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Der „Dompteur"

An einem Nachmittag Anno 10...
saßen in der Fensterecke einer alten gemüt-
lichen Bierwirtschaft „Zum Stubenvoll"
an einem alten Ahorntisch der Riedl Franz,
der Ortner Sepp, der Pfeiffer Heini, der
Fey Wale (Rarl Valentin) und noch ein
paar andere. Da knarrte die alte Wirt-
schaftstüre und herein kam der „Domp-
teur".

Bei dem Wort „Dompteur" denkt man
unwillkürlich an den Bändiger wilder
Bestien, wie Löwen, Tiger oder derglei-
chen. hier bandelte es sich aber um eine
kleine zahme — Turteltaube, die der
„Dompteur" mühselig zu kleinen akrobati-
schen Kunststücken abgerichtet hatte.

wie schon öfters, nahm der „Domp-
teur" — übrigens ein Mann von riesen-
hafter Figur — uneingeladen am Tische
Platz; nur war er diesmal so stark an-
geheitert, daß man ihm eine Vorstellung
mit der Turteltaube nicht mehr recht zu-
traute. Mit seinen dicken, wuchtigen
„Pratzn" hob er seinen kleinen gefiederten
Rünstler aus dem Rorb, stellte einige
kleine Artistenrequisiten auf den Tisch,
schob mit dem Unterarm die Bierkrüge
beiseite, um Platz für eine „Zirkusmanege"
zu schaffen.

„So, Jakl, jetzt zeig mal den Herrschaf-
ten schön, was du alles kannst!" Er setzte
den Jakl auf eine Schaufel, dann auf eine
Rugel, zuletzt noch aus eine Leiter, doch
seine Runst war wirklich nicht verblüffend.
Drei Minuten — langer dauerte keines
seiner Gastspiele. Dann steckte er seinen
Jakl wieder in den Rorb, nahm einen vor
Schmutz strotzenden Blechteller und ging
von Gast zu Gast: „Ein kleines Trinkgeld
für den Jakl."

Da schrie der Rellner plötzlich: „Du —
da schau HL' — deinem Jakl hast an Ropf
ei'zwickt ins Rörbei!" Alles wandte die
Röpfe — und siehe, Ln seinem Rausch
hatte der „Dompteur" mit dem Rorb-
deckel dem Jakl den Garaus gemacht.

Ein kleines Zirkusdrama spielte sich nun
ab. Der „Dompteur" nahm das tote Tier-
chen mit beiden fanden und starrte es an;
dann gurgelte es langsam aus seiner Luft-
röhre heraus: „I— a — k — l" Und sein
Haupt mit dem langen filzigen Bart sank
wie ein Leichentuch auf den toten Vogel..

Es war eine seltsame Stimmung an
dem Tisch, wo es sonst immer zu lustig
herging. Als sich der Riese wieder
erhob, murmelte er ein zweitesmal:
„I — a — k — l!" .. Tranen rieselten über
seine Wangen und versickerten in seinem
Vollbart.

Die Z e n t a aber machte der Trauer-
feier ein schnelles Ende: „Jetzt is a scho
hi! — Tuan her, — nacha soll'n d' Riedl
Muatta brat'n." Und so geschah's. Nach
einer Viertelstunde lag der gebratene Jakl
vor seinem „Dompteur" und erfüllte sei-
nen letzten Zweck auf Erden ...

Karl Valentin

14

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J

Liebe blüht auf allen Wegen,
selbst am Dache hat sie Platz.
Lenzesfreudig sucht deswegen
jedes Männchen einen Schatz.

Und es fragen sich die Tauben,
„Hat’s der Mensch von uns gelernt?*
Und die guten Menschen glauben:
„Die sind weit von uns entfernt!44..


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Oberberger

Lr weiß sich zu helfen . . .

In der Schule erzählt der Lehrer den
Rindern von der Erschaffung der Erde
und, wie der Adam zuerst ganz allein auf
der Erde gewesen ist. „Na, Rinder",
meinte er gemütlich, „was hatts denn jetzt
ihr getan, so allein auf der Erde?" — Ein
Bub hebt den Finger. „Des hatt mi gar
net scheniert, Herr Lehrer. I war einfach
in d' Trambahn gstiegen und nach Pasing
zu meiner Großmutter gfahrn." ...

Professor Redon

Er trug beharrlich einen schwarzen, ab-
genutzten Schlapphut, den jeder Zimmer-
geselle selbst in verlassenen Gegenden nicht
aufgesetzt hatte. Im Schatten des Breit-
randers glühten lebhafte Äuglein hinter
großen RIemmerglasern auf, die braune
haarfülle einer Perücke stieß ringsherum
tief in das Gesicht vor. Er hieß „Professor
Nedon" und meisterte das Lello. Auf
großen Ronzertreisen hat er sich den Ruf

als Musiker, mit kleinen Menschlichkeiten
den Ruf als Original der kleinen Stadt in
Mitteldeutschland erworben.

Einst schritt er mit wehender Pelerine
des Weges; fragte ihn ein Bekannter:
„wohin mit dem Cello, Meister Nedon?"
— „In die Sankt Ratharinenkirche", ent-
gegnete der Professor mit würde.

„Und was tun Sie da?" Da reckte Pro-
fessor Nedon seine kurz gedrungene Gestalt,
warf pathetisch den Ropf zurück und
dröhnte feierlich: „was ich da will, mein
guter Freund? Ich will mit meinem In-
strument zum sündigen Volke reden!"...

Die landschaftlich wundervolle mittel-
deutsche Stadt, in der Professor Nedon
lebte, hatte auffallend häufig Pech, wenn
sie der Runst ein Fest bereiten wollte. Sehr
oft verkrachte dort irgendeine mit Fan-
farenstößen und Trommelwirbel verkün-
dete Aufführung, wenn man fast 50 Jahre
die Welt über den Bauch des Cellos zu
betrachten gewohnt ist, hat man jenen Ab-
stand von den Dingen und weltlauften
gewonnen, der zur Lebensweisheit nötig
ist. Aus der Fülle seiner Erkenntnis prägte
Nedon nun einen Satz über die ins Grün
gebettete Stadt seiner Tätigkeit. Er
sprach gewissermaßen in großen Lettern:
„wissen Sie, mein Freund, unsere Stadt
ist die' .heitere Grabstatte aller künstleri-
schen Unternehmungen!‘"

Professor Nedon war zu einer Fast-
nachtsveranstaltung in einem kleinen Rreis
geladen. Es gab allerlei gute Getränke.
Der Meister wehrte immer mit opern-
großer Geste linkshändig ab indes er
rechtshändig das Glas zum Einschenken
hinhielt. Seine letzten Cellovortrage woll-
ten darum nicht mehr so recht glücken.
Immer wieder rutschte der Rlemmer von
der Nase und der Einsatz begann zu
hinken. Schließlich hatte er wohl selbst das
Gefühl, daß es Zeit zum Aufbruch sei. Und
Nedon preßte sein teures Lello an den
Busen und empfahl sich den himmlischen
Gewalten, wie von einem Dämon geblasen
segelte der Meister quer über die Straße.
Dann riß ihn das „Unbekannte" jäh wieder
zurück, warf ihn messerscharf an einem
Laternenpfahl vorbei, um den Meister
nach diabolischen pizzikatoschritten mit
einem grandiosen Finale auf die Mitte
des Straßenpflasters zu setzen, hilfsbereite
stürzten herbei. Denn es hatte grausam
geklungen, als gelte es Rnochensplitter
und Scherben zu sammeln. Man hob
Nedon und sein Rlangwerkzeug empor.
Der Musengott war beiden gnädig gewe-
sen; — nichts war ihnen geschehen. Pro-
fessor Nedon stülpte seine braune Perücke
und seinen zerbeulten Schlapphut auf's
Haupt, sah feierlich in die Runde und
sprach:

„Meine Herren! Das ist wohl das erste
Mal, daß man in dieser Stadt etwas zur
Hebung der Runst getan hat!"...

Peter P o d d e I

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Register
Josef Oberberger: Zeichnungen ohne Titel
Peter Poddel: [Vermischtes]
Karl Valentin: Der "Dompteur"
[nicht signierter Beitrag]: Gedicht ohne Titel
 
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