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Susanne im Schnee

Von Otto Viol a n

Uwe arbeitet sich mit den Skiern durch
den tiefen Schnee eines weiten Ganges
zum Ramm hinauf, der sich scharf und
klar- gegen den Fimmel abhebt. Seit dem
Morgen ist er nun schon unterwegs und
steigt durch die Stille eines Tannenwaldes;
vorüber an Felsblöcken, die in dicke Man-
tel aus flockigem Schnee gebullt sind und
weiche, runde, weiße Mützen tragen. Eine
Vogelspur, dann und wann ein ferner,
rätselhafter Tierlaut oder das Rlirren
von Eisstücken, die der wind von einem
Ast weht, das ist alles, was Uwe auf dem
stundenlangen Marsch bisher wabrgenom-
nren hat. Er freut sich, daß er so mit dem
Schnee, dem durchsonnten Fimmel und
den firnigen weiten allein ist.

Oben, am Grat, bleibt er tiefaufatmend
stehen. Sein Rörper dampft von der An-
strengung. Es ist ganz windstill und aus
der gleißenden Höhe über ihm, in die er
kaum den Blick tauchen kann, flutet ein
warmer Strom nieder, der alle Schwere
in seinen Gliedern löst. Ein leichter Tau-
mel Kat ihn erfaßt, seit er hier steht. Uwe
möchte aber die Sinne klar haben für ein
Wunder, das er heute noch schauen darf.
Er ahnt, daß es ihm begegnen wird, wenn
er sich auch keine Rechenschaft darüber ab-
geben kann, was es eigentlich sein wird:
ein überaschender Blick in die Tiefe, das
verwirrende Bild einer einsamen, zerklüf-
teten Bergschlucht oder — ein Mensch. —
Vielleicht eine Frau, die schöner ist als
alle, die er kennt. —

Ja, eine Frau ... hofft Uwe und schnallt
die Skier an. Langsam gleitet er über den
pulverigen Schnee. Er hat jetzt keine Eile

mehr, in längstens einer Stunde ist er ja
wieder im Tal, in seinem Hotel. Er sucht
einen flachen Hang, auf dem er möglichst
wenig an Höhe verliert, er will den Ge-
nuß der Fahrt ausdehnen. Es ist Mittag,
was soll er den ganzen Nachmittag im
Gasthof schon tun? Der Hang hat sich
plötzlich stark gesenkt und Uwe saust in
weiten Bögen der Tiefe zu.

Da ...

Uwe schoß eben an einer Mulde vorbei,
die im prallen Schein der Sonne liegt.
Aus der Vertiefung glanzte etwas Zart-
helles, weichgerundetes... die Schultern
einer Frau oder eines Mädchens, das die
Einsamkeit des stillen, verschneiten Ganges
nutzte, um die Zauberbelle und die starke,
segnende Rrast des Feuerballes da oben
ganz zu genießen. Sie mochte sich in dem
weiten, glitzernden Reich so allein gefühlt
haben wie Uwe, darum batte sie sich der
Rleider entledigt. Sie stieß, als Uwe in
einer Wolke wirbelnden Schnees an ihr
vorüberstob, einen leichten Schrei aus und
griff nach ihrer Jacke. Nur in irrsinnig
jagenden Sekunden hatte Uwe ihr Gesicht
gesehen, ihr leuchtendes Haar, den schlan-
ken, weißen Rörper ...

Susanne im Schnee!

Ein wirrer, glückerfüllter Schrei hatte
sich aus seiner Brust gelöst. Und durch die
Flocken, die nun über die Mulde Kinweg-
tanzten, klang noch einmal aus der Tiefe
des Ganges, den Uwe jetzt durchspurte,
das belle Schwingen seiner Stimme:

Susanne... Susanne...!

*

Uwe tanzt in der Diele des Hotels mit
einem jungen Mädchen. Ihre Hände sind
noch heiß von der Sonne, ihr Haar leuch-
tet weizenblond und ihr Gesicht ist ge-
bräunt. In ihren Augen ist ein Stück der
reinen, strahlenden Blaue zurückgeblieben,
die sich am Tage in einem endlosen Bogen
über Schnee und Bergspitzen spannte.
Jetzt ist es Nacht und der Schein eines
verborgenen Deckenlichtes gleitet zärtlich
über die Gestalt in weißem Tüll, über
ihren Nacken und die sanft gerundeten,
weich abfallenden Schultern.

„Susanne im Schnee" ... flüstert ihr
Uwe zu, und das Mädchen senkt den Ropf.
Ihre streifen sein Gesicht, Uwe

atmet den Duft, der ihm daraus entgegen-
strömt. Er nimmt alles Fliehende und doch
Hinstrebende dieses jungen Rörpers in sich
auf, das Schwerelose und das Erdgebun-
dene. Das Wunder dieses Sonnentages
bat sich erfüllt.

Im Dunkel des Hotelganges, durch den
sie sich spät nachts in ihre Zimmer tasten,
küßt Uwe seine Susanne...

Liebe fugend!

Ich gehe mit meinem kleinen vierjähri-
gen Buben spazieren. Als wir an einem
Rino vorbeikommen, äußerte der Rleine
den Wunsch, auch einmal eine Rinovor-
stellung sehen zu dürfen. Ich fragte den
Besitzer, ob es ausnahmsweise gestattet
sei, woraus ich die Antwort erhielt: „Iu-
gendliche unter i§ Iahren haben keinen
Zutritt."

Dieses teilte ich meinem Iungen mit,
worauf dieser tief gekränkt zur Antwort
gab: „Aber Papa, du hättest dem Manne
auch nicht sagen brauchen, wie alt ich bin."

*

Meine zehnjährige Nichte sieht zum
ersten Mal moderne Tänze. Richernd
kommt sie nach einer weile des Staunens
zu mir und flüstert mir ins Obr: „weißt
du, das sieht aus, als müßten die alle sehr
nötig mal wohin" ...

*

„wie kam es, daß Ihr Mann so bald,
nachdem er sein Leben versichert hatte
starbt" — „Er hat sich zu Tode gearbeitet,
um die Prämie zahlen zu können."

L. WERNER,

MÜNCHEN INHABER J. SÖHNGEN

MAXIMILIANSPLATZ 13


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