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Von Heinrich Ziliich

s war mitten im Rrieg )9)7* Da
wurde der k. u. k. Infanterieleutnant der
Reserve Otto pettenkofler adlig. Sein
Verdienst war es nicht. Der alte petten-
kofler hatte beides: Verdienst und Ver-
dienste. Die Familie empfing dafür die
erbliche Belohnung.

Otto ging zum Feldwebel in der Regi-
mentskanzlei und ließ im Standesregister
einige Änderungen eintragen.

„Den Namen bitte richtig zu schrei-
ben. Von pettenkofler —"

„Jawohl, Herr Leutnant."

„Und dann unter ,Beruf' streichen Sie
,Mediziner' und setzen dafür ein: Jurist.
Verstehen Sie;"

„Jawohl, Herr Leutnant."

Von pettenkofler war Mediziner gewe-
sen— trübselig bürgerlichen Angedenkens!
Mit dem Studium allerdings hatte es
einen kleinen Haken. Daran war feine
Jugend schuld. Gleich nach dem Abitur
hatte er einrücken und in den Rrieg ziehen
müssen, so war ihm die wiener Uni-
versität nur von außen bekannt. Doch
seine Vorliebe für die Medizin litt nicht
darunter. Erstaunlich, wie er sich trotz
seiner zwanzig Jahre in dem Gebiet aus-
kannte. Er stellte nicht nur Diagnosen, er
trug sich sogar dem Sanitätsoffizier frei-
willig zur Hilfeleistung an, handhabte
wie dieser Jod und Aspirin und richtete
keinen Schaden an, denn andere Medika-
mente gab es ohnehin nicht im Felde. Auch
waren die beiden Arzneien schwer zu
verwechseln. Aspirin war gegen innere
Leiden, Jod gegen äußere. Von petten-
kofler — damals noch einfach pettenkofler
— trug frontein, frontaus zwei medi-
zinische Werke mit sich: einen Leitfaden
für erste Unglücksfalle in der Dicke von
zehn Seiten, den er einer Taschenapotheke
entnommen hatte, und eine Gebrauchsvor-
schrift für Hühneraugenringe.

Nun — dies waren jetzt bürgerliche
Reminiszenzen! Von pettenkofler begriff,
daß Medizin eine profane Angelegenheit
ist. Die Rechtswissenschaft mündete —
blau geadert — in die Diplomatie. Eh
bien, man wird französisch lernen!

Den Leitfaden für Unglücksfalle und
die Hühneraugenregeln schenkte er dem
Hilfsplatz. Papa sandte zu Weihnachten
ein Petschaft. Fortab prangte ein Wappen
aus den Feldpostkarten des Sohnes. Die
Leutnants im Bataillon, vor allem der
Führer der ersten Rompagnie, Meyer,
stichelten. Aber von pettenkofler antwor-
tete ruhig, mit verzeihender Überlegen-
heit: „Ihr versteht's das nicht. Stand
verpflichtet!"

Meyer kriegte einen Lachanfall.

„Mein lieber Meyer", meinte von pet-

tenkofler, „also bitte! Vergiß niemals:
Du heißt Meyer. Ausgerechnet Meyer.
Und du stammst, malheureusement, aus
pennischau. Bitte bedenke: pennischau!"

Meyer fiel stöhnend von der Bank.

Etliche Tage spater marschierte das Ba-
taillon nach Trient zur Erholung. Leutnant
von pettenkofler bei der ersten Rompagnie,
neben ihm Meyer aus pennischau. Sie
sprachen über allerlei. Standesfragen wur-
den nicht erörtert, wie sich nun von
pettenkofler in das wappengeschmückte
Taschentuch schneuzte, das im letzten Feld-
postpaket gelegen hatte, fing seine Nase
zu bluten an. Ein heilloses, unstillbares
Nasenbluten. Meyer neben ihm blinzelte
und zog aus dem Brotbeutel ein Fläsch-
chen Tinte, lockerte den Stöpsel gerade so
weit, daß von Zeit zu Zeit ein Tröpfchen
hervorquoll. Das ließ er heimlich in den
Schnee fallen.

Hintennach zog das Bataillon, am Ende

der letzten Rompagnie zu Roß der Major.
Er schaukelte mit gesenktem Ropf schläfrig
zu Tal. In seine Augen, die vom ewigen
weiß des Schnees schmerzten, tanzten
plötzlich blaue Punkte, in gleichen Abstän-
den immer gleich groß. Er rieb sich die
Lider, sah rundum, ob er träume. Aber
Berg und Fels standen wie ehedem. Er
setzte sich fest zurecht. Punkt nach Punkt
lag im Schnee, blau und gleichförmig.

„Gehn S', Adjutant. Reiten S' vor.
was wird da für eine Flüssigkeit ver-
gossene"

Der Adjutant ritt. Bei jeder Rompagnie
wurde er nach vorne verwiesen. Schließ-
lich hielt er vor Meyer. Der klappte dienst-
lich: „Melden Sie bitte: Leutnant von
pettenkofler hat Nasenbluten!"

Zwei Wochen später wurde von petten-
kofler — Papa hatte doch Verdienste —
zu den Raiserjägern versetzt. Infanterie
war ebenfalls bürgerliche Reminiszenz.

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Register
Robert Jakob Bock: Zeichnung ohne Titel
Heinrich Zillich: Blaues Blut
 
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