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Der Simmerl

Er hatte ein pfiffiges Gesicht und
konnte doch gar nichts dafür. Er hatte cs
nämlich nur deshalb, weil er sich so oft
bemühte, pfiffig auszusehen. Und das kann
schließlich nicht ohne Folgen bleiben.

Er machte also ein pfiffiges Gesicht, der
Simmerl, und sagte zum Lukas, der feit
dem Winter Rnecht war auf dem Hof, er
sollte den Leiterwagen Herrichten, sie müß-
ten Dayen holen im Bichlwald.

Der Lukas kratzte sich in seinem grau-
borstigen Bart, denn Dayen holen, das
tut er gar nicht gern. Da mußte man so
weit steigen und so steil. Aber er zog ge-
horsam den Leiterwagen heraus und
spannte die Scheckin ein. Rurz darauf
trabten der Lukas, der Simmerl und die
Scheckin einträchtig über den holprigen
weg dem Wald zu.

plötzlich hob der Simmerl die Nase
lind schnüffelte in die Luft: „Regnen
kannt's leicht bis auf heut nachmittag."

Der Lukas nickte. Er brauchte die Nase
nicht aufzuheben und nicht zu schnüffeln;
denn der Himmel war schon seit etlichen
Stunden ganz grau, und obendrein hatte
der Regenpfeifer den ganzen Morgen ge-
schrien.

„Hüh'", sagte der Simmerl und platschte
der Scheckin mit der flachen Hand eine
hintendrauf. „Hüh'", sagte auch der Lukas
und setzte sich schnaufend schneller in
Schritt.

Endlich waren sie bei dem Dayenhaufen.
Der Lukas warf der Scheckin ein paar
Hand voll Heu hin und machte sich gleich
an die Arbeit. Mit beiden Händen packte
er die Dayen und zog sie auf den wagen.

„<öha", sagte da der Simmerl. Der
Lukas, der beinahe erschrocken innehielt,
sah, wie es in dessen Gesicht arbeitete und
zuckte. Der Simmerlbauer setzte sein aller-
psifflystes Gesicht auf.

„plimm die Dayen von unten außer!"
sagte er langsam, „nach Mittag kimmt
mei Bua, daß der's leichter Kat!..."

Den: Lukas blieb die Antwort im
Munde stecken. Er war schon viel ge-
wöhnt vom Simmerl, aber so was hatte
er doch nicht für möglich gehalten. Erst
nach einiger Zeit hatte er seine Geister
wieder beisammen. Er machte gleichfalls
ein ganz verschmitztes Gesicht und deutete
mit dem Ropf gegen den Himmel hinauf.

„Und wenn's zum Regnen kimmt, nach-
her hat der arme Häuter die nassen
Dayen. I moan, mir lassen ihm gescheiter
die untern!" ...

„Tuifl, ja", nickte der Simmerl, „recht
hast. Da dran Hab i gar nicht denkt!"

Der Simmerl soll sich nicht wenig ge-
wundert haben, als sein Bub nachmittag
eine ganze Fuhre nasser Dayen heimbrachte.

wenigstens hat es der Lukas so erzählt.

^ V t\f ß

Ich liebe mir den heitern Mann
Am liebsten unter meinen Gästen:
Wer sich nicht selbst zum besten
haben kann.

Der ist gewiß nicht von den Besten.

Goethe

Auch ein Reiseerlebnis

Ein Abteil im 1)-Zug München—Nürn-
berg. Eine Dame und ein Herr. Die Dame
sitzt am rechten Fensterplatz, der Herr auf
der gleichen Seite links. Sie kuschelt sich
in ihre Ecke und blickt zum Fenster hinaus.
Nach einer weile fühlt sie sich von dem
Herrn beobachtet. Ihre Bewegungen wer-
den etwas unfrei. Sie will sich vergewissern
und wagt einen Seitenblick. Richtig! Er
beobachtet sie!...

Allmählich wird der Dame die Sache
unbequem; das dauert nun schon eine gute
Viertelstunde. Er liest anscheinend nicht,
rührt sich überhaupt kaum. Er scheint nur
mit ihr beschäftigt. Sie sieht weiter an-
gestrengt zum Fenster und murmelt: „wie
peinlich!"

Endlich steht sie auf, laßt das Fenster
herunter. Ein Windstoß bläht ihr leichtes
Röckchen bis zu den Hüften hoch. Deutlich
fühlt sie die Blicke des Herrn an sich
herabgleiten. Vlun will sie seiner Auf-
dringlichkeit ein Ende machen, ihn mit

Februarabend

Bläulich dämmert am Hügel hinab zum
See

Matten Schimmers im Schmelzen der
kranke Schnee,

ln den Kebeln gestaltlos wie bleiche
T räume

Schwimmen vielästige Kronen erstorbener
Bäume.

Aber durchs Dorf, durch alle schlummern-
den Gassen,

Wandelt der Nachtwind, schlendert lau
und gelassen,

Raschelt am Zaun und läßt in den dunklen
Gärten

Und in den Träumen der Jugend Frühling

werden.

Hermann Hesse

einem vernichtendem Blick treffen. Rasch
entschlossen dreht sie sich um — und schaut
in das schlafende Gesicht des Abteilgenossen.
Seine Lider sind fest und ehrlich geschloffen.

Ist er jetzt erst eingeschlafen? Oder
schlief er schon immer? Ein wenig ent-
täuscht ist sie nun doch. So sind einmal
Frauen ... Otto W a l d

A cup of coffea!

Der Rellner unseres Stammcafes beißt
Rarl. Seit Jahren schon: Es bat aber eine
Zeit gegeben, in der man ihn „Charles"
und „Charlie" oder „Carlo" rief. Als er
nämlich noch vielgewandter Steward auf
den Schiffen aller Herren Länder war. Es
kann gar keiner ins Cafe kommen, mit dem
sich Rarl nicht in seiner Landessprache
unterhalten könnte. Zum mindesten aber
spricht er ein Englisch wie ein Lord.

Eines Cages kommt ein sehr junger, mit
nachlässiger Eleganz gekleideter Herr ins
Cafe und setzt sich ausgerechnet an Rarls
Service. Rarl, die Serviette im Arm, saust
dienstbeflissen hin und erkundigt sich nach
den wünschen des Gastes. Der mustert
Rarl mit der Überlegenheit eines Mannes,
der nur in ersten Hotels verkehrt, und sagt
kurz angebunden: „A cup of coffca, ste*
ward!“ — Rarl läßt sich nicht verblüffen.
Er grinst nicht einmal, sondern antwortet
höflich mit einem langen Satz in Englisch.
Er verzieht auch keine Miene, als der
junge Gentleman sichtlich verlegen wird.
Auf dem weg zum Büffet kommt er bei
mir vorbei.

„was ist denn mit dem da drüben los,
Rarl?" Jetzt verzieht er spitzbübisch das
Gesicht. „Ach, da ist ein Engländer gekom-
men, der net Deutsch und net Englisch
kann! Aber's Deutsche lernt er noch, bevor
ich ihn gehen laß"

Rarl bat sehr feine Umgangsformen.
Er kann sogar peinlich höflich sein, wenn
es sein muß. Der „Engländer" sitzt drüben
und wartet auf eine günstige Gelegenheit,
zum verduften. Der Rnabe Rar! begann
ihm irgendwie unheimlich zu werden. Schon
deshalb, weil er ein dienstbeflissenes. Auge
auf ihn hatte. Endlich entschloß der junge
Mann sich zum Geben. Er legte ein paar
Groschen auf das Cablett und suchte zu
flüchten. Aber Rarl batte aufgepaßt, half
dem Herrn in den Mantel und unterhielt
sich mit ihm noch eine kleine weile. Dann
ging der Herr mit hochrotem Ropf!

„Vla, was war jetzt los, Rarl?" — Rarl
kniff vergnügt die Augen. „Ich Hab ihm
auf Englisch gesagt, daß bei seiner Zeche
noch das Trinkgeld fehlt! Des bat der
Engländer gleich verstanden! Und dann hat
er sich recht schön auf Deutsch entschuldigt,
er hätte net mehr Geld dabei. Da sehns,
was a Fünferl ausmacht! An ganzen
Deutschkurs bat er g'spart!"

Ob, Aarl kann peinlich höflich sein. Er
hat dem Gentleman das Fünferl geschenkt.

Aber mit dem Fremdenverkehr Kat das
gar nichts zu tun ... w o f e r l

W2
Register
Woferl: [Vermischtes]
Hermann Hesse: Februarabend
Karl Baur: Vignette
 
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