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Die Überraschung

So nahe gelegen auch mein Geburtsort
war, nie hatte ich mir Zeit genommen,
jenes Haus aufzusuchen, in dem sich das
für mich nicht ganz unerhebliche Ereignis
meiner Geburt abgespielt hat. Erst im
letzten Jahr, wohl unter dem Einfluß der
weihnachtlichen Zeit, fuhr ich doch einmal
dorthin, um verflossenen Zeiten nachzu-
spüren und mein Geburtshaus zu suchen:
Jakobistraße 1.

Ein fremder Platz. Der kleine Bahnhof
ging mich nichts an, nichts die Anlage, die
sich zwischen diesen und die Häuser
schob. Ebensowenig sagten mir Geschäfts-
schilder und Wirtshausnamen. Ich sah mich
um, neugierig und wohlwollend; nicht
mehr.

Plötzlich las ich „Jakobistraße". Zögernd
und erwartungsvoll bog ich ein. Beschei-
dene Häuser, jedes für sich, mit dem Zu-
gang durch den seitwärts angrenzenden
Hof. Ein einsamer Dackel belebte das Bild.
Er watschelte schnüffelnd von Ecke zu Ecke.

Welches Haus mochte es sein? Ich ging
Schritt für Schritt. Gegenüber einem Zwei-
stöckigen hielt ich an. Es war blaßgrün
gestrichen, mit zwei rotbraunen Quer-
streifen und zwei rotbraunen Längsstrei-
fen; an der Vorderseite in jedem Stock-
werk dreimal ein Paar Fenster; blinde
Fenster an der einen Breitseite; eine Woh-
nung unterm Dach. Ein wenig dürftig, ein
wenig verschlossen und stumpf stand es
da. Es gefiel mir nicht. Ich war enttäuscht.
Aber je länger ich hinsah, desto wärmer
wurde mir. Meine Blicke fingen an, es zu
umschmeicheln. Ich atmete tiefer. Hier war
es also...

Ein Briefträger verließ den Hof, stieg
aufs Rad und fuhr gemächlich fort. Ich
ging hinüber und dort hinein, wo der an-
dere herausgekommen war. Man betrat
das Haus von der Rückseite. Etwas dumpf
und schwer roch es in dem schmalen Stie-
genhaus, auf dessen knarzende Treppen
ich nur mit Fußballen und Zehen trat. Ich
schnupperte; ich schnupperte öfters. Doch,
so hatte ich es mir schon vorgestellt. Das
war die Luft. In welchem Stock wir wohl
gewohnt hatten? Ich mußte dicht an die
Wohnungstüren herantreten, um die Namen
über den Briefkästen lesen zu können;
denn die Türen waren in Nischen einge-
baut. „Gillitzer Andreas, Schneider" stand
da und auf einem andern Emailschild
„Martin Oexl".

Nach und nach schloß sich mir das frem-
de Haus auf. Es schien mir, es kehrte mehr
und mehr in die Erinnerung zurück. Die
Holzlegen im Hof, der sich weiter hinten
zu einem Obstgarten weitete, begrüßte ich
schon wie vertraute Bekannte. Und die
Fliederbüsche und halbhohen Zypressen,
die ich in einem Winkel des Gartens ent-
deckte, nahmen den letzten Zweifel. Dar-
unter hatte ich mich als dreijähriger Knirps
ja immer versteckt, wenn mich die gute
alte Frau Käsbohrer hatte fangen wollen!
Ich pirschte mich ganz nahe heran. Deut-
lich sah ich das Bild vor mir. Wie weit
doch Erinnerungen zurückreichen!

Wieder draußen auf der Straße, photo-
graphierte ich das Haus und wandte mich
beim Gehen oft und oft um.

Eine Woche später. Der Film war ent-
wickelt, das Bild vergrößert. Ja, das war
das Haus. Auch vom Zypressenwinkel war
ein Stück mit drauf. Gespannt, was meine
Mutter zu der Überraschung sagen werde,
beschloß ich, ihr am Heiligen Abend die
Photographie mit einem Tannenzweig zu
überreichen.

Der Heilige Abend kam. Die Kerzen auf
dem Christbaum brannten. Die halbe Ver-

fugend

Von Otto Brües

Nun Ist es wiederum Advent,

Wo, auf den grünen Kranz gesteckt,

Der Kerzen erste heiter brennt

Und es im Haus nach Äpfeln schmeckt.

Und während man den Tisch umringt
Und pappt und klebt mit Scher' und Leim,
Da stockt das Lied, das Mutter singt,

Denn einer, ach, ist nicht daheim.

Da stockt das Lied und schwillt aufs neu
So hell, wie es auch früher kam,

Und um sich blickt die Mutter scheu,

Ob keiner ihre Not vernahm.

Nun hat sie Trost und lächelt gar,

Und mit ihr Kind und Ingesmd:

Was alles zu ertragen war.

Geschah für Kind und Kindeskind.

Ernst Dombrowski

wandtschaft war versammelt. Es schlug die
Stunde der Bescherung. Meine Mutter er-
blickte das Bild. Sie sah es an, holte den
Zwicker und betrachtete es abermals.
Schließlich meinte sie, was ich damit wol-
le, was mit dem Haus sei. Ich schüttelte
den Kopf und schmunzelte:

„Du kennst das nicht? Jetzt glaub' ich,
daß d' alt wirst. Bin doch dort geboren^
Jakobistraße 1."

„Du bist doch nicht auf Numero eins ge-
boren. Das is nicht das Haus, das is ja a
falsches. Wir haben ja Jakobistraß' elf
gewohnt."

K r i s 11

Liebe Jugend!

Drohung

Es war um die Zeit der Weihnachts-
proben. Man las gerade Goethe. Der Pro-
fessor ruft eine unaufmerksame Schülerin
auf und mahnt sie vorwurfsvoll: „Lotte-,
nun haben Sie schon wieder bei Goethe
geschlafen, an Ostern werden Sie die Fol-
gen merken!"

M o

Sprachschöpferische Bezugscheinpflicht

In unserem Dorf ist der Gemeindediener
Sch. zur Zeit die wichtigste Persönlichkeit.
Denn er stellt Bezugscheine aus. Er fühlt
sich in seinem neuen Amt aber auch!

Kommt zitternd vor soviel Obrigkeit ein
altes Mutter! zu ihm.

„Also was willst nacha", fragt er.

„Ja mei, a Hemmad zum drunternein-
ziahng", kams zaghaft.

„So? Da schreib'n ma halt ein Unter-
I e i b s h e m d..."

Seine Rache

Spaß muß sein — sonst ist das Soldaten-
leben nicht schön. Wir kamen in längere
Ruhestellung. Es wurde langweilig und wir
heckten allerhand aus. Einer kam nun gar
auf die dumme Idee, dem Wastl, der aus
aem Bayerischen Walde stammte und ein
guter Kerl war, Schuhwichse in die Stiefel
zu schmieren.

Wastl holte jeden Tag die Marmelade.
Während dieser Zeit wurde die Untat aus-
geführt. Das erste Mal tat Wastl, als er die
„Weichheit" der Stiefel merkte, einen Auf-
schrei. Er vermutete etwas ganz Schlim-
mes. Alles grinste und wartete auf einen
furchtbaren, hinterwäldlerischen Wutaus-
bruch. Der blieb ruhig. Er schabte die
Schuhwichse heraus und hob sie sorgfältig
auf. Am nächsten und am übernächsten
Tag wurde das gleiche Spiel mit ihm ge-
trieben. Wastl ermüdete nicht im Aus-
putzen der Stiefel. Endlich sagte einer:
„Wastl, was fängst du mit der vielen
Schuhwichse an?" Wastl's Gesicht verzog
sich zu einem breiten Lachen: „Dö Schuah-
wichs hab i Euch unter die Marmelad'
gschmiert!"

Wastl hatte fortan seine Ruhe.

B a m h a c k f

Der Geheime

Als ich vor ein paar Jahren während
einiger Urlaubstage durch die Straßen
einer kleinen mecklenburgischen Stadt
bummelte, sah ich, daß ein Herr, der vor
mir herging, viel und respektvoll gegrüßt
wurde. Es interessierte mich, wer er wohl
sein mochte, und so fragte ich einen
Mann, welcher eben tief vor ihm den Hut
gezogen hatte: „Wer ist der Herr, den alle
grüßen?" Der wackere Bürger gab bereit-
willigst Auskunft: „Dat is Mirow, der Ge-
heimpolizist vom Ort." hg.

Unser Titelbild stammt von Adolf Hengeler
Register
[nicht signierter Beitrag]: Liebe Jugend!
Ernst v. Dombrowski: Vignette
Anton Marxmüller: Zeichnung ohne Titel
Otto Brües: Adventslied 1939
Wilhelm Lukas Kristl: Die Überraschung
 
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