Ansidiiskarfen
von einer Weltreise
Überfall im Urwald
Brasilien, Porto da Cachoeira:
. . . Stellt Euch bloß vor: Eine Woche
lang fahre ich im Ochsenwagen durch den
wildesten Urwald! Eines Abends raschelte
es im Dickicht . . . sofort ziehe ich meinen
Revolver, den wir zusammen einst in der
Schillerstraße gekauft haben . . . Die Ochsen
bleiben stehen und die Holzräder hören
zu pfeifen auf — —. Sofort denke ich an
den Schwarzen Panther. . . mein Herz
trommelt bis zum Hals hinauf. . . Plötzlich
steht ein Mensch mit Schlapphut und aus-
gebreiteten Armen vor uns...! „Ver-
zeihen Sie, ich bin der Erzengel Gabriel. .!"
spricht er mit rheinischem Tonfall. „Bitte“,
sage ich und bringe vor Überraschung kein
Wort mehr hervor. Mein Blick hat sich an
seinem verwilderten Vollbart verfangen.
„Entschuldigen Sie die Belästigung, ich
stamme aus Düsseldorf, lese aus der Hand
und stelle Horoskope . . .!“
Durch Moskitenschwärme strecken wir
dem Landsmann die Handflächen hin und
nennen unsere Geburtsdaten. Und mitten
im brasilianischen Urwald erfahre ich, daß
ich ein Steinbock bin und einen ordnenden,
aber verdüsterten Charakter habe. Meine
Reisebegleiterin hingegen entpuppt sich als
aufwühlend, sinnlich und niederträchtig . . .
Ich lege dem Mann ein paar Milreis in
den Hut.
Sechs Tage Reise habe ich noch bis zum
nächsten Briefkasten. Ängstlich sehe ich
jeden Augenblick meiner Reisebegleitung
ins Gesicht. Wenn ich Glück habe, warten
ihre Charaktereigenschaften noch mit dem
tierischen Ausbruch. An den schwarzen
Panther zu denken — habe ich vergessen . .
Hoffentlich erreicht Euch diese Karte
aus der Wildnis! Ob ich je wieder heil
zurückkomme, hängt davon ab, ob der
Erzengel Gabriel richtig gedeutet hat-
Unter Menschenfressern
Südaustralien, Botany-Bay:
Heute bin ich hierher gefahren, weil mir
ein Hotelportier in Sidney verraten hat,
daß es in dieser Bucht noch Ureinwohner
von Australien zu sehen gibt. Tatsächlich
wurde hier der Forscher Laperouse (Nähe-
res im Konversationslexikon) von Kanni-
balen aufgefressen. Das ließ mich nicht
abhalten — und ich teile Euch mit, daß ich
mich z. Zt. mitten unter diesen Wilden
befinde. Ängstigt Euch nicht! Erstens bin
ich Fatalist und viertens haben diese Ein-
geborenen die Menschenfresserei längst
vergessen. Eine Buschfrau machte mich auf
einen falschen 34-Pfundschein aufmerksam.
Ihr Gemahl verstand es, mir drei Boome-
rangs zu verkaufen, auf denen der beste
Tennisspieler von Neu-Südwales als Holz-
brandmalerei abgebildet ist. Und de
Sohn des Häuptlings schrieb mir mit Füll-
federhalter die zwei führendsten Nacht-
lokale von Melbourne auf . . Teht ..
den mir diese Wilden unheimlich. Heim-
lich verließ ich ihr Dorf. Denn sie hätten
mich vielleicht noch über meine Eindrücke
von der australischen Nationalgalerie be-
fragt. Und auf diesem Gebiet wäre ich zu
wenig Fachmann gewesen. Ich kann Euch
sagen: Wohl war mir erst wieder, als ich
im Speisewagen des Südexpreß unter den
Millionären und Wollkönigen saß. Die
Männer hatten drei Zahnstocher zwischen
die Zähne gesteckt, pusteten sich gegen-
seitig die Kaugummi in die Biergläser und
schätzten bei ihren Frauen das Gewicht der
Brillantgehänge an den Ohrläppchen ab.
Ja, diese Gentlemen waren doch bessere
Wilde. All right and good by!
Der Löwe in der Nacht
Südafrika, Lorenzo Marquez:
Wir liegen hier am Quai. Ringsum
brandet der afrikanische Busch. In der
Stadt schlängeln sich Asphaltstraßen im
Schein der Bogenlampen bis zu den
Negerdörfern hinaus. Am Eingang zu
einem Coiffeur mit Nagelpflege sonnte
sich die giftige Mamba. Gegensätze schreien
sich an. Zivilisation liegt unverdaut im
großen Magen der Wildnis. Und in die-
sem Schmelztiegel aus Schein und Sein er-
lebte ich gestern Nacht das große Grauen.
In einer Bar am anderen Ende des Hafens
trank ich einige Glas Whisky-Soda. Am
Heimweg zum Dampfer lagen die Straßen
menschenleer. Vom Wellblech der Lager-
schuppen strahlte die aufgesparte Hitze des
Tages wider. Ich fühlte das Atmen des
Schwarzen Erdteils . . . Plötzlich hörte ich
Gebrüll. Heiser, hungrig und dumpf ...
Ein Löwe . . .! Ich überlegte: Vom Busch
bis in die Stadt lag nur ein Katzen-
sprung . . . Eine blutdürstige Bestie hatte
sich verirrt ... ich hielt den Atem an ...
ich lief, rannte . . . Und der furchtbare
Laut bekam immer mehr Nähe . . . Das
Raubtier witterte meine Fährte... ich
flüchtete in einen Park . . . jetzt hörte ich
das Gebrüll auf Steinwurfweite ... Ja, es
roch schon nach Löwe — —. Ich war ver-
loren ... In Stunden des Todes werden die
nächsten Dinge haarscharf... ich stierte
auf eine Schrift zwischen Königspalmen . ..
Und las: „-Z . . 0 . . 0“-
Jetzt merkte ich, wie ich kraftlos an das
Fenster des Ansichtskartenstandes gesun-
ken war. In Hochglanz hingen Fotos von
Raubtieren im Fenster, die halbverhungert
zwischen den Eisenstäben der Käfige her-
ausstierten. Am Morgen sah ich mir die
Bestie an und kaufte die Karte. Und hier
schicke ich sie Euch mit afrikanisch feier-
lichen Grüßen. Stellt sie, bitte, auf Euren
Mahagonischreibtisch! — Einen anderen
Löwen habe auch ich auf allen fünf Erd-
teilen nicht erlebt. . . Auf baldiges
Wiedersehen-!
Ernst Holerichter
24
von einer Weltreise
Überfall im Urwald
Brasilien, Porto da Cachoeira:
. . . Stellt Euch bloß vor: Eine Woche
lang fahre ich im Ochsenwagen durch den
wildesten Urwald! Eines Abends raschelte
es im Dickicht . . . sofort ziehe ich meinen
Revolver, den wir zusammen einst in der
Schillerstraße gekauft haben . . . Die Ochsen
bleiben stehen und die Holzräder hören
zu pfeifen auf — —. Sofort denke ich an
den Schwarzen Panther. . . mein Herz
trommelt bis zum Hals hinauf. . . Plötzlich
steht ein Mensch mit Schlapphut und aus-
gebreiteten Armen vor uns...! „Ver-
zeihen Sie, ich bin der Erzengel Gabriel. .!"
spricht er mit rheinischem Tonfall. „Bitte“,
sage ich und bringe vor Überraschung kein
Wort mehr hervor. Mein Blick hat sich an
seinem verwilderten Vollbart verfangen.
„Entschuldigen Sie die Belästigung, ich
stamme aus Düsseldorf, lese aus der Hand
und stelle Horoskope . . .!“
Durch Moskitenschwärme strecken wir
dem Landsmann die Handflächen hin und
nennen unsere Geburtsdaten. Und mitten
im brasilianischen Urwald erfahre ich, daß
ich ein Steinbock bin und einen ordnenden,
aber verdüsterten Charakter habe. Meine
Reisebegleiterin hingegen entpuppt sich als
aufwühlend, sinnlich und niederträchtig . . .
Ich lege dem Mann ein paar Milreis in
den Hut.
Sechs Tage Reise habe ich noch bis zum
nächsten Briefkasten. Ängstlich sehe ich
jeden Augenblick meiner Reisebegleitung
ins Gesicht. Wenn ich Glück habe, warten
ihre Charaktereigenschaften noch mit dem
tierischen Ausbruch. An den schwarzen
Panther zu denken — habe ich vergessen . .
Hoffentlich erreicht Euch diese Karte
aus der Wildnis! Ob ich je wieder heil
zurückkomme, hängt davon ab, ob der
Erzengel Gabriel richtig gedeutet hat-
Unter Menschenfressern
Südaustralien, Botany-Bay:
Heute bin ich hierher gefahren, weil mir
ein Hotelportier in Sidney verraten hat,
daß es in dieser Bucht noch Ureinwohner
von Australien zu sehen gibt. Tatsächlich
wurde hier der Forscher Laperouse (Nähe-
res im Konversationslexikon) von Kanni-
balen aufgefressen. Das ließ mich nicht
abhalten — und ich teile Euch mit, daß ich
mich z. Zt. mitten unter diesen Wilden
befinde. Ängstigt Euch nicht! Erstens bin
ich Fatalist und viertens haben diese Ein-
geborenen die Menschenfresserei längst
vergessen. Eine Buschfrau machte mich auf
einen falschen 34-Pfundschein aufmerksam.
Ihr Gemahl verstand es, mir drei Boome-
rangs zu verkaufen, auf denen der beste
Tennisspieler von Neu-Südwales als Holz-
brandmalerei abgebildet ist. Und de
Sohn des Häuptlings schrieb mir mit Füll-
federhalter die zwei führendsten Nacht-
lokale von Melbourne auf . . Teht ..
den mir diese Wilden unheimlich. Heim-
lich verließ ich ihr Dorf. Denn sie hätten
mich vielleicht noch über meine Eindrücke
von der australischen Nationalgalerie be-
fragt. Und auf diesem Gebiet wäre ich zu
wenig Fachmann gewesen. Ich kann Euch
sagen: Wohl war mir erst wieder, als ich
im Speisewagen des Südexpreß unter den
Millionären und Wollkönigen saß. Die
Männer hatten drei Zahnstocher zwischen
die Zähne gesteckt, pusteten sich gegen-
seitig die Kaugummi in die Biergläser und
schätzten bei ihren Frauen das Gewicht der
Brillantgehänge an den Ohrläppchen ab.
Ja, diese Gentlemen waren doch bessere
Wilde. All right and good by!
Der Löwe in der Nacht
Südafrika, Lorenzo Marquez:
Wir liegen hier am Quai. Ringsum
brandet der afrikanische Busch. In der
Stadt schlängeln sich Asphaltstraßen im
Schein der Bogenlampen bis zu den
Negerdörfern hinaus. Am Eingang zu
einem Coiffeur mit Nagelpflege sonnte
sich die giftige Mamba. Gegensätze schreien
sich an. Zivilisation liegt unverdaut im
großen Magen der Wildnis. Und in die-
sem Schmelztiegel aus Schein und Sein er-
lebte ich gestern Nacht das große Grauen.
In einer Bar am anderen Ende des Hafens
trank ich einige Glas Whisky-Soda. Am
Heimweg zum Dampfer lagen die Straßen
menschenleer. Vom Wellblech der Lager-
schuppen strahlte die aufgesparte Hitze des
Tages wider. Ich fühlte das Atmen des
Schwarzen Erdteils . . . Plötzlich hörte ich
Gebrüll. Heiser, hungrig und dumpf ...
Ein Löwe . . .! Ich überlegte: Vom Busch
bis in die Stadt lag nur ein Katzen-
sprung . . . Eine blutdürstige Bestie hatte
sich verirrt ... ich hielt den Atem an ...
ich lief, rannte . . . Und der furchtbare
Laut bekam immer mehr Nähe . . . Das
Raubtier witterte meine Fährte... ich
flüchtete in einen Park . . . jetzt hörte ich
das Gebrüll auf Steinwurfweite ... Ja, es
roch schon nach Löwe — —. Ich war ver-
loren ... In Stunden des Todes werden die
nächsten Dinge haarscharf... ich stierte
auf eine Schrift zwischen Königspalmen . ..
Und las: „-Z . . 0 . . 0“-
Jetzt merkte ich, wie ich kraftlos an das
Fenster des Ansichtskartenstandes gesun-
ken war. In Hochglanz hingen Fotos von
Raubtieren im Fenster, die halbverhungert
zwischen den Eisenstäben der Käfige her-
ausstierten. Am Morgen sah ich mir die
Bestie an und kaufte die Karte. Und hier
schicke ich sie Euch mit afrikanisch feier-
lichen Grüßen. Stellt sie, bitte, auf Euren
Mahagonischreibtisch! — Einen anderen
Löwen habe auch ich auf allen fünf Erd-
teilen nicht erlebt. . . Auf baldiges
Wiedersehen-!
Ernst Holerichter
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