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„Achtung, daß Ihr Rucksack nicht ver-
tauscht wird!" sagte der altere Herr zu
seinem Sitznachbarn, als sie sich zum Flug-
steigen rüsteten. Er war ein hochgewachse-
ner Mann mit dichtem, schon leicht er-
grautem Haar. Er stellte sich aus dem
Bahnsteig vor und schlug dem Jüngeren
vor, die Tagespartie gemeinsam 311
machen, wahrend sie langsam ihre Spur
durch den winterlichen Wald zogen, er-
zählte er:

„Bor Jahren stieg ich einmal in dieser
Haltestelle aus lind merkte sofort, daß
mein Rucksack vertauscht worden war,
noch dazu gegen einen Damenrucksack. Das
ärgerte mich zwar, aber ich ließ mir doch
die Laune nicht verderben. Das Wetter
war schön, ich brauchte im Grunde nichts,
und abends im Sportzuge hoffte ich den
Rücktausch glatt bewerkstelligen zu kön-
nen. Ich ging also mit dem fremden Ruck-
sack los. Allmählich verspürte ich ein an-
genehmes Gefühl von Sympathie gegen-
über diesem Rucksack, der mir im Ber-
gleich zu meinem so leicht schien, als säße
mir bloß ein Schmetterling auf dem
Rücken. Aber bald entdeckte ich, daß die
wahre Ursache dieser angenehmen Emp-
findung nicht das geringe Gewicht des
Rucksackes, sondern ein feiner Duft war,
der ihm entströmte. Ich erkannte gerade

„Das Ei ist rot,

ich liebe dich bis in den Tod.“

„Wenn auch das Ei zerbricht,
doch unsere Liebe nicht.“

(Sinnsprüche auf Ostereiern aus Kärnten)

jenes Parfüm, daß ich besonders liebe, und
mit dem ich — ich bin nämlich Schrift-
steller — die dämonischen Frauengestalten
meiner Romane auszustatten pflege.

Bei der ersten Rast plagte mich die Neu-
gierde sehr. Ich öffnete den Rucksack. Er
enthielt eine Ronserve, russische Makrelen
in Tomaten, die ich sehr schätze, ein Stück
dunkles Gesundheitsbrot, wie ich es mir
gewöhnlich nur an Sonntagen vergönnte,
einen ganz vorzüglichen Rüchen, hausge-
macht, ohne die sonst fast immer ange-
brannten Eckstücke, ein paar Zigaretten
und ein Fläschchen Enzian. Ich hatte es
mir nicht bester wünschen können. Mit
leichtem Herzklopfen — der Teufel hole
die schriftstellerische Phantasie — beför-
derte ich ein feines, überaus geschmackvol-

les Seidenjackchen und ein paar bauch-
dünne Strümpfe zutage.

Aber das Beste kam erst. Ich fand noch
ein Buch. Und es war mein Buch „Die
Insel der Liebenden". Sie können wohl
kaum die Rührung ermessen, die einen
Schriftsteller ergreift, wenn er entdeckt,
daß es Menschen gibt, die sein Buch wirk-
lich lesen. Noch nicht genug. Ich fand
sogar manche Stellen unterstrichen und
daneben Randbemerkungen „herrlich, ein-
zig, wie sein beobachtet" usw., Balsam auf
die Wunden, die von den Federn der zünf-
tigen Rritiker geritzt werden. Überdies
standen bei einigen Sätzen, die ich selbst
als stilistisch mangelhaft empfand, Ruf-
zeichen und ganz ausgezeichnete Berbeste-
rungen.

Meine Neugierde stieg ins Ungemestene.
Boll Ungeduld beendete ich meinen Aus-
flug und setzte abends in der Talstation
alle Hebel in Bewegung, um die Unbe-
kannte zu finden. Wider Erwarten gelang
es mir nicht. Erst einige Tage spater,
durch einen Zufall, lernte ich sie kennen.
Sie war nicht so hübsch wie ich geträumt
hatte, aber äußerst klug und geschickt, wie
die Schlange im Paradies, wenige
Wochen später war sie meine Sekretärin.
Die tüchtigste, die ich je hatte."

„Nun also, da hatten Sie Glück ge-
habt."

„wie mans nimmt. Ihre Tüchtigkeit
war schon fast unheimlich. Sie wurde mit
der Zeit auch mein Propagandachef, mein
Rechtsanwalt, meine Vertreterin in
Steuersachen, Rrankenversicherung und
Verlagswesen, meine Sportgenossin, meine
Muse, meine Röchin und meine Buchhalte-
rin. wahrscheinlich wird sie, wenn ich alt
bin, auch meine Werke schreiben und spa-
ter meinen Nachlaß vorbildlich betreuen.
Aber es ist zu viel. Es gibt eine Tüchtig-
keit, die einen rasend machen kann. Sie ist
ein Weib, das nur aus Talent und Be-
wußtheit besteht. Alles ist überlegt, vor-
bedacht, erwogen."

„Aber damals ist ihr doch ein Irrtum
passiert, als sie den Rucksack vertauschte!"

„Ach, wo denken Sie hin; Auch das war
bis ins Rleinste vorausberechnet. Sie
hatte aus meinen Büchern meine Schwa-
chen, meine Eitelkeiten, meinen Geschmack
genau studiert, vermutlich in eine Tabelle
gebracht und darnach einen lückenlosen
Generalstabsplan entworfen. Unerträglich
für mich, der ich gewohnt bin, aus dem
Unbewußten zu schöpfen."

„Nun, dann entlasten Sie sie doch."

„Unmöglich! Ich habe vielleicht ver-
gessen zu erwähnen, daß sie natürlich auch
meine Frau geworden ist."

Aus der Rückfahrt hielt der Jüngere
unwillkürlich seinen Rucksack fest an sich
gepreßt.

Der Andere lächelte ein wenig trüb:
„Ganz recht, galten Sie den Rucksack fest.
Denn niemand weiß, ob er nur Proviant
für einen Tag enthalt oder Unverdauliches
für ein ganzes Leben."

Julius Diez

Bruno W o 1 f g a n g
Index
Bruno Wolfgang: Der Rucksack
Julius Diez: Zeichnung ohne Titel
[nicht signierter Beitrag]: Vignette
 
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