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UN schlafen sie endlich", sagte die
junge Frau und setzte sich zu ihrem Ulann
an den Tisch, „nun wollen wir die Ruhe
genießen, jetzt unterhalte mich du ein
wenig."

„warum soll gerade ich es sein, der sich
anstrengen muß. Erzähl' mir doch lieber
du etwas von den Rindern."

„Von den Rindern;" Die junge Frau
zuckte die Achsel: „Mein Gott, sie haben
mich halt den ganzen Tag geplagt."

Der Mann sah vor sich hin und schrieb
mit dem Zeigefinger auf sein Rnie: „Ge-
plagt."

„Ach, du wirst schon genau so lang-
weilig", seufzte die Frau, „wie dein Vater.
Der hat auch den ganzen Tag auf seinem
Rnie herumgekratzt."

„Ich kratze nicht herum", wehrte sich
der Mann, „ich stenographiere mit, was
du sprichst."

„Tust du das; Stenographierst du nrit;
Hast du davon so merkwürdige Finger be-
kommen;' höhnte die Frau.

„Merkwürdige Finger;' Der Mann hob
seine Hand hoch und betrachtete seine
Finger: „Dicke Finger." Dann sab er

seine Frau vorwurfsvoll an: „So schief
gewickelt, daß dir meine persönlichen
Mangel auffallen;"

Vlun schämte sich die Frau ein wenig:
„Laß du dich so von den Rindern plagen!"

„Die Rinder plagen dich, weil du sie
nicht beschäftigen kannst."

„Du hast leicht reden", brauste die Frau
auf, „wo du dich den ganzen Tag um die
Rinder nicht kümmerst, was würdest du
denn nrit ihnen spielen;"

„Ich mit ihnen spielen;" Der Mann
stenographierte „spielen" auf sein Rnie.
„was ich — mit den Rindern — nun
vielleicht Seifenblasen."

„Seifenblasen;" Die Frau hob den
Ropf. „Seifenblasen — wir baben doch
keinen Strohhalm daheim."

„Ein Gänsekiel tut's auch."

„wir baben auch keinen Gänsekiel."

„Dann dreht man eben ein Papier zu-
sammen", belehrte der Mann.

Aber die Frau wollte um keinen Preis
Seifenblasen aus einem zusammengedreh-
ten Papier in die Welt schicken — ent-
weder mit Strohhalmen oder überhaupt
nicht.

II e i- m a n n K a s p a r

„Du mußt es ja wissen! Du weißt ja
immer alles", murrte der Mann und
wollte Verschiedenes auf sein Rnie
schreiben.

„Natürlich weiß ich es, weil ich \n
meinem Leben mindestens hundertmal
mehr Seifenblasen habe steigen lassen
als du." Die Frau lehnt sich ein wenig
zurück, sie schließt die Augen, um ihren
Mund zuckt es: „weißt du übrigens"
fragt sie leise, „wann ich, wo ich die letzten
Seifenblasen habe steigen lassen;"

„woher soll ich das wissen;"

„Du weißt weder dies noch das, mein
Lieber, du weißt überhaupt nichts, deine
Augen sind ebenso blind wie dein Herz. —
Die letzten Seifenblasen ließ ich fliegen,
als ich im ersten Iahre unserer Ehe so
viel allein war. Ich hatte noch nie im
vierten Stock gewohnt — und die bunten
Rugeln brauchten von da oben so lange
bis hinunter und es war schön und tröst-
lich ihnen nachzublicken."

„warst du so viel allein;" fragte der
Mann bestürzt.

„Den ganzen Tag, den ganzen lieben
langen Tag."

„Und du warst traurig; Und du hattest
Sehnsucht nach mir; Und das sagst du
mir erst heute;" Ach, dieser Mann, der
alles auf seinem Rnie mitstenographierte,
er siatte ein weiches, leicht gerührtes Herz.
„Das hast du mir so lange verschweigen
können;"

„warum hatte ich das alles früher er-
zählen sollen;" Die Frau zuckte die Achsel,
„warum; Es ist doch nie wieder gut zu
machen."

Der Mann ist wirklich traurig über
seine Versäumnisse, er will sie wieder gut
machen, „woher hattest du denn damals
einen Strohhalm;"

„Daran wirst du dich unmöglich erin-
nern können", sagt die Frau so obenhin,
„es ist schon fünf Iahre her, die Geburts-
tagsrosen, die mir mein damals noch auf-
merksamer Mann zu schenken pflegte, die
Geburtstagsrosen waren in Stroh ver-
packt."

„Und Heuer; Liebe, habe ich nicht Heuer
überhaupt aus deinen Geburtstag ver-
gessen;"

„Laß gut sein", wehrte die Frau ab,
„ich beginne mich daran zu gewöhnen."

*

Am nächsten Tag ging der große,
schwerfällige Mann in sein Raffeehaus
und fragte den Rellner, ob er nicht einen
Strohhalm haben könne.

„Einen Strohhalm;" wiederholte der
Rellner mit hochgezogenen Brauen.

„Ia, so einen Strohhalm, wie man ihn
zum Beispiel in die Limonade steckt."

„Bedauere", sagte der Rellner, „aber
dergleichen Strohhalme führen wir nur
im Sommer."

„Und wo haben Sie diese Strohhalme
im Sommer her;"

„Ein Momenterl, mein Herr, ein kleines
Momenterl."

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Register
Hermann Kaspar: Zeichnung ohne Titel
Bruno Brehm: Der Strohhalm
 
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