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Julius H ü t h e r

Eine Geschichte aus dem Böhmerwald von Hans watzlik

ie Hochzeitsgäste redeten erregt und
bedrückt. Alles war schon zum Rirchgang
bereit, die Braut stand in ihrem Putz, die
Musikanten warteten, aber der Bräuti-
gam hatte sich trotz der vorgerückten
Stunde und trotzdem, daß er in der näch-
sten Nähe hinter dem Fichtenwald hauste,
noch immer nicht eingefunden. Auch von
seiner Verwandtschaft war niemand zu-
gegen, der Freibauer ausgenommen, ein
Vetter des Bräutigams, ein begüterter
Mann, der viele Bergweiden, Äcker und
Huben Waldes fein eigen nannte und viel
großes und kleines Vieh; er wohnte ein-
sam und seit einigen Jahren verwitwet
jenseits des Bergrückens und war nicht
eingeweiht in die Ränke, die in den Dör-
fern des Tales gesponnen wurden.

Als er den Unwillen des wartenden
Hochzeitsvolkes merkte, meinte er, ob nicht
etwa auf dem weg durch das Holz dem
Bräutigam etwas zugestoßen fei. Doch die

andern ahnten, daß in dem nachbarlichen
Gehöft die Wahrheit zerschwätzt und Ge-
rücht und Lüge daraus worden sei, daß
alte Verleumdung übermächtig worden sei
und den Verlobten in letzter Stunde zu-
rückhalte.

„wir wollen uns noch eine weile ge-
dulden", sagte die Braut. Sie hieß Ana-
kleta. Ein seltsamer Harne für ein Bau-
ernkind! Doch in den Einöden haben die
Leute genug Zeit, sich die vornehmsten
Namen aus dem Ratender zu suchen.

„Setzt euch, Freunde!" sagte Anakleta.
„Geduldet euch! Der Gregor kommt ganz
gewiß."

Sie war ein großes Mädchen mit an-
genehmen und ernsten Gesichtszügen, in
den gesunden Wangen malte sich ihr
reines Blut, und ein Myrtenreis grünte
ihr im Haar, das in reichen, vielsträngigen
Zöpfen sich um ihren Ropf wand.

Das Vormahl auf den mit fester Bau-

ernleinwand gedeckten Tisch stellend, sagte
sie: „wir wollen trotz allem fröhlich an-
heben! Eßt und laßt euch nicht nöten!"
Sie setzte jedem den bunten Teller vor
Suppe, Fleisch und einen Rrug Bier, und
sah nach, ob kein schartiges Messer und
kein verbeulter Löffel den Stolz des
Festes mindere.

Die Eltern Anakletas lebten nicht mehr
nur die Großmutter war ihr geblieben:
Verschrumpft, verplagt und alt saß sie bei
Tisch, hielt die Hände verlegen vor dem
Leib und flüsterte, verstört über das Aus-
bleiben des Bräutigams: „Ich habe nichts
mehr zu erwarten wie die Grube."

Der Vetter Pius geigte sich eben mit
dem Löffel ein Stück Ochsenfleisch vom
Rnochen und murrte: „Sie haben drüben
dem Gregor etwas vorgelogen. Er glaubt
in seiner Einfalt alles."

„Er kommt gewiß!" erwiderte Anakleta
unerschütterlich, „wir wollen uns bis da-
hin die Zeit verkürzen!" Und sie stimmte
mit wohltönender, tiefer Stimme eine
alte Sage an:

„Es ritt ein Ritter durch Heide und Grün,
und singen konnte er wunderschön,
auf allerlei Stimmen er singet,
so daß es den Wald durchklinget."

während die andern in den Rundreim
einfielen, wurde sie plötzlich still. „Mir ist
heute gar nicht zum Singen", sagte sie.
Und diente den Gästen noch einmal so
fleißig.

Der Freibauer folgte mit freundlichem
Blick ihrem Tun. Ihre heitere Geduld,
ihr gefaßtes Herz, ihr liebenswertes We-
sen sielen ihm auf. Einmal ertappte er sie,
wie sie mitten in ihrer Geschäftigkeit
einen kleinen Spiegel zu Rate zog. Er trat
zu ihr hin und scherzte: „Bist du so eitel;
Daß dir nur kein Pfauenkrönlein aus der
Stirn wächst!"

Sie lächelte: „Ich schaue nur, ob mir
kein Nußfleck auf der Nase sitzt."

„woher hast du dein sehr schönes La-
chen;" fragte er.

Sie sah ihn mit geradem Blick an. Er
hatte einen bartlosen, stolzen Mund, eine
scharfe Nase und starke, strahlende Augen,
wie man es auf den alten Ritterbildnissen
findet.

Die Uhr schlug. Sie schien die Stunden
eindringlicher zu zählen als sonst, und
Anakleta schrak auf und rief: „Fangt jetzt
getrost an, ihr Spielleute, und ihr Freunde,
tanzet! Ich geh einstweilen in das Haus
meines Bräutigams und hole ihn. Gewiß
Kat er verschlafen.

Sie warf noch einen sorgenden Blick
auf die Großmutter, doch diese war mit-
ten in dem festlichen Aufruhr in ihrem
Ehrenstuhl eingenickt.

Als die Braut durch das Wäldchen eilte,
dahinter der säumige Gregor wohnte, ver-
nahm sie hinter sich einen festen, weit-
greifenden Schritt, und der sie nun ein-
holte, war der Freibauer. „Ich hehr dir
suchen", sagte er.

Das ^aus Gregors war verriegelt und

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Register
Hans Watzlik: Anakleta
Julius Hüther: Bildreproduktion ohne Bezeichnung
 
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