben die

Rinder ein Stück weiter und sahen sich
scheu um, ob der Bauer nicht hinter ihnen
herschritte.

Anderntags redeten sie im Dorf davon.
Zuerst mit Ropfschütteln und Achselzucken,
nachher in aufbrechender Feindseligkeit,
und als der Leutgang Sonntags ins
Wirtshaus kam, hatte er einen leeren
Rreis um seinen Tisch. Er war nicht so
dumm, daß er den Grund nicht erkannt
hätte. Er schupfte die Achseln, grüßte
freundlich wie immer und trabte heim,
was er sich dabei denken mochte, sah man
seinem groben Gesicht nicht an.

So strich der Winter hin, und als die
Schneeschmelze das Erdreich roglig wer-

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den ließ, kam der Leutgang aus seinem
Haus und steckte seinen Anteil von der
Hutweide sorgsam ab. Er nahm es genau
und holte sich ein paar Bauern dazu, die
ihm widerwillig halfen.

Am gleichen Tag begann er zu roden.

Als sie es drunten im Dorf hörten,
lachten die einen zornig über den Plärren,
die anderen taten mitleidig und waren
voll geheucheltem Bedauern. Der Leut-
gang hörte es von seinem Weib, dem ja
das Gerede durchs Gesinde eher zugetra-
gen wurde als ihm. Er hatte immer das
gleiche Gesicht.

Manchmal half dem Leutgang sein
Weib. Auch die Rnechte mußten her. Sie
murrten und halsen ohne Freude mit. Die
Tage zogen eintönig vorbei. Der Leut-
gang riß die Steinbrocken mühsam aus
ihrer moosigen Umarmung und schichtete
sie zu einem lockeren Hügel. So legte er
auch die verstrichenen Tage beiseite. So-
wie er ins Bett ging, schlief er gleich ein.
Er dachte nicht viel, er arbeitete. Manch-
mal half er mit Pulver nach, wenn die
Blöcke zu groß waren und die Erde nicht
auslassen wollte. Die weide sah armselig
und zerkratzt aus. Die Steine ließen
braune Löcher im gilbenden Wiesengras.

Im gerbst wurde der Leutgang un-
ruhig, als er merkte, wie der wind kälter
wurde und sein Stück neue Erde nicht
steineleer werden mochte. Im Dorf lach-
ten sie bisweilen. Aber die meisten hatten
ihn vergessen.

Der erste Schnee fiel noch auf die
weiche Erde und blieb darum auch nicht
liegen. Aber dem Leutgang war die Mah-
nung arg in die Rnochen gefahren. Er
holte das Gesinde auf den Felsacker und
werkte drauflos, daß selbst sein Weib be-
kümmerte Augen machte. Er sagte nichts
über das, was er wollte. Er wollte das
Streiflein Erde noch vor dem Frost unter
den Pflug nehmen.

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Register
Rudolf Witzany: Der Roder
Ernst v. Dombrowski: Illustrationen zum Text "Der Roder"
 
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