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Das Geländer

Wer zahlt schafft an!

Dimpflhuber liebt Stammtische. Er liebt
sie mit der ganzen Inbrunst seiner 46 Jahre.
Die Liebe zu Stammtischen hat oft böse
Folgen. Dimpflhuber trinkt manchmal bis
spat nach Mitternacht. Leicht belämmert
schwankt er dann durch die Straßen.

Seine Frau weiß das. Eines Abends
macht sich Dimpflhuber fertig zum Aus-
gehen.

„Nepomuk", sagte seine Frau, „sei vor-
sichtig, wenn du heut' flacht heimkommst!
Ich streich' nachher das Treppenhaus. Auf
die Stufen lege ich Zeitungspapier. Gelt,
dll gibst acht, daß du nicht daneben trittst!"

„Ich gib acht!" sagt Dimpflhuber.
Nimmt Hut und Stock und geht. Geht
zum Stammtisch in sein Lokal. Dort
war's wieder urgemütlich.

Um zwei Uhr steht Dimpflhuber vor
seinem Haus. Nicht mehr ganz nüchtern.
Aber wie er die Haustür zuschließt, denkt
er an die Worte seiner Frau. „Gib acht!
Nepomuk!" sagt er vor sich hin, „und
tritt hübsch auf das Papier!" Als er an
die Treppe kommt, sieht er beim schwa-
chen Schein der Gaslampe, daß kein Pa-
pier auf den Stufen liegt.

„Vergessen!" geht es ihm durch den
Ropf. Und dann überlegt er, wie er wohl
zu seinem verdienten und ersehnten Schlaf
kommen könnte. Wecken will er seine Frau
nicht. Schon wegen des häuslichen Frie-
dens, und Papier kann er mitten in der
Nacht nicht auftreiben.

Da bleibt nur ein weg übrig. Ein be-
schwerlicher, harter und mühsamer weg.
Der weg über das Gelander.

Dimpflhuber klemmt den Spazierstock
unter dem Arm und hangt sich vorsichtig
übers Gelander.

Mit fanden und Füßen schafft er seinen
Rörper nach oben. Schupp — schupp
schupp.

Der Schweiß steht ihm auf der Stirn.
Seine Hände schmerzen, und sein Bauch
drückt.

Bald ist's geschafft. Schon winkt das
rettende Ende. Da entfallt ihm kurz vor
dem Ziel sein Stock und poltert die Stiege
hinab. „Pffsst!" Macht Dimpflhuber und
rutscht wieder hinunter und hebt den
Stock aus.

Zum zweiten Mal kraxelt er in die Höhe.
Schupp — schupp! Sein Gesicht leuchtet wie
ein roter Lampion. Seine Lungen keuchen
wie eine Dampfmaschine. Schon lockt das
Ende der Treppe. Da lockert sich der Hut,
der bisher die Besteigung teilnahmslos
mitmachte. Dimpflhuber will noch danach
greifen. Da hüpft er munter die Stiege
hinunter. Unten legt er sich friedlich hin,
als wollte er sagen: Hol mich! Dimpsl-
huber stößt einen Fluch aus und macht sich
nochmals an den Anstieg.

Mit beiden fanden drückt er den Hut
auf die erhitzte Stirne. Und dann nimmt
er tief Luft, legt sich zum dritten Mal
übers Geländer und macht seine Rlimm-

Fortschritt ist Ausrutschen auf den glatt
gewordenen Gleisen der Gewohnheit.

*

Man kann eine Frau nicht tadeln, die
sich für zehn Mark ein Paar seidene
Strümpfe kauft — wenn sie für neun Mark
davon sehen lassen will.

*

Die Koketterie einer anständigen Frau
im Fasching ist ein Scheck, den sie auf
eine Bank ausstellt, in der sie kein Gut-
haben hat...

züge. Sein Gesicht glüht wie ein über-
heizter Ofen.

Gott sei Dank! Gleich ist's geschmissen.
Dort winkt der rettende Gipfel.

Da öffnet sich die Tür. Auf der Schwelle
steht seine Frau im Nachthemd.

Sie spricht, sich die verschlafenen Augen
reibend, ins Halbdunkel: „Nepo, du

brauchst nicht so vorsichtig die Treppe
herauszugehen. Ich war heute abend so
müd', und — da Hab' ich nur das Gelan-
der gestrichen ..."

E. Q. Höckelsberger

Aus der „Olympischen Kegelba h n“ i m
Künstlerhaus-Keller • Keimel-Dechert

Beim alten Lexenbauer geht's auf's
letzte End'. Schier zwei Jahre hat er sich
mit allen Rraften dagegengestemmt und
vom Ubergeben hat er nichts wissen wollen.
Jetzt aber spürt er's, daß er's nicht mehr-
lang machen wird, und deshalb bespricht
er sich mit der Lexenhoferin, was aus dem
Seinigen werden solle. Den Hof kriegt der
Älteste, der Hansgirgl. Damit ist die Lexen-
bauerin schon einverstanden, aber die Bach-
wiesen möchte sie halt gern ihrem Jün-
geren, dem Lenz, zuschanzen, der in den
Nachbarhof eingeheiratet hat. Und der
Rötlacker, meint sie, sollte wieder zum
Rötlhof kommen, auf dem ihre Annamirl
als Bäuerin sitzt.

Aber davon will der Lexenbauer durch-
aus nichts wissen. „Die Bachwiesen bleibt
beim Hof und der Rötlacker aa." —„wia
ma nur so stiersinni sei ko" ereifert sich die
Lexenhoferin, „wo do der Lenz die Lach-
wies'n sovui gnadi braucha kannt." „Die
wies'n kriagt da Hansgirgl" beharrt der
Bauer, „der ko s' aa braucha." — „An
Rötlacka aber derfast dengerscht der Anna-
mirl verschreiben, wo er so kammod bei
ihram Anwes'n hiebei liegt." — „Rammod
oder net kammod, der Acker bleibt beim
Hof!" knurrt der Lexenbauer und seine
Finger trommeln einen Marsch auf der
Bettdecke.

wie aber die Bäuerin, dieses Sturm-
zeichen mißachtend, noch einmal mit der
Bachwiese und dem Rötlacker anhebt, da
richtet sich der Lexenbauer sah im Bett auf
und faucht seine Alte fuchsteufelswild an:
„Mirk dir 's, wer zahlt schafft 0! Herr-
schaftseit'n no amal, stirbst jatz du, oder

stirb i 7!" . . . W i s h e u - M a r t e n s

Der vornehme Anzug

Mein Freund Rarl Gaede mußte zur
Hochzeit seiner Nichte in die Altmark.
Dieserthalben stürzte er sich in Unkosten
und erstand stotternderweise einen pick-
feinen Anzug. Natürlich wollte er bei sei-
ner Verwandtschaft glanzen.

Die Hochzeit fand an Weihnachten statt
und als man gerade so schön um den Fest-
schmaus herumsitzt, erlaubte sich Gaedes
Vetter, seines Zeichens ein Schneider,
Rarls Anzug auf die bekannte Art zwi-
schen den Fingern zu reiben.

Rarl, nicht wenig stolz, wartete gespannt
auf sein Urteil...

„Ein seiner Anzug, Gnkel, muß ich schon
sagen, ein adeliger Anzug!" meinte der
Schneider.

„wieso Adel!" fragte Gaede den tod-
ernsten Vetter.

„weißt du, Gnkel" lachte er endlich, da
die ganze Hochzeitsgesellschaft aufmerksam
geworden war, „Von der Stange!"
Gnkel, „Von der Stange ..."

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Register
[nicht signierter Beitrag]: Der vornehme Anzug
Hermann Keimel: Aus der "Olympischen Kegelbahn"
Albert Wisheu-Martens: Wer zahlt schafft an!
Erich G. Höckelsberger: Das Geländer
[nicht signierter Beitrag]: Aphorismen
 
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