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IN DE R Iv Ü

Wenn wir von der Werkstatt des Künst-
lers sprechen, so ist das wohl ein gutes
deutsches Wort, doch klingt es nicht zu-
gleich auch ein wenig nüchtern? Früher
hieß es „Atelier", ein Fremdwort, sicher,
doch schwang in ihm etwas von der
Stimmung und Atmosphäre mit, die uner-
läßlich sind, wenn unsere Vorstellung
vom Wesen und Raum des Künstlers sich
mit Wirklichkeit erfüllen soll. Wollen wir
trotzdem bei dem Worte Werkstatt bleiben,
so sei es als mit dem Geist des Atelier-
Begriffs gespritzt, geimpft und imprägniert
verstanden, damit nicht bloß das Bild von
einem Arbeitsraum entsteht, der abends
sozusagen vom Lehrling ausgefegt wird
und morgens pünktlich mit dem Glocken-
schlag den Motor seines Tagewerkes
anläßt.

Des Künstlers Werkstatt ist in erster
Linie Lebensraum. Zum Leben aber gehört
die Arbeit und die Muße. Es ist ein Sein
und keine bloße Tätigkeit. So stellt auch
die Werkstatt des Künstlers ein unab-
trennbares Zubehör, eine organische Be-
dingung seiner Persönlichkeit dar, eben
seine Atmosphäre, die mit seinen Leiden
wie mit seinen Freuden, mit seinem Geiste
und Gemüt, mit seinen Kräften wie mit
seinen Schwächen und Müdigkeiten ge-
schwängert ist. Sie ist dem Ei vergleich-
bar, in dessen Hülle sich das Leben formt
ünd verwandelt. Sie ist der Schicksals-
raum des künstlerischen Werkes.

Der Künstler als solcher ist daher ohne
seine Werkstatt und außerhalb von ihr
nur ein Teilbild seiner selber. Wenn es
vielleicht auch übertrieben wäre, wollte
man behaupten, er ähnele dem Schwan
am Land, so ist doch ohne Zweifel seine
Werkstatt sein eigentliches Element, wie
es das Wasser für den Schwan bedeutet.
Draußen ist er nur ein Dieser oder Jener
mit den Reizen und Fehlern eines Diesen
oder Jenen, denn zum Künstler wird er
erst in seiner Werkstatt, wohin er seine
Erlebnisbeute einbringt, um sie in künst-
lerische Substanz und Leistung umzusetzen.
Hier vollzieht sich der Schmelzprozeß,
der aus Stoff und Einfall, aus Motiv und
äußerem Anlaß inneres Geschehnis und
eine geistig schöpferische Notwendigkeit
zu bilden, das heißt Gestalt zu formen hat.

Alles echte Leben ist Rhythmus, ist
Wirklichkeit als Spannungsausgleich zwi-
schen polaren Verhaltungsweisen des
Seins. Arbeit und Muße, Willen und Er-
leidnis. Wissen und Traum müssen sich
befruchten, wenn schöpferisches Werk
gebildet werden soll. Ein Raum demnach,
in dem sich Kunst entfalten und gedeihen
will, muß in sich selber diese Doppelheit
der Pole als Rhythmus, als Ausgleichs-
stimmung und heimatliche Wirklichkeit
besitzen, und eben diese Wirklichkeit ist
seine Atmosphäre. Erst von ihr her ist er

N S I L E R - W

Mayrshofer

Oit mcyn uns narren fyn alleyn
Wir baut noch brüder gt*o(; und kleyn
Inn allen Landen überal
Gn end unser narren zal.

wahrhaft Stätte des künstlerischen Werkes
und seiner Möglichkeit.

Nicht jede sogenannte Künstler-Werk-
statt ist nun auch wirklich werkschöpfe-
rische Stätte, wie ja schließlich auch nicht
jeder Künstler ist, der sich so nennt. Je
ausgesprochener jedoch die künstlerische
Persönlichkeit, desto fühlbarer tritt uns
auch in ihrer Werkstatt ihre Atmosphäre
entgegen, und desto klarer teilt sich das

E. Manet

ER KSTAT T

Gesetz gerade ihres Spannungsrhythmus
mit. Es ist, als ob man sozusagen die
Wellenlänge ermessen könnte, auf der ihr
„Sender" eingestellt ist. Fülle oder
Strenge, Leichtigkeit und Herbheit, Qual
und Rausch, die Götter und Dämonen als
die hellen und die dunklen Mächte und
nicht zuletzt die bei einem jeden Künstler
besonderen Elemente der Zucht, der Form
und Ordnung bilden gewissermaßen die
Koordinatenpunkte im Netz der inneren
Raumbeziehung.

Manche Werkstatt scheint nackt und
kahl und ist doch geistig reich durch-
strahlt, während eine andere, von „Stimu-
lanzen" aller Art erfüllt, nur übersättigt
und auf eine dekorative Vordergründig-
keit der Werkimpulse ausgerichtet wirkt.
Hier findet man ein Schlachtfeld vor, dort
einen „Garten", in einer dritten Werkstatt
wieder ist die Farbe, in einer vierten die
Linie ausschlaggebend. Im einen Raum
erweist sich der Künstler gleichsam als
von den Wänden her bestrahlt, in einem
anderen strahlt er selbst von seinem
eigenen Zentrum her in den Raum hinein
und über ihn hinaus. Hier dehnt er sich in
ungemessene Weiten, dort grenzt er sich
bewußt nach innen ein.

Betriebsamkeit und Dünkel, Geschäfts-
gesinnung und Krampf, Verlogenheit und
bloßer Formalismus schlagen sich nicht
weniger deutlich in der Atmosphäre nieder
als Fleiß und künstlerische Demut, Selbst-
losigkeit und Einfallreichtum, Wahrhaftig-
keit und echte Gestaltbemühung. Jene
zehren das Schöpferische auf, doch diese
mehren es. Jene entleeren und diese
sättigen den Raum mit der lebendigen
Fülle des Seins. Mehr als auf irgendeinem
anderen Gebiet des Lebens, weil auf
geheimnisvolle Weise von der seismogra-
phisch feinen Empfindlichkeit des Künstler-
tums vermerkt und wahrgenommen, wirken
beim Künstler und seiner Werkstatt Mensch
und Raum aufeinander ein. Sie sind ver-
schiedene Ebenen und Dimensionen ein-
und desselben Wesens, einander zuge-
hörige Pole und Strahlungsbereiche des
Schöpferischen, die sich schicksalhaft
bedingen, hemmen oder fördern.

Indem der Künstler ihr Verhältnis zu

rhythmischer Ergänzung und konzentrativer
Klarheit gestaltet, die der Arbeit wie der
Muße ihr individuell verschiedenes Recht
gibt, wird dem Schöpferischen das Maß
und der Weg seiner Selbstverwirklichung
zuteil. Weder Trägheit noch Hetze, son-
dern nur der Atemausgleich zwischen
Schau und Tat verbürgt lebendige Kunst.
Diese will und muß wachsen können wie
alles wahre Leben. Die ausgewogene

Spannung aber zwischen dem Künstler
und seinem Werkstatt-Pol bereitet das

rechte Klima solchen Wachstums.

Jorg Lampe

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Register
Jorg Lampe: In der Künstler-Werkstatt
Max Mayrshofer: Vignette
Édouard Manet: Zeichnung ohne Titel
 
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