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unseren Empfindungen das also verwan-
delte Element! Die Hand grabt sich hin-
ein, und mit der andringenden Rälte zu-
gleich spürt- sie sich mit zarten Rraften
wie von Strahlungen eines lebendigen
durchpulst, und selbst noch von der
zusammengepreßten, vereisenden Rugel
strömt etwas von Energien in sie ein, die
uns luftiger, ja geistiger dünken, als sie
uns von dem schweren, dumpfen Drang
der uns tragenden Wasserflut etwa oder
von den: harten prall des niederstürzenden
Strahles her vertraut sind. Vielleicht gibt
es auch darum bei uns Deutschen kein
Märchen und keine Sage, in der ein Gott
oder sonst ein Jenseitiger den Regen auf
die Erde triefen laßt. In dem Märchen
aber von der Frau Holle verbirgt sich die
Erinnerung an eine von den Oberen selbst,
welche die Flocken ausschüttet, lassen wir
uns getrost davon in unserer Ahnung be-
stärken, als rühre unsere tiefe lust am
Schneien und am Schnee doch nicht allein
von den Freuden her, die uns der „Win-
tersport" oder den Rindern das Schnee-
ballen und das Schlittenfahren verheißt;
sondern als strahle das geheimnisvoll ver-
wandelte Element selber etwas von den
Rraften der Lauterkeit und der Heiter-
keit aus, die es in die tief verborgenen
aber unbegreiflich holden Ordnungen der
Schneekristalle verzaubert haben. Eine
tiefe Verwandlung will sich auch in uns
vollziehen, wenn der Schnee kommt, und

Von

Joseph Maria Lutz

2cr Mchn-ee, der is' gfalht,
der Wind hat si' draht,
nmaßt Mchnceroafa (clntallii —
is alles umwallt*

Man d Deh nimmer scheu
nnd san freundlicher gstimmt —
du lrriagn halt a Den,
manu s (EhnfthmM khituit*

Do lrriagn halt a ^Leelrn,
statt Gnatl uom Daam —
an Antzlhrotmeclrn,
den frefsatrr f’ lraam.

lind Christbaam hams eh,
dö fan anfputzt grad gnua
mit glanzat'rn Mchnee
und mit Mterndl dazua.

welche Verwandlung zugleich rings um
uns Her!

Sie ist mit keiner anderen zu verglei-
chen, die das wechselnde Spiel der Him-
melskraste sonst an einer Landschaft be-
wirkt, und am wenigsten Hier oben im
Gebirge. Der Regen macht die Baume
triefen und das Gras sich legen, der wind
kämmt es auf und der Nebel verhüllt die
Gipfel: aber nicht lange, so ist alles wie-
der, wie es zuvor gewesen, wenn aber
der Schnee über die Berge kommt, so
wird eine neue Welt, und sie vergeht
nicht, sondern sie bleibt nun für lange
Monate, oft für die Hälfte des Jahres
unter dem schwindenden und unterm wie-
der steigenden licht, unterm Nebel und
unterm wind und auch unterm unzeiti-
gen Regen, und mit ihr bleibt nun ein
neues Reich der lichter und der Schatten,
das vorher nicht war, und ungeahnter
Farben und Formen. Manchmal ist es, als
habe der Aether selbst sie hervorgebracht,
mit seinem Atem spielend, so wie das
fließende Glas unter dem Hauch des kun-
digen Meisters die wunderlichsten Ge-
stalten treibt; und dann wieder ruht sie
so klar und feierlich und in einer so strah-
lenden Reinheit, als stehe die Herabkunft
von Boten des Fimmels abermals bevor,
wer immer dieses Reich betritt, er tritt
wie auf den Boden eines anderen Gestir-
nes, für das die gewohnten Ordnungen

nicht gelten. . (Fortsetzung Seite 930)

(Aus der Weilinachtsausstellung der Münchener Künstler)

920
Register
Richard Waldberer: Bildreproduktion ohne Bezeichnung
Joseph Maria Lutz: Waldweihnacht
 
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