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Ah, da ist ja schon die Blumenhandlung.
Ein Rorb Zyklamen verbreitete in der
bunten Auslage Frieden und Zutrauen.

Der große, schwerfällige Mann bückte
sich, obwohl er getrost erhobenen Hauptes
durch die hohe Tür hatte eintreten können.
Eine Verkäuferin richtete sich vor dem
Spiegel ihren blonden wuschelkopf und
fragte, ohne sich umzudrehen, aus dem
Glase heraus: „Sie wünschen, bitte?"

Durch dieses Flöten mit gespitzten Lip-
pen etwas verwirrt, brachte der Herr auf
das Bescheidenste seinen Wunsch vor.
Aber noch ehe diese knallroten Lippen im
Spiegel etwas erwidern konnten, trat im
Hintergründe des Ladens, wie die
Lymphe aus der Grotte, zwischen Pal-
men, Rakteen und Lorbeeren, ein Fraulein
hervor, das sein noch helleres Haar

kämmte und dem verlegenen Herrn ent-
gegenträllerte:

„Sie wünschen? womit kann ich
dienen?"

„Dieser Herr", erwiderte an seiner
Statt das Fraulein vor dem Spiegel,
„wünscht einen Strohhalm."

„wir sind eine Blumenhandlung",
sagte das Fräulein aus der Grotte kühl
und überlegen.

„Aber Rosen werden oft in Stroh ver-
packt", wagte der Herr einzuwenden.

„Dieses Stroh", belehrte die Dame den
seltsamen Runden, „wird bei uns immer
sogleich weggeworfen." Sie zog ein Haar
aus ihrem Ramm und blies es fort.

„Und wo glauben Sie denn", fragte ver-
zerr gedrückt, „daß ich einen Strohhalm
bekommen könnte?"

„Oben an der Ecke, in der Futtechand-
lung, dort können Sie Nachfragen", sagte
die Nymphe aus der Grotte.

*

Ach, solch eine Stadt! wo wächst das
Rorn, wo wogen goldene Halme und wo
stehen diese endlos vielen grauen Hauser'
Autos tuten durch die asphaltierten
Straßen, Pferde gibt es täglich weniger,
niemand bringt mehr Stroh in die Stadt!

„Futterhandlung S. L." Das ist wohl
jenes Geschäft. Der schwerfällige Mann
trat ein, aufgepludert wie zwei Spatzen
saßen zwei dicke Frauen mit den Händen
unter den blauen Schürzen da und kehrten
dem Eintretenden ihre dunklen Augen in
den kälteroten Gesichtern zu:

„Sie wünschen?"

„Einen Strohhalm."

„Einen Strohhalm?" sagte die eine.

„Wohl zum Seifenblasen für die
Rinder?" fragte die andere und deutete
mit der gepolsterten Hand nach einem
Bündel Halme. „Litte, suchen Sie sich
nur einen recht schönen aus!"

Soviel Freundlichkeit verlangte eine
sorgsame Wahl. Der Herr hockte sich
nieder und zog nach langem prüfen einen
stattlichen Halm aus dem Bündel. „Ich
danke vielmals, was bin ich schuldig?"

„Nichts zu danken. Sie sind nichts
schuldig", sagten die beiden Frauen zu
gleicher Zeit.

Nun steckte sich der Mann den Stroh-
halm mit der bleichen ausgedroschenen
Ähre nach oben, durch das Rnopfloch
seines Mantels. Ein Leierkasten orgelte
mit schleppender, keuchender Stimme einen
schon längst vergessenen Walzer. Ein
alter Mann mit einer blauen weinbauer-
schürze kam leicht schwankend auf den
schwerfälligen Mann zu, der Strohhalm
schien sein Vertrauen erweckt zu haben.

„I wer dem gnä Herrn an Landler vor-
tanzen", sagte er mit etwas unsicherer
Stimme.

Der alte Weinbauer neigte sich etwas
vor, bog die Arme ab, legte den Ropf mit
dem weißen Raiserbart etwas zur Seite,
schloß halb die Augen und begann sich
würdevoll zu drehen, immer wieder auf-
stampfend, die abgebogenen Arme hebend
und so vor sich hinlächelnd, als blicke er
selig sein Mädchen an.

Nun blieben auch andere Leute stehen
und schauten dem alten Manne zu. Sie
lachten, sie sahen nur den Betrunkenen,
ahnten nichts von dem Glücklichen und
gingen kopfschüttelnd weiter.

*

Als der schwerfällige Herr heimkam,
lief ihm seine kleine Tochter entgegen:
„patsch Handi zamm, patsch Handi
zamm,

was wird der Papa bringen?
Schöne Schuhi, schöne Strümpfi,
wird das Rindlein springen",

sang sie und fragte dann ernst: „was hast
du mitgebracht?"

Toni Roth

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