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Pünktliche habens leicht

Vielleicht gehören Sie auch zu den Un-
glückseligen, die mit dem besten Willen
zur Pünktlichkeit — regelmäßig zu spät
kommen. Die Pünktlichen begreifen sowas
nicht. Die sagen: „Ich komme um 5 Uhr 15,
und dann sind sie um 5 Uhr 15 da. Diese
Mathematiker der Armbanduhr können
gar nicht verhindern, pünktlich zu sein.
Sie sind es von Natur aus; sie sind es,
so wie sie blond sind oder breitschultrig
oder braunäugig. Wir andern streben Zeit
unseres Lebens darnach, es ihnen gleich
zu tun. Wir erreichen es nie.

Pünktlichkeit ist keine Tugend, sondern
eine beneidenswerte Begabung. So Sie
zu uns Unbegabten gehören, kennen Sie
ja den Kampf, den wir täglich aufs Neue
um die Pünktlichkeit führen und in dem
wir täglich aufs Neue unterliegen. Aber
keine Ballade besingt unsern aussichts-
losen Kampf. Ganz im Gegenteil werden
wir verlacht, ja beleidigt und geschmäht,
weil wir das Mysterium Zeit nie ganz er-
fassen, weil wir zu weichherzig sind, um
uns rücksichtslos auf die Minute von einer
Gesellschaft zu trennen, die uns ungern
entläßt, weil wir ewig das Opfer unglaub-
lich boshafter Zufälle werden, die uns
daran hindern, zur festgesetzten Zeit zu
erscheinen.

Unlängst hatte ich eine Verabredung,
die man zu deutsch Rendezvous nennt.
Bei dieser Verabredung kams auf Minuten
an. Es war nämlich die erste. Bei einem
Pünktlichen pflegt sich in solchen Fällen
nur das leichte, nicht unangenehm er-
regende Herzklopfen einzustellen. Unser-
einer» dagegen beunruhigt sofort die
Sorge, man könne sich an diesem, viel-
leicht fürs Leben entscheidenden Tag ver-
späten. Um vier Uhr sollte ich dort sein:
auf dem Stachus natürlich, denn anderswo
wäre eine Verabredung kein Rendezvous.
Um alle Zwischenfälle auszuschalten,
stellte ich mich schon um drei Uhr hin.
Eine Ewigkeit stand ich dort und dann
sah ich endlich zum Karlstor hinüber auf
das große Zifferblatt, und dann war es
3 Uhr und drei Minuten. Ich sagte mir,
wie fesselnd doch so ein belebter Platz
um die nachmittägliche Stunde sei, mit
den vielen Menschen, mit den Verkehrs-
schutzmännern und den Autos. Und als
ich mich nach gründlichem Studium dieses
großstädtischen Treibens abermals nach
dem Karlstor umdrehte, war es 3 Uhr und
sechs Minuten. Die Versuchung, den
Posten aufzugeben und nach dreiviertel
Stunden wiederzukehren, lag nahe. Aber
unsereiner kennt nur zu gut die Gefahren,
die überall lauern; und sei es ein Bekann-
ter, der eigens zu diesem Zweck aus
Afrika angekommen ist, und sei es eine
kleine Straße, die wir geschwind suchen
wollen und die uns bis ans äußerste
Schwabing lockt. So hielt ich aus, kaufte
mir eine Zeitung und las mich vom Leit-
artikel bis zum Inseratenteil durch. Als-
dann fing ich wieder von vorne an.
Plötzlich weckte den Leser eine hohe,
spitze Stimme: „Natürlich, so kokett und
eitel ist der Herr, daß er so tut, als warte
er auf gar niemand." Die Karlstor-Uhr
zeigte genau die vierte Stunde an.

Vergebens alle Verteidigung. Man
glaubte nicht, daß ich deshalb die Zei-
tung las, weil ich eine Stunde zu früh
kam, um keine Minute zu spät zu kommen.
Man lächelte nur. Es war jenes Lächeln,
das eine Hinrichtung ersetzt. Kristl

Jugend 1914 Paul Rieth

„Uollen Sie, Miß Sphinx, die Lösung von Ihre
Rätsel saggen?"

— ,,Oh yes! Das englische Imperium wird nicht
so lange bestehen wie ich!"

Oktobermond

Der Wald voll milder Blätterflammen
zieht in die kühle Gruft der Nacht,
schwarz hinterm Gilblaub ragen Tannen
zu einer feierlichen Wacht;
im Licht des Mondes wächst ein Hügel
mit einem Weg von Silberflor,
darauf der Weiser seine Flügel
hebt wie ein beinern Kreuz empor.

Rudolf Schmitt-Sulzthal

Jugend 1914 Julius Diez

Auch die Wahrheit möchte der Brite noch ein-
scharren, aber sie aufersteht immer wieder und
hält ihm den Spiegel vor seine Fratze.

Baknisswira!

Der Kanonier Obermeier war im höch-
sten Grade bildungswütig und überall, wo
er mit seiner Kanone hinkam, suchte er
einige Brocken der Landessprache zu er-
haschen, um sich mit den Leuten ein
wenig verständigen zu können.

Das Schicksal und die Oberste Heeres-
leitung wollte es 1915, daß die Batterie
in den Orient kam und in dem kleinen
Nest, in dem sie für die erste Zeit unter-
gebracht wurde, gab es eine größere An-
zahl Armenier.

Zuvörderst wollte der Obermeier den in
dieser Gegend üblichen Gruß wissen und
darum ging er nach seiner vielfach be-
währten Methode vor. Er näherte sich
einem Mann, der an einer Straßenecke
kauerte und sagte ein paarmal laut und
deutlich „Guten Tag!", worauf er seinem
Gegenüber einen fragenden Blick ins Ge-
sicht pflanzte. Der Armenier verzog keine
Miene und murmelte beinahe feierlich:
„Baknisswira!"

So, das hätten wir, dachte sich der
Obermeier, und prägte sich das Wort gut
ein, um es bei passender Gelegenheit an-
wenden und damit prunken zu können.
Als der Obermeier noch am gleichen Tag
mit einigen Kameraden auf dem Markt-
platz herumschlenderte, da kam eine
hübsche Armenierin des Weges. Der Ober-
meier legte den Zeigefinger elegant an
die Mütze, setzte sein verbindlichstes Ge-
sicht auf und schmetterte laut und deut-
lich: „Baknisswira!"

Die sanfte Maid war mit einem Schlag
wie umgewandelt. Sie schrie und tobte,
spie Gift und Galle, und ihre spitzen
Fingernägel bewegten sich in gefährlicher
Nähe der Augen des zu Tode erschrocke-
nen Kanoniers. Im Handumdrehen gab es
einen Menschenauflauf und das Wort
„Baknisswira" lief im Flüsterton von Mund
zu Mund.

Da drängte sich ein würdiger Graubart
durch die Menge und mit einem vergnüg-
ten Schmunzeln wandte er sich an den
geknickten Obermeier und dessen ver-
blüffte Kameraden: „Lieber Herr, war un-
anständiges Reden! Wird nur gesagt und
nie gemacht. Bitte, dieses schlimme Wort
nicht mehr zu sagen!"

Und da kam über den Kanonier Ober-
meier die große Erleuchtung, daß er die
holde Maid kurz und bündig auf die Kirch-
weih geladen hatte.

Joseph Pestenhofer

Feldpost

Franz erhielt sein erstes Feldpostpaket.
Neben anderen guten Sachen fanden sich
darin auch zwei Flaschen mit Schnaps. Der
dunkle war milde und süß, der hellere
reichlich scharf und von etwas eigentüm-
lichem Geschmack. Aber er wärmte besser
durch, und darauf kam es Franz und seinen
Kameraden, mit denen er getreulich teilte,
vor allem an. „Von dem sollte man nur
mehr haben!" war ihr einstimmiges Urteil.
Einige Tage später kam dann auch noch
ein zugleich mit dem Paket aufgegebener
Brief von zu Hause. Dem war folgende
Nachschrift angefügt: „Lieber Dunge! Wir
schicken heute auch ein Paket an dich ab.
Es sind zwei Flaschen darin. In der einen
ist Birnenlikör, den Mutter selbst für dich
destilliert hat. Die helle Flüssigkeit in der
anderen Flasche wirst du gewiß auch gut
gebrauchen können; das ist ein neues,
besonders wirksames Mittel gegen Un-
geziefer." hon ns

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Register
hanns: Feldpost
Rudolf Schmitt Sulzthal: Oktobermond
Julius Diez: Zeichnung ohne Titel
Paul Rieth: Zeichnung ohne Titel
Wilhelm Lukas Kristl: Pünktliche habens leicht
Joseph Pestenhofer: Baknisswira!
 
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