Die Bärenhatz in der Glunken
Eine seltsame Faschingsgeschichte von Fritz Basil
n der Glunken, so heißt eine kleine
Ortschaft bei uns daheim, tief im Wald:
ein altes Rirchel aus Feldstein mit klobi-
gem Turm, ein hölzernes Wirtshaus und
eine Randvoll Hütten.
Schon der Name klingt wie aus einem
Brunnen gehoben, und das Leben dort
tropft dunkel lind schwer.
Da wird auch die Fastnacht anders ge-
balten als draußen, wo hinter Drei-Rönig
gleich das Schmalz von selbst in den Pfan-
nen zu spritzen beginnt. Sie borgen die
böse Gestalt von den Geistern und scheuchen
Schrecken mit Schrecken. Da wird wieder
wach und lebendig, was lange im Walde
gestorben, und sie schleppen es mit. Dort
Hetzen die Rinder den Wolf im grauen
Fell und mit spitzer Schnauze; er bellt;
dort plustert sich einer, voll Federn be-
pseilt, und kreischt und backt mit dem krum-
men, hölzernen Schnabel. Nur einen Ba-
ren darf keiner mummen, das ist verpönt;
ich glaub', er würde erschlagen. Und das
bat seinen Grund!
Vor 90 Jahren, in einem milden, doch
schneereichen Winter, fiel ein Bar in un-
sere Berge ein. Erst war es nur ein Ge-
rücht von seltsamen Spuren im Schnee,
dann rührten sich alte weiblein und dürre
Schneider, die wollten ein grauliches
Brummen gehört haben auf den wegen
zur Rirche oder vom Wirtshaus, und end-
lich fand man geschlagenes wild im Dickicht
und es war so weit, daß die Rinder aus
den Einödhöfen von der Schule blieben
und die Männer die Büchse vom Nagel
nahmen und sorgsam die Rugeln wählten.
Darüber war der Fastnachtsdienstag ge-
kommen. Die Glunken lag wie ein brodeln-
des Roboldsnest in der schwarzen Höhlung
der Nacht, aus roten Scheiben kochend und
voll Tosen und Lärm. Im Wirtshaus
qualmte der Trubel noch gegen die Mitter-
nacht hin. Dem Geiger am Brummbaß
fielen die Augen schon zu unterm Streichen
lind der magere, bleiche Trompeter batte
rote Flecke im Gesicht und hustete und
spuckte nach jedem Landler verstohlen
unter die Bank. Zwar die Männer waren
schon alle gegangen lind schnarchten eben
unter dem Reifen der Weiber daheim schön
langsam in einen rauschigen Traum hinü-
ber und die paar Dirnen lehnten vergabnt
in der Ecke herum und strichen sich schnau-
fend die Haarsträhnen aus den gequollenen
Gesichtern; bis auf die Margaret, das
schwarzflechtige Findelkind, die als Magd
beim Blochbauern diente und jetzt erst
wach ward und "wie ein wind von Tisch
zu Tisch durch die Stube kreiselte. Und die
Burschen waren noch da, streckten die
Beine gespreizt von sich und tranken. Drei
allein von ihnen trugen beute Bärenmas-
ken und -felle. Die blähten sich im Ruhm
ihres Vetters, des Bauernschrecks draußen
im Walde, stapften gewichtig die kreuz
und quer, rissen die Mädel in ihre Tatzen
und drückten und zausten sie und brumm-
ten lind taten gewaltig.
Da — als wieder nach einem geendeten
Schleifer ein Schweigen durch das Zimmer
ging, — vom Walde herüber, so nah, als
wär' es vor'm Fenster, und so laut, als
füllt' es den ganzen Fimmel an und be-
gänne die Nacht zu brüllen, erscholl ein
rollendes Brummen. Und — „der Bär!"
schrieen die Burschen und stießen die
Rrüge um, und — „der Bär!" jauchzte die
Margaret boch und sprang auf den Tisch
und lachte: „Ihr Bären! jetzt hetzt ihn!"
Und während es vom Rirchturm die Mit-
ternacht schlug, der Wirt sprach: „Geht
beim und schlaft euern Rausch aus!", die
Wirtin mahnte: „Die Fastnacht ist gar,
zieht euer Mummenwerk ab, es ist Ascher-
mittwoch!" und die Dirnen erschreckt zur
Seite wichen, stob die Rotte schon schreiend
und stolpernd, die tolle Margret voran,
die Türe und Treppe hinaus und hinunter
und war nur mehr eins: „Heijo, wir Hetzen
den Bären!"
Die Dorfstraße stürzten sie lang und
posauntens vor jedem Haus und trommel-
ten an den Toren und brachen sich Latten
vom überschneiten Zaun. Das Vieh ward
rebellisch im Stall und riß an der Rette
und blökte, die Schläfer fuhren auf in den
Betten und schölten und schlugen das
Rreuz. Dann war die Jagd schon ver-
schwunden und keuchte ins Blinde hinein,
den Berghang hoch.
Den alten Geiger trafen sie unterwegs
und warfen ihn in den Schnee und schreck-
ten ihn halb zu Tode, den Bären riefen
sie brüllend ins Dunkel nach allen Seiten
und schmähten und höhnten ihn und ver-
gaßen ihn wieder — sie selbst waren Bär
und Schreck und Gewalt, und der Rausch
ihrer Rraft fuhr durch die Nacht und die
Wälder.
Auf einer Blöße tanzte die Margaret
im Schnee wie eine schwarze Flamme unter
dem Mond. Die Burschen standen herum
im Rreise; drei unter ihnen in Fellen als
Baren. Dann waren es vier! Und einer
schrie auf: „die Bestie!" und stieß sein
Messer nach ihm. Und es gellte ihm mensch-
lich zurück aus den Zotteln, und er batte
den Bruder getötet — und der Bäre stand
groß unter ihnen. Und sie wandten sich
heulend zur Flucht und irrten verwirrt
durch die Stämme, wo sie das Grausen
taumelnd im Rreise trieb, stolperten, fie-
len, batten den Tod im Genick und den
Tod vor den blinden Augen; stachen und
bissen, wo sie zusammentrafen, Messer an
Messer und Gurgel an Gurgel; stöhnten,
röchelten, schwiegen.
Die Margret mit geschlossenen Augen
sang weiter in schrillen Schreien, und der
Bär, der richtige, stand am Rande der
Blöße im Schatten und wiegte sich tanzend
dazu. Dann kehrte er um, beschnüffelte
einen Toten, der ihm quer vor der Babn
lag, und trollte sich brummend.
Einige von den Burschen lebten noch,
als man sie fand. Die Margret blieb irr
ihr Leben. Der Bär ward in der Woche
nach Ostern geschossen; ein junges Tier von
mäßiger Größe und Stärke.
Er war der letzte in unserer Heimat.
L. WE RIMER,
MÜNCHEN INHABER J. SÖHNGEN
MAXIMILIANSPLATZ 13
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Eine seltsame Faschingsgeschichte von Fritz Basil
n der Glunken, so heißt eine kleine
Ortschaft bei uns daheim, tief im Wald:
ein altes Rirchel aus Feldstein mit klobi-
gem Turm, ein hölzernes Wirtshaus und
eine Randvoll Hütten.
Schon der Name klingt wie aus einem
Brunnen gehoben, und das Leben dort
tropft dunkel lind schwer.
Da wird auch die Fastnacht anders ge-
balten als draußen, wo hinter Drei-Rönig
gleich das Schmalz von selbst in den Pfan-
nen zu spritzen beginnt. Sie borgen die
böse Gestalt von den Geistern und scheuchen
Schrecken mit Schrecken. Da wird wieder
wach und lebendig, was lange im Walde
gestorben, und sie schleppen es mit. Dort
Hetzen die Rinder den Wolf im grauen
Fell und mit spitzer Schnauze; er bellt;
dort plustert sich einer, voll Federn be-
pseilt, und kreischt und backt mit dem krum-
men, hölzernen Schnabel. Nur einen Ba-
ren darf keiner mummen, das ist verpönt;
ich glaub', er würde erschlagen. Und das
bat seinen Grund!
Vor 90 Jahren, in einem milden, doch
schneereichen Winter, fiel ein Bar in un-
sere Berge ein. Erst war es nur ein Ge-
rücht von seltsamen Spuren im Schnee,
dann rührten sich alte weiblein und dürre
Schneider, die wollten ein grauliches
Brummen gehört haben auf den wegen
zur Rirche oder vom Wirtshaus, und end-
lich fand man geschlagenes wild im Dickicht
und es war so weit, daß die Rinder aus
den Einödhöfen von der Schule blieben
und die Männer die Büchse vom Nagel
nahmen und sorgsam die Rugeln wählten.
Darüber war der Fastnachtsdienstag ge-
kommen. Die Glunken lag wie ein brodeln-
des Roboldsnest in der schwarzen Höhlung
der Nacht, aus roten Scheiben kochend und
voll Tosen und Lärm. Im Wirtshaus
qualmte der Trubel noch gegen die Mitter-
nacht hin. Dem Geiger am Brummbaß
fielen die Augen schon zu unterm Streichen
lind der magere, bleiche Trompeter batte
rote Flecke im Gesicht und hustete und
spuckte nach jedem Landler verstohlen
unter die Bank. Zwar die Männer waren
schon alle gegangen lind schnarchten eben
unter dem Reifen der Weiber daheim schön
langsam in einen rauschigen Traum hinü-
ber und die paar Dirnen lehnten vergabnt
in der Ecke herum und strichen sich schnau-
fend die Haarsträhnen aus den gequollenen
Gesichtern; bis auf die Margaret, das
schwarzflechtige Findelkind, die als Magd
beim Blochbauern diente und jetzt erst
wach ward und "wie ein wind von Tisch
zu Tisch durch die Stube kreiselte. Und die
Burschen waren noch da, streckten die
Beine gespreizt von sich und tranken. Drei
allein von ihnen trugen beute Bärenmas-
ken und -felle. Die blähten sich im Ruhm
ihres Vetters, des Bauernschrecks draußen
im Walde, stapften gewichtig die kreuz
und quer, rissen die Mädel in ihre Tatzen
und drückten und zausten sie und brumm-
ten lind taten gewaltig.
Da — als wieder nach einem geendeten
Schleifer ein Schweigen durch das Zimmer
ging, — vom Walde herüber, so nah, als
wär' es vor'm Fenster, und so laut, als
füllt' es den ganzen Fimmel an und be-
gänne die Nacht zu brüllen, erscholl ein
rollendes Brummen. Und — „der Bär!"
schrieen die Burschen und stießen die
Rrüge um, und — „der Bär!" jauchzte die
Margaret boch und sprang auf den Tisch
und lachte: „Ihr Bären! jetzt hetzt ihn!"
Und während es vom Rirchturm die Mit-
ternacht schlug, der Wirt sprach: „Geht
beim und schlaft euern Rausch aus!", die
Wirtin mahnte: „Die Fastnacht ist gar,
zieht euer Mummenwerk ab, es ist Ascher-
mittwoch!" und die Dirnen erschreckt zur
Seite wichen, stob die Rotte schon schreiend
und stolpernd, die tolle Margret voran,
die Türe und Treppe hinaus und hinunter
und war nur mehr eins: „Heijo, wir Hetzen
den Bären!"
Die Dorfstraße stürzten sie lang und
posauntens vor jedem Haus und trommel-
ten an den Toren und brachen sich Latten
vom überschneiten Zaun. Das Vieh ward
rebellisch im Stall und riß an der Rette
und blökte, die Schläfer fuhren auf in den
Betten und schölten und schlugen das
Rreuz. Dann war die Jagd schon ver-
schwunden und keuchte ins Blinde hinein,
den Berghang hoch.
Den alten Geiger trafen sie unterwegs
und warfen ihn in den Schnee und schreck-
ten ihn halb zu Tode, den Bären riefen
sie brüllend ins Dunkel nach allen Seiten
und schmähten und höhnten ihn und ver-
gaßen ihn wieder — sie selbst waren Bär
und Schreck und Gewalt, und der Rausch
ihrer Rraft fuhr durch die Nacht und die
Wälder.
Auf einer Blöße tanzte die Margaret
im Schnee wie eine schwarze Flamme unter
dem Mond. Die Burschen standen herum
im Rreise; drei unter ihnen in Fellen als
Baren. Dann waren es vier! Und einer
schrie auf: „die Bestie!" und stieß sein
Messer nach ihm. Und es gellte ihm mensch-
lich zurück aus den Zotteln, und er batte
den Bruder getötet — und der Bäre stand
groß unter ihnen. Und sie wandten sich
heulend zur Flucht und irrten verwirrt
durch die Stämme, wo sie das Grausen
taumelnd im Rreise trieb, stolperten, fie-
len, batten den Tod im Genick und den
Tod vor den blinden Augen; stachen und
bissen, wo sie zusammentrafen, Messer an
Messer und Gurgel an Gurgel; stöhnten,
röchelten, schwiegen.
Die Margret mit geschlossenen Augen
sang weiter in schrillen Schreien, und der
Bär, der richtige, stand am Rande der
Blöße im Schatten und wiegte sich tanzend
dazu. Dann kehrte er um, beschnüffelte
einen Toten, der ihm quer vor der Babn
lag, und trollte sich brummend.
Einige von den Burschen lebten noch,
als man sie fand. Die Margret blieb irr
ihr Leben. Der Bär ward in der Woche
nach Ostern geschossen; ein junges Tier von
mäßiger Größe und Stärke.
Er war der letzte in unserer Heimat.
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