Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
EIN S T R A U SS STRÄUSSE

Wien tanzt

Das fröhliche Biedermeier-Wien verstand
es trefflich, jeden Tag zum Sonntag, jeden
Sonntag zum Fasching zu erhöhen. Ein
ganzes Heer von Kapellmeistern und Wal-
zerschreibern arbeitete dafür. Wenn aber
die Riesensäle des „Odeon" oder „Sperl"
überfüllt waren, daß um jeden Stehplatz
hart gekämpft wurde, dann trugen die
Plakate in großen Lettern die Worte: „Jo-
hann Strauß persönlich!"

Im eleganten blauen Frack stand der
Meister, der sich vom kleinen Vorstadt-
musiker zur Weltberühmtheit emporge-
schwungen, vor seinem Orchester. Wenn
dann die „Donau-Lieder" oder der „Sor-
genbrecher" aufklangen, dann wurden die
Wiener ihrer irdischen Glückseligkeit teil-
haftig. Wien tanzte seine Lebensweisheit
im Dreivierteltakt.

Vater und Sohn

Der Walzerkönig legte die Stirn in dro-
hende Falten und lauschte. War das nicht
sein „Cäcilienwalzer", der nebenan er-
klang?

„Der Schani natürlich! Der Mistbub, der
miserablige!" Ergrimmt eilte er ins Zimmer
der Kinder hinüber. Im Kreise der Ge-
schwister, des Joseph, des Eduard und der
Mädchen, stand Johann Strauß-Sohn, hatte
die Geige ans Kinn gedrückt und ließ den
Bogen über die Saiten springen, dabei die
Bewegungen des Vaters geschickt nach-
ahmend.

„Die Geig'n gibst her! Dös mit dem Mu-
sikerwerd'n, dös schlägst dir aus'm Kopf!
Nix da! Auf die Schul'n gehst, in an nahr-
haften Beruf kommst!" Die Tür knallte.

Wohl fügte sich Johann-Sohn und wurde
ein beflissener Schüler des Gymnasiums,
allein wenn er zu Hause, während des
Vaters Abwesenheit emsig auf der Geige
übte, die ihm die Mutter heimlich gab, da
war es nicht Trotz, da war es blutwarmes
Müssen, das immer wieder die Schranken
durchbrach: „Und ich werd' doch a Mu-
siker und Walzerschreiber wie der Herr
Vater!"

Frau Anna war hellhöriger; sie hörte die
klangreiche Urkraft, die da zum Werden
drängte. Nun warf sie ihre
ganze Liebe auf den äl-
testen Sohn, ließ ihn ins-
geheim zu einem Musik-
lehrer gehen.

Radetzky-Marsch

In der düsteren Winkel-
wohnung, in der Strauß-
Vater, getrennt von seiner
Familie, lebte und in die
auch Emilie, die kleine
schwarze Modistin, kein
rechtes Licht hineinbrach-
te, ereilte ihn eines Tages
die Nachricht, die wie ein
Lauffeuer durch die Stra-
ßen ging: Johann Strauß
gibt einen Tanz-
in Dommayers Ca-

Sohn
abend
sino!

„So
men!"
de in
lehnung.
muß halt
sein!

Es war etwas dran. Der
Debütant siegte. Siegte
auch bald über die an-
fänglichen Zweifel der

mußt's schon kom-
haderte der Altern-
hartnäckiger Auf-
Sein Sohn! Da
doch was dran

geschworenen Anhänger des großen Va-
ters. Johann Strauß junior behexte die
Menge mit neuen lebensfrischen, klang-
sprühenden Walzern, eroberte sich Platz
um Platz, rückte der Ruhmeshöhe des
grollenden Vaters näher und näher. Erst
als es sich nach Jahren fügte, daß Strauß
Vater in roter Uniform dem Musikkorps des
ersten Bürgerregiments voranschritt, wäh-
rend Strauß Sohn in blauer Uniform die
Kapelle des zweiten befehligte, nahm der
Zürnende allmählich Vernunft an und gab
versöhnlich nach.

Aber Vater Strauß, der vereinsamt Altern-
de, war müde und freudlos geworden.
Seine Geige hatte den bestrickenden
Klang verloren, seine Walzer den mit-
reißenden Frohsinn. Eine neue Zeit war
herauf gekommen, hatte ihn überholt, ent-
thront. Einmal noch lebte er auf, schlugen

Adagio

Die Geige spricht:

Manchmal bin ich so tief in mich versunken,
das macht, weil einer mir ein Wunder zeigte,
ein hohes Antlitz, das sich tief zum Brunnen neigter
der auch der fernsten Sterne Glanz bewahrt.

Wer diesen schaut, wird von dem Einen trunken,
das bis zuletzt in allen Dingen aufgespart.

So muß ich, wie der Meister, trunken singen.

Er, mein Erwecker, rief mich voll Gewalt,
daß ich gehorche und die süße Wohlgestalt,
die Namenlose, an die ff erzen lege,
den vielen, die da weit ins Fremde gingen
und doch so frierend suchen Ileimatwege.

Ich führe sie, weiß ich auch nicht ihr Ziel.

Es ist mir so, als geige ich ein Spiel

von stillen Gärten, die im Morgenrot erblühen

und Düfte hauchen, die voll seliger Ahnung sind

Barbara Pflug


die Flammen der Begeisterung durch: Drü-
ben, bei Verona, hatte der alte Haudegen
seine Truppen zu glorreichem Siege ge-
führt. Da ging Strauß hin, schuf dem Mar-
schall und der Armee ein unvergängliches
Denkmal, legte die wehenden Fahnen Oe-
sterreichs in den — Radetzky-Marsch.

Der Strauß ist tot! Es lebe der Strauß!

Einsam und ärmlich war Johann Strauß
Vater dahingegangen. Und wieder schrien
die Plakate: Johann Strauß persönlich!

Das alte Zauberwort, dieselben Glutaugen,
nur war an Stelle des Stutzbärtchens, das
der Vater trug, der imposante Backenbart
getreten.

Johann Strauß trug das väterliche Erbe
in die Höhen der Vollendung; die sonnige
Feierlichkeit der Lebensfreude in den Drei-
vierteltakt. Sein Genie hieß Wien. Und mit
ihm versetzte dieser Geiger von Himmels-
gnaden die ganze Welt in einen Walzer-
taumel.

Die ganze Welt wollte den Walzerkönig
sehen. So packte Strauß seine Geige ein
und trug die Wunder des Wiener Walzers
selbst in die Ferne; nach Rußland, England,
Italien, Frankreich, Amerika...

Als er zurückkam, war das Band ruhm-
voller Auszeichnungen lang geworden.
Auf die erwartungsvolle Frage der Jubeln-
den „Was hat er uns zu erzählen aus
fernen Reichen?" klopfte der Weltberühm-
te mit dem Bogen auf die Geige, und das
Orchester setzte ein: ,/s gibt nur a Kaiser-
stadt, 's gibt nur a Wien!"...

Ein Strauß Sträuße

Zwei Monde umkreisten die Sonne. Wie
der Älteste einst sein Studium verlassen
hatte, so ließ nun auch
und Winkeleisen des
Stich und wandte sich
dien zu. Sein Instrument
tiefer. Duftete aus den Weisen Johanns
der Blumenwind eines warmen Frühlings-
tages, so war in Josephs „Dorfschwal-
ben", „Sphärenklängen", „Perlen der
Liebe" etwas vom Blätterfallen eines ver-
sponnenen Herbsttages.

Dann warf auch Eduard die lateinischen
und griechischen Pandek-
ten beiseite und folgte
den Brüdern ans Dirigen-
tenpult. — Am Ausgang
der fünfziger Jahre hatte
der Wintergarten des Dia-
nabades eine besondere
Sensation: Drei Kapellen

spielten auf. Vor jeder
stand ein Strauß...

Joseph Strauß Lot
Bautechnikers in
völlig den Melo-
klang eine Oktave

WAS I

i

4



J

SS






:/


Franz M i c h a1o vic

S. K ü h n e

An fünfhundert Walzer,
Polka, Märsche und Qua-
drillen gingen um die
Welt. Zu Millionen verlu-
den Wiener Verleger die
Straußschen Weisen. Un-
aufhaltsam war der Sie-
geszug der Operetten.

Johann Strauß fühlte
nichts vom Altern, nichts
vom Versiegen des gött-
lichen Quells. Eine neue
Ideesaß in ihm. Ein Ballett
wollte er schaffen .. Aber
am 3. Juni 1899 wehten
Halbmastfahnen Landes-
trauer. König Johann von
Wien hatte seine lieder-
frohe Stadt für immer ver-
lassen. St. G.

905
Register
Siegfried Kühnel: Franz Michalovic
St. G.: Ein Strauss Sträusse
Barbara Pflug: Adagio
 
Annotationen