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Schwabing 1906 Champagne 1916

Walter Schulz-Matan, auch
einer von jenen Malern, die in München
eine zweite Heimat fanden, wird dieser
Tage fünfzig Jahre alt. Hier erzählt er
humorvoll aus Krieg und Frieden.

Kaum war ich aus der Lehre, lief ich
meinem Malermeister davon, um mich auf
den Weg nach München zu machen, denn
ich hatte gelesen, daß dort die Kunstmaler
„gemacht" würden. Sie können sich gar
nicht vorstellen, mit welcher Aufregung der
Siebzehnjährige nach vielen Stunden Fahr-
zeit im Münchner Hauptbahnhof seinen
Personenzug verließ. In jedem Zweiten,
dem ich begegnete, witterte ich einen
leibhaftigen Kunstmaler. Aber ich war zu
schüchtern, um sie anzusprechen. Ich ban-
delte lieber in meinem Sächsisch mit einer
alten Frau an, die mit einem Stecken in
einer Trambahnschiene herumstocherte.
„Hamse ä Geld verloorn?" Da bekam ich
gleich die erste klassisch eindeutige Aus-
kunft auf Münchnerisch: „A Geld valorn?
An Dreeck ram i aussa!" Immerhin war
der Kontakt gefunden und auf meine
Frage, wo man denn hier Kunstmaler
treffen könne, meinte sie: „Soichene Spin-
nerte sehng S' im Cafe Stefanie gnua."

*

Scheu und unsicher setzte ich mich in
diesem Cafe Stefanie an einen leeren Tisch
und sagte zu dem Kellner auf dessen Fra-
ge, was ich wünsche: „Einen Kunstmaler
möchte Ich sprechen." „Ich meine, was ich
Ihnen bringen darf?" erwiderte der Andere
mit mehr Betonung. „Eigentlich nichts, Herr
Ober, können Sie mir vielleicht einen
empfehlen?" Dies hörte ein Mann mit
langen wallenden Haaren und hoher
Fistelstimme. Mit bedeutsamer Geste ließ
er sich an meinen Tisch nieder und ich
machte ihm ehrfürchtig Platz. „Sei gegrüßt,
Bruder und Mensch", begann er. „Kunst-
maler bin ich nicht, aber Mensch und
Lebenskünstler. Was ist dein Begehr,
Bruder, kann ich dir dienen?" Überwältigt
von soviel Herzlichkeit und Anteilnahme
öffnete ich ihm mein Herz und erzählte
ihm, daß ich Kunstmaler werden wolle.
Mein Gegenüber holte dreimal tief Atem
— ich sehe ihn noch heute vor mir —
machte eine Handbewegung, als wollte
er etwas Unsichtbares aus der Luft ziehen,
wobei er das Gesicht mit geschlossenen
Augen zur Decke wandte und sagte
salbungsvoll: „Bruder, dir soll geholfen
werden." Während meine Augen an sei-
nen Lippen hingen vor Freude und Be-
geisterung darüber, schon so schnell ans
Ziel zu kommen, begann er zu lispeln:
„Ich bin von der Kette. Der große Meister
ließ mir die himmlische Gnade zuteil wer-
den, daß ich dank der Kokosnuß und dank
der hochverdienten genuesischen Schiff-
fahrtsgesellschaft Hulalifax in die glück-
liche Lage versetzt bin, allen jenen, die
so diese meine wahrhaften Worte, als
Einzelindividium, d. h. in transzendenter,
imaginärer Weise als ihr heiligstes Kleinod
unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu
ihrem Eigen machen, zum Excelsior zu
verhelfen ..." Der Speichel rann ihm aus
den Mundwinkeln. Noch immer hatte er
die Augen geschlossen. „Nur Kokosnuß,
Bruder, kann dich retten, denn unser
Meistor hat die Kokosnüsse nur für Wenige
wachsen lassen, nur Kokosnüsse, junger
F[eund ..Trotz allen anfänglichen ehr-
fürchtigen Staunens hielt ich das auf die
Dauer doch nicht mehr aus. Während der
Prophet vor dem leeren Sessel weiter
predigte, schlich ich mich aus dem Cafe...
Wie ich später erfuhr, war ich in München


Theo Scharf

Abendliches Mutterlied

Von Hanns Maria Braun

Der Hang war grau und die Hütte klein,
in der Du mich zur Welt gebracht.

Der Abend schlief mit Deinen Liedern ein
und Du schläfst Deine ewige Nacht.

Die Welt war weit und die Heimat mein,
an die ich immer wie an Dich gedacht.
Das Leben hüllte sich in all die Jahre ein,
jedoch das größte Wunder bleibt in Dir
vollbracht!

(Jugend 1914) Julius Diez

„Was? Seeräubern soll ich nicht? Dann freut
mich ja meine ganze Weltmacht nicht mehr!"

zu allererst dem damals so berühmten
Kokosnußapostel vom Cafe Stefanie in die
Hände gefallen.

*

Weil ich da so manchen von den Kame-
raden wieder in Uniform sehe, eine kleine
Erinnerung an die Westfront. Das war in
der Champagne, 1916. Wir kamen oft nach
Savigny in Ruhe. Mit der Zeit trug der
ganze Ort meine Handschrift. Oberbaye-
rische Bauernmalerei im Soldatenheim,
Bauernmalerei im Offizierskasino und im
Soldatenkino, ja sogar Bauernmalerei an
den mächtigen Wegweisern zur Latrine.
Schließlich bauten wir uns auch ein
Theater und weil wir allweil eine fidele
Bande waren, die sich nicht kleinkriegen
ließ, hatten wir auch bald die dazu ge-
hörige Schrammelmusik. Es fehlte nur noch
eine Baßgeige. Ein Wagner und ich er-
boten sich so eine „Süsel" zusammenzu-
bauen, wenn die andern das Material
dazu beibrächten. Wir wußten, daß das
nicht einfach sei, denn die Champagne
war ebenso reich an Lehm und Kreide,
wie arm an Holz. Und Kommoden und
Kästen gab's schon lange nimmer in den
Häusern. Aber der echte Soldat treibt
immer was auf. Da war ja nächst der Orts-
kommandantur ein ganzer Berg von leeren
Särgen aufgestapelt. Prompt standen
schon am nächsten Morgen in meinem
Quartier gleich zwei von den braun ge-
beizten „Knochenkisten" mit einem Zettel
daran: „Der Hauptmann kommt geritten
auf einer alten Kuh, der Schwanz ist ab-
geschnitten, die ,Susel' brummt dazu."
In dem einen Sarg lag ein abgeschnittener
Pferdeschweif samt Spazierstock für den
Fiedelbogen. Da war sie denn in wenigen
Tagen geboren, die Champagne-Susel,
blau gestrichen, bäuerlich bemalt und von
uns allen heiß geliebt. Mehrmals entführt
und wieder aufgespürt, machte sie brav
und tapfer unser rauhes Kriegerleben mit
und zum Schluß auch noch den Rückzug.
Erst dann verschwand sie eine Zeit lang.
Aber sie lebt noch immer, unsere „Süsel",
und führt nun im Münchner Armeemuseum
ein wohlverdientes, ruhiges Dasein.

O diese Kinder!

Im Laden eines Kleintierhändlers stehen
zwei Kinder, ein Bub und Mädl. Ein Meer-
schweinchen möchten sie kaufen.

„Was wollt Ihr da", fragt sie der Händ-
ler, „ein Männchen oder ein Weibchen?"

„Ach", meint der Knirps, „das ist ganz
egal — wenns nur Junge kriegt."

te

*

Eben hatte Mutti die kleine Irmgard, mit
der sie am Nachmittag in einer Bilderaus-
stellung war, ausgezogen, um sie zu Bett
zu bringen. Doch die Kleine, die wieder
mal gar keine Lust zum Schlafen verspürte,
entwand sich ihr lachend und hüpfte voll
Übermut im Evakostüm durch die ganze
Wohnung. Schließlich machte sie vor dem
Spiegel Halt, warf sich in Positur und rief:
„Mutti, glaubst, so schön wie die in der
Bilderausstellung bin ich auch."

Hu

Unser Ältester, zum erstenmal allein in
Ferien, hat uns heute eine Karte geschrie-
ben; er ist acht Jahre alt: „Herzlichen Gruß
aus den Ferien. Es gefällt mir sehr gut.
Euer Hansl. Gruß an Berta, Fritz und Kin-
der." — Er war zuletzt mit der Mutter auf
dem Lande gewesen — und so hatte er
von ihr die üblichen Feriengrüße gleich
übernommen. em

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Register
Theodor Scharf: Zeichnung ohne Titel
Erich Wilke: Zeichnung ohne Titel
Hanns Maria Braun: Abendliches Mutterlied
[nicht signierter Beitrag]: Schwabing 1906 - Champagne 1916
[nicht signierter Beitrag]: O diese Kinder!
 
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