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Peinlichkeiten

Es war in Rom, vor vielen Jahren, aber
mein Freund, der Maler Leo, erzählt die
Geschichte immer wieder einmal.

Müde, enttäuscht und mißgelaunt kehrt
er am späten Nachmittag heim. Nichts
verkauft, kein Geld poste restante. Er er-
klimmt die vielen Treppen zu seinem
römischen Atelier. Wie aus weiter Ferne
hört er in den oberen Stockwerken erst
Läuten, dann eine Stimme, endlich Tür-
zuschlagen. Ein Bettler also, der aufwärts
klettert wie er.. .

Im vierten Stock sieht er ihn zaghaft
klingeln. Des Malers und des Bettlers
Augen begegnen sich. Leo senkt den
Blick und steigt die Stufen vom letzten
Treppenabsatz zum Atelier hinauf — der
Bettler ihm nach.

„Herrgott, der geht auch zu mir!" denkt
der Maler, „und ich habe doch nichts.
Keinen Centesimi habe ich, trotz meiner
Eleganz. Aber was soll ich tun? Soll ich
ihm von dem vergeblich erwarteten
Geld erzählen? Soll ich ihm sagen, ich
habe selbst nichts, ich möchte selbst was
verkaufen? Er wird mirs nicht glauben,
wenn er meinen Anzug ansieht, meinen
Borsalino, mein seidenes Hemd. Welch
peinlicher Augenblick!

Plötzlich lächelt Leo siegesgewiß. Er
gelangt an seine Tür, hinter ihm steht
bereits der Bettler. Leo zögert einen
Augenblick, ganz natürlich macht er die-
ses Zögern. Er liest seinen eigenen
Namen auf dem Schild und drückt auf den
Knopf. Die Glocke schrillt auf. Nichts
rührt sich.

Der Maler drückt abermals auf den
Knopf und wartet, ob die Tür nicht end-
lich aufgetan wird. Er glaubt seinen eige-
nen Schritt im Korridor zu hören und wäre
nicht erstaunt, wenn er plötzlich sich
selbst gegenüber stünde. Er klingelt
neuerdings und lange. Heftig schrillt die
Glocke. Er wartet — und der Bettler mit
ihm.

Stille.

Dann flucht Leo leise und macht kehrt,
der Bettler ebenfalls. Beide gehen sie
wieder die Treppe hinunter....

H. Fr. P o h I e n z

Wie schön, o Mensch, mit deinem Palmen-
zweige

Stehst du an des Jahrhunderts Neige
In edler stolzer Männlichkeit,

Mit aufgeschloßnem Sinn, mit Geistesfülle,
Voll milden Einsts, in tatenreicher Stille,
Der reifste Sohn der Zeit,

Frei durch Vernunft, stark durch Gesetze,
Durch Sanftmut groß und reich durch
Schätze,

Die lange Zeit dein Busen dir verschwieg,
Herr der Natur, die deine Fesseln liebet,
Die deine Kraft in tausend Kämpfen übet
Und prangend unter dir aus der Verwild-
rung stieg!

Die zwei Seiten . . .

Not weil ich bö5' bin erzähl' ich die
kleine Geschichte — beileib net — nur
aus reiner Nächstenliebe, damit es net
wieder einmal einem so gehen könnte wie
dem Maier Lenz.

Herrgott, war das eine Wunden! Heut
tragt er noch ein Heftpflaster am rechten
Mundwinkel! — Aber daß ich von vorn
anfang!

Wir haben in unserm Ort einen kleinen
Verein, der die Geselligkeit auf seine
Fahne geschrieben hat. Er veranstaltet
Theateraufführungen, Kegelpartien, Schaff-
kopfrennen, und damit auch die hinter-
sten zum Zug kommen, Vereinsausflüge.
Meistens wird irgend ein schöner, lieber
Ort im Bayerischen Wald als Reiseziel
ausersehen und, der Vorstand sorgt für
einen guten, preiswerten Mittagtisch.

Beim letzten Ausflug verlief alles be-
sonders gut. Auch das Essen war so vor-
züglich, daß keiner, selbst der Maier Lenz,
der doch sonst immer was gefunden hat
zum massein, nichts, aber auch rein gar
nichts auszusetzen wußte. Und weil das
dem Lenz anscheinend unglaublich er-
schien und weil er sich halt selber so
daran gewöhnt hat, daß ihm ohne zu
massein auch das beste Essen net
schmeckt, rief er: „Wenn's Essen gut ist,
nachher verdirbt einem das Messer die

Berauscht von dem eiTungnen Sieg,
Verlerne nicht, die Hand zu preisen,

Die an des Lebens ödem Strand
Den weinenden verlaßnen Waisen,

Des wilden Zufalls Beute, fand,

Die frühe schon der kiinffgen Geister-
würde

Dein junges Herz im Stillen zugekehrt

Und die befleckende Begierde

Von deinem zarten Busen abgewehrt,

Die Gütige, die deine Jugend
In hohen Pflichten spielend unterwies
Und das Geheimnis der erhabnen Tugend
In leichten Rätseln dich erraten ließ,

Die, reifer nur ihn wieder zu empfangen,
In fremde Arme ihren Liebling gab;

O, falle nicht mit ausgeartetem Verlangen
Zu ihren niedern Dienerinnen ab!

Im Fleiß kann dich die Biene meistern,

In der Geschicklichkeit ein Wurm dein
Lehrer sein,

Dein Wissen teilest du mit vorgezognen
Geistern,

Die Kunst, o Mensch, hast du allein.

Friedrich v. Schiller,

10. Nov. 1759—10. Nov. 1939

Freud! Schneiden tut der Puffer — schnei-
den! Auf derer Schneid kannst bis Wien
reiten!"

Der Vorstand kannte seinen Lenz. So
hat er ihm rasch sein „Feststehendes"
übern Tisch hinüber gereicht. „Da, Lenz"
hat er gsagt, „tu dich net aufregen, das
schneidt bestimmt!" Und wirklich, der
Lenz war zufrieden und grad eine Freud
war es für die andern, dem Lenz zuzu-
schau'n; man hats richtiggehend gehört,
wie's ihm geschmeckt hat! Und dem Vor-
stand sein Stilett hat er durchgezogen
durch den Mund mit einer Wonne — aufs
gute Essen hat er immer was gehalten,
der Lenz — und wieder durchgezogen —
und „Kreuz Sakra" hat er geschrien und
das Blut ist ihm übers Kinn den Hals
hinunter gelaufen! Die Frau Vorstand ist
aufgesprungen und hat geschrien, weil sie
doch kein Blut sehen kann, und der
Schneitl, der neben seinem Beruf als
Sanitäter ausgebildet ist, hat seine Haus-
apotheke aus dem Rucksack gezogen, um
den Lenz „kursmäßig" zu verpappen. Erst
wie er wieder ein bisserl gelacht hat der
Lenz, hat der Vorstand zu ihm gsagt:
„Weißt Lenz, ich hab' dir schon eine Weil
zug'schaut bei deiner Esserei. Wie kann
man auch ein Messer mit der Schneid zum
Mund nehmen." Und der Vorstand hat
sein Feststehendes genommen und hat es
vorgemacht: „Da mußt du dich ja schnei-
den, Mensch, umdrehn mußt du's, meinst
ein Messer ist umsonst einseitig
g'schliffen?"

Joseph Z e i t I e r

Sitten fremder Völkerstämme

Es war langweilig am Stammtisch. Man
gähnte und trank, trank und gähnte. Bis
dann Herr Huber kam. Herr Huber war
längere Zeit nicht am Stammtisch erschie-
nen, und so erregte es beträchtliches Auf-
sehen, daß er jetzt einen gestutzten Bart
trug.

Bald sprach man angeregt über Bärte.

Der Doktor faßte in seine Wissenskiste
und erzählte, seltsamerweise hätten die
alten vornehmen Ägypter schmale Kinn-
bärte getragen, welche angeklebt ge-
wesen seien.

„Theater!", sagte Bumba, der Weit-
gereiste, lakonisch.

„Wieso?" meinte der Doktor pikiert.

„Na, kleben sich die Leute beim Theater
vielleicht nicht Bärte an?"

Der Doktor war etwas gekränkt. „Wenn
ich hier kulturhistorische Bemerkungen
mache, so möchte ich diese nicht als
Witze gewertet wissen."

„Was heißt kulturhistorisch?" antwortete
Bumba. „Ich war, wie jeder in diesem
Kreise weiß, viele Jahre auf den Kleinen
Sunda-Inseln. Und auf Bali habe ich ein
Dutzend Männer getroffen, die sich
schmucke Bärte anklebten. Sie trugen die
Bärte in den Abendstunden und am
andern Morgen waren die Männer wieder
aalglatt."

„Donnerwetter", antwortete der Doktor,
„das ist mir völlig neu. Ist es verbürgt?
Kann ich wissenschaftlichen Gebrauch da-
von machen?"

„Aber selbstverständlich", rief Bumba,
„ich bürge jederzeit für die Richtigkeit
meiner Angaben."

„Und wie erklären Sie sich diese selt-
same Sitte?", fragte der Doktor zurück.

„Die Erklärung ist einfach, wenn man
weiß, daß es sich bei den genannten
Männern um eine holländische Schau-
spielertruppe handelte, die für die Euro-
päer auf Bali eine Theatervorstellung
gab . . ." H. B.

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Register
Johann Gottfried Schadow: Schiller 1804
H. Fr. Pohlenz: Peinlichkeiten
Joseph Zeitler: Die zwei Seiten
H. B.: Sitten fremder Völkerstämme
Friedrich v. Schiller: Die Künstler
 
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