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Die Tage wurden ihm zu kurz. Da
hatte er es schier geschafft. Nur ein gro-
ber Granitklotz/ der breitbauchig droben
in dem Eck am Rain hockte, wollte nicht
weichen. Es wurde ein wilder Aampf. Er
dauerte viele Stunden. Die Anechte wet-
teten heimlich, ob es der Bauer noch heute
schaffen würde.

Er schaffte es. Der Alotz war gesprengt
und der Halterbub mußte mit antauchen.
Der Stein steckte hart am Rain. Ulan
brauchte ihn nur ein Stücklein walzen.
Der Leutgang schnaufte, daß die Magd
lachen mußte. Es sah zu lächerlich aus,
wie sich der schwere Mann da schwitzend
und keuchend mühte, den dicken Alotz, der
ihm sogar ein wenig ähnlich sah, vom
Fleck zu rücken.

Und dann geschah das Unglück: der
Stein kippte ganz plötzlich. Der Halter-
bub stand gerade dahinter, als sich der
Block neigte. Er tat einen verzweifelten
Schrei und brachte den Fuß nicht aus dem
Loch, in das er geraten war. Da lehnte
sich der Leutgang gegen den Stein. Das
war ein grausiger Anblick. Dem Bauern
wurden die Augen so rot wie die Stirn.
Sein Atem pfiff und die Adern an der

Stirn und am Hals hüpften. Sein Weib
wurde vor Schrecken kalkweiß und der
Anecht wollte zu Hilfe eilen. Da stieß der
Bauer mit einem wilden Tritt den Hal-
terbuben aus dem Bereich des Steins,
aber er selbst verlor dabei seinen Stand
und der Stein fiel ihm auf das rechte
Bein.

Jetzt sah er ganz harmlos aus, der
Stein. Das Stück, das im Boden gesteckt,
war erdbraun. Ein paar Aafer liefen
eilend darüber hin, ihre Flügeldecken
glanzten, unispilzfäden hingen weißbärtig
nieder.

Der Bauer lag mit zerquetschtem Bein.
Der Halterbub war heulend zutal gelau-
fen. Die Anechte trugen den Verunglück-
ten ins Haus.

Als der Arzt kam, konnte der Bauer
wieder reden. Der Doktor wußte Bescheid
über die wütige Landsucht des Leutgang,
und als er erst merkte, daß es nicht ans
Leben ging, wurde er streng und richter-
lich.

„Das Bein wird draufgehen", sagte er
und war nicht zart bei der Untersuchung.
Der Leutgang stellte sich schwerhörig, aber
er war ganz weiß geworden.

„Und das alles, weil Ihr nicht genug
kriegen könnt! Ihr habt ja nicht einmal
den Sonntag gehalten", zürnte der Arzt,
derweil er sich die Hände wusch. Der
Leutgang sah blinzelnd durch die Stube
und schnüffelte verärgert den unguten
Aarbolgeruch. Dann sagte er hochmütig
mit ganz schmalen, dünnen Lippen: „was
wissen denn Sie, was so ein Stückl Öd-
land für uns wert ist! was tut da schon
ein zerquetschtes Bein!"

Der Arzt erzählte diese Worte weiter.
Man braucht das Bein nicht abnehmen,
aber es blieb steif.

Als der Leutgang hinter dem Pflug
hinkte, kamen sie mählich wieder zu ihm.
Jeder gab ihm die Hand. „Ein schieches
Jahr", sagte der eine und nickte tiefsinnig.
„Bald regnen könnt es wieder", sagte ein
anderer.

Sonst redeten sie nicht viel. Aber im
nächsten Sommer räumten auch die an-
deren Bauern die Hutweide ab und schich-
teten säuberliche Steinmauern am Rain
entlang, weide war noch genug da. Aber
Erde, rechte, braune Erde war kostbar.

Von dem Winter an grüßten die an-
deren den Leutgang überall zuerst.

Winter in der Rhön Heinz Kistler

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Heinz Kistler: Winter in der Rhön
 
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