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NOCTURNO

Von Ludwig Krafft

Es hängt der Mond wie eine Silberblüte
Im Rankenwerk aus Schatten und aus Zweigen.

Die wanne Nacht haucht alle Himmelsgüte
Und Sterne ziehen ihren stillen Reigen.

Weit wird die Welt dem lauschend frommen Herzen
Und stumm der Mund, den trunknes Schauen schließt.
Hell steigt das Leuchten aus Kastanienkerzen,

Dem Wunder strahlend, das ins Wunder fließt.

Nachtblumen hauchen ihren Duft den Wesen,

Die kaum begreifend, eng und enger gehn,

Die ihres Staunens Lösung in sich lesen
Und doch das übermächtig Schöne nicht verstehn

Tief ist die Nacht. Unendlich faßt ihr Bogen
Das Grenzenlose und sich selber ein.

Der Mond ist seine Straße fortgezogen.

Nur auf den Wiesen liegt wie Reif sein blauer Schein

Der ist nicht mächtig wie der Kaiser, zählt
erst zehn Jahre, und doch senkt er vor ihm
das Haupt. Es ist sein Sohn, der zu Hause
liegt und schläft. Roritzer denkt: Seit hun-
dert Jahren bauen wir, die Rohritzer, der
Urahne begann, der Großvater dann, der Va-
ter, der Bruder Matthias, und nun ich. Und
ich geb' es nicht weiter, nicht an dich, deine
Hand ist zu schwach, und die Kette reißt ab.
Er flüstert heiser: „Verzeih mir."

Dann steigt er hinab, tastet mit den Hän-
den die Wände entlang — sucht er den Weg
oder nimmt er Abschied vom Mauerwerk? —
und schreitet zum Tor. Davor steht ein Wäch-
ter, und als er den Meister erblickt, winkt er:
„Zurück! Dort ist des Bischofs Grund, dort
bist du sicher!" Doch Roritzer schreitet hinaus.
Da ruft jener seinen Gesellen und sie führen
ihn ab.

Der Tag kommt und geht, und wieder ist
Nacht. Da steigt die Frau die Kerkerstufen
hinab und führt den Buben und die Mägd-
lein. Der Büttel leuchtet und nickt ihr zu,
und die hochgewachsen^ Frau muß den Nacken
beugen, damit die Haarkrone nicht die Decke
streift. Nun öffnet der Büttel die Tür und
sie treten ein. Der Mann kauert in der Ecke
und dann gibt er ihnen die Hand, jedem, und
die des Buben hält er lange in seiner, eS ist,
als wolle er sprechen, soviel gäbe eö zu sagen,
doch er spricht nicht, er flüstert der Frau zu:
„Führ sie hinaus!" Und als eS geschehen und
daS Weib wieder zurückkehrt, sagt er und es
kommt ein Stöhnen auS ihm: „Sie haben
mich aufgezogen, dreimal, und mir die Gelenke
verrenkt. Die Kinder sollten eS nicht wissen."

„Das taten sie dir!" ruft die Frau, und er
antwortet: „ES wäre nicht nötig gewesen, und
eö geschah nur, weil sie nicht vergessen können,
daß ich einmal oben stand und sie zitterten."

Sie stützt ihn, und er legt den Kopf in
ihren Schoß, und obwohl sie sich vornahm,
nicht zu klagen, fragt sie nun doch: „Konnte
eS nicht anders geschehen, Wolfgang? Wir
waren vost Glück, du hattest die Kinder, alles
war gut. Warum dies?"

„Warum?" fragt auch er, lauscht wie auf
Antwort und sagt: „Oft wollte ich wie die
andern sein und konnte nicht."

Nun klagt sie nicht mehr. Eine Stunde
verrinnt. Sein Kopf liegt in ihrem Schoß.
Ist er nicht wie ein Kind, der Mann, der
alle anführte, und sie seine Mutter?

Er hat die Augen geschloffen. Manchmal
stöhnt er. Sie blickt auf ihn nieder. Er sagt
nun zu ihr, wie in der vorigen Nacht zu dem
abwesenden Sohn: „Verzeihe mir, du."

Sie streicht nur über sein Haar. Ist die
Stille nicht so groß wie im Grabe? Sie
denkt: Warum kehrt ihr so spät zu unö heim,
ihr Männer? Dann sagt er: „Nun sollst du
gehn, denn du wirst müde sein."

„Ich Hab die Erlaubnis erwirkt, die Nacht
bei dir zu sein." Sie sagt nicht: Deine letzte
Nacht!, doch sie denkt e6, und da nimmt er
ihre Hand, und sie sprechen, von den Kindern,
wie sie beide sich fanden, und wie alles einmal
war. Sie sprechen nicht viel, aber geht nicht
auch in der Stille ihre Zwiesprache fort?
Dies ist ein Abschied. Der eine, bittere. Dann
nahen Schritte und er sagt: „Nun kommt
Heidenreich. Ich ließ den Bischof bitten, ihn
zum Dombaumeister zu ernennen."

„Du mochtest ihn nie leiden." Er klagt:
„Ich weiß keinen andern." Jetzt tritt der
Altgeselle ein, Erhard Heidenreich. Der Bi-
schof hat Roritzerö Wunsch erfüllt und der
Meister fragt: „Hast du die Risse?"

Regen s b u r; Albert Reich

Der Geselle entfaltet die Pläne, nun rich-
tet der Meister sich auf, jetzt braucht die Frau
seinen Kopf nicht mehr in ihrem Schoß zu
halten, sie stützt ihn, die beiden Männer beu-
gen sich über die großen Blätter und Roritzer
spricht. So viel ist zu sagen. Von den Figu-
ren und Fialen, von den Maßen und Ver-
hältnissen, von den nächsten Arbeiten und den
fernen. Wartet nicht alles auf den Vollender?
„Hier sind die Zeichnungen, siehe, so dachte
ich es!" Im Innern fehlen die Bildwerke.

„Erhard", sagt, stammelt der Verurteilte,
„wirst du's vermögen? In deine Hand ist es
gelegt. Du hast mitgearbeitet, wirst du nun
lenken können?"

„Ich will'ö versuchen, Meister."

Der Mann faßt nach dem andern: „Horch
auf, gut horche auf!" Er stöhnt: „Es ist
unsere Seele in dem Bau. Du sollst nichts
mehr ändern. Jener Wenzel, der den Bau
begann, wanderte lange in Frankreich. Von
dorther brachte er den Entwurf mit. Wir
hätten es besser gekonnt, waren dem Vorbild
längst entwachsen. Wir taten eS nicht. Aus
Ehrfurcht. Und auS Erkenntnis. Es darf kein
Bruch in den Bau kommen, Erhard!" Bet-
telt er nun? Ja, er bettelt. Um des Werkes
willen.

„Sieh her", hastet er und erklärt. Sie
sprechen. Nicht vom Tod und vom Scheiden,
nicht vom Beil des Henkers und dem Unrecht
der Welt. Sie sprechen vom Werk. Was wird
aus dem Bau, wenn ich nicht mehr bin? Wenn
der Geldstrom stockt? Denn jetzt wird er nicht
weiter fließen! Auch dies noch! Und er sagt:
„Als der Ahnherr begann, war Regensburg
reich. Nun ist eS verarmt", und eS ist wie
Verzweifeln.

Die Frau hockt daneben, reicht ihm Wasser,
trocknet den Schweiß von seiner Stirn und
erkennt jäh: Deshalb wurdest du zum Em-
pörer. Weil du hofftest, daß der Bayer Reich-
tum zurückbrächte. Daö Werk, alles das Werk!

Er rafft sich auf. Er darf nicht verzweifeln.
Muß er nicht Kraft geben? In dieser Stunde
noch? Und er spricht, spricht. Vom Bau, von
dem Werk.

„Das Werk ist alles", stöhnt Roritzer, und
Heidenreich nickt und fühlt es schon lasten. Ja,
er wird ihm verfallen wie jener. - 3"
Männer, wer versteht euch? denkt die Frau.

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Index
Albert Reich: Regensburg
Ludwig Krafft: Nocturno
 
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