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Die heitere Geschichte einer grotesken Erfindung / Von Rudolf Schneider-Schelde

Wintersport. .? dachte Professor Kühn-
lein, der bewährte Gelehrte und große Er-
finder, gut, ausgezeichnet sogar! Er blickte
zum Fenster seines Arbeitszimmers hinaus
in milde föhnige Luft auf feuchte Felder,
die in diesem Jahr noch keinerlei Bekannt-
schaft mit Schnee gemacht hatten. — Aber,
dachte er weiter, wenn es nun nicht
schneit? Wenn es gar niemals mehr schnei-
en wird? Was dann mit Wintersport? — Er
grübelte den Möglichkeiten solchen Natur-
geschehens nach und tauchte unvermutet
am andern Ende seiner Überlegungen mit
einem phänomenalen Einfall wieder auf.—
Machen wir! flüsterte er heiß vor sich hin.

Wie? — Wenn kein Schnee fällt, ist
Schnee begehrt, dachte der Professor et-
was später, von Ende Oktober bis Mitte
März herrscht Hochkonjunktur in Schnee
sozusagen, den Markt beherrscht die Nach-
frage, der leider allzuoft kein annähernd
genügendes Angebot gegenübersteht. Kein
Zweifel, daß mit Schnee unter gewissen
Umständen sogar ganz ausgezeichnete Ge-
schäfte zu machen wären, von allem an-
dern zu schweigen!

Professor Kühnlein sah durch seine Brille
in den wolkenlosen Himmel, der reine
Frühlingsstimmung zeigte. Sein Erfinderge-
hirn arbeitete; sollte der große Schlag —
dem er oftmals im Leben nahe gewesen
war — diesmal gelingen? — Man muß ein-
fach Schnee fabrizieren, erkannte er, schö-
nen, körnigen Pulverschnee erster Quali-
tät, wie ihn die Skiläufer lieben, den ge-
ringeren kann man ermäßigt an Garten-
besitzer verkaufen, für Kinderrodelbahnen
oder Schneeballschlachten, man wird reis-
senden Absatz finden. Ich werde Schnee-
werke errichten, träumte der Professor,
Kunstschnee - System Kühnlein, einfacher
nodh Kühnleinschnee, geschützt in allen
Kulturstaaten der Erde, und ich werde vom
Reingewinn endlich in den Süden reisen
und die ewige Sonne kennen lernen kön-
nen.

Professor Kühnlein ging sofort ans Werk.
— Woraus besteht Schhee? fragte er sich.
Er hatte keinen zur Hand, um die Frage
persönlich zu untersuchen, aber er wußte,
daß Schnee zur Hauptsache aus Wasser
besteht. Es mußte ein Kleines sein, diesen
Vorgang künstlich hervorzurufen, es hatte
offenbar noch niemand daran gedacht. Der
Professor begab sich in die Gemächer sei-
ner Gemahlin hinüber und borgte sich
ihren Parfümzerstäuber aus.

In seinem Laboratorium angelangt, stell-
te er sofort Kälte her, ließ Ammoniak ver-
dampfen, streute Viehsalz und verfolgte
mit dem Thermometer in der Hand ge-
spannt das Sinken der Temperatur. Bei Null
Grad fing ?r an, bedächtig Wasser aus
dem Parfümzerstäuber in die Luft zu sprit-
zen und erreichte, daß sich allmählich um
ihn herum kleine Wasserlachen bildeten.
Doch bildeten sich an dem Rand der Scha-
len und des Tisches, an welchem der Pro-
fessor experimentierte, unzweifelhaft auch
Eiskristalle, und an diese allein hielt er
sich, kratzte sie mit dem Kaffeelöffel zu-
sammen und war ängstlich bemüht, sie vor
jedem warmen Lufthauch zu hüten. Um-
sonst, schon durch die nähere Betrachtung
allein zerflossen sie wie Butter an der
Sonne.

Immerhin, stellte Professor Kühnlein fest,
nur dürfte sich empfehlen, andere chemi-
sche Grundstoffe bei dem geplanten Kunst-

schnee zu verwenden, da ja eben die
Schwäche, welche dem natürlichen Schnee
angesichts höherer Temperaturen anhaftet,
vermieden werden soll. Wie wär's mit
Gips? erwog er flüchtig, oder mit Mehl,

Heimweg

Die beiden Müller gingen voraus
l iid Daisy und ich folgten leise.

Vom Schulhaus weg zum Elternhaus
Ging unsere fröhliche Reise.

Die Mütter erörterten breit und lang
Die Fortschritte ihrer Kinder.

Daisy war sehr gut in Gesang •
l nd in Turnen und Zeichnen nicht minder.
Da kehrte sich meine Mutier um
l nd meinte, ein Vorbild müßte
Mir Daisy sein. Ich nickte stumm,

Weil Daisy mich eben küßte.

Fritz SI ii b e r

S p i c 1 m a n n

oder mit einer Mischung aus Zucker und
Leim?

Gedacht, getan; der Professor begann
eine großzügige Versuchsreihe, die indes-
sen zunächst nicht die erhofften Ergebnisse
zeitigte. Aber wo ein Wille ist, da ist auch
ein Weg. Professor Kühnlein kam durch
einen Zufall darauf, beim Rasieren, aber
es war nicht Seifenschaum, der ihm die
Erleuchtung brachte, sondern ein Stück-
chen seines Gummischwammes, das sich
in seinen Bart verheddert hatte. — Gummi,
nicht roter, selbstverständlich weißer, nicht
fester, selbstverständlich flüssiger, Gummi-
lösung also mußte eine nahezu ideale
Grundlage für Kühnleinschnee sein. Es
mußte gelingen, winzige Teilchen Luft in
Gummibläschen oder Bällchen einzufangen,
Luftkernchen mit einem Gummihäutchen
zu umgeben gewissermaßen, vielleicht mit
etwas Zusatz von Gas, welche in die Luft
gespritzt einen herrlichen, elastischen, dau-
erhaften, gegen jede Temperatur und
sogar gegen Regen widerstandsfähigen
Schnee ergeben würden. — Welche Vor-
züge übrigens gegenüber natürlichem
Schnee: Keine harten Stürze mehr für

Sportsleute und die es werden wollen,
keine Verrenkungen, Beulen oder Schram-
men; wie gefedert gleitest du wundersam
dahin und fällst auch wie gefedert!

Kühnlein verwirklichte seine Idee sofort.
Es gelang ihm, durch Umbau einer Farb-
spritzpistole eine Konstruktion zu erzeu-
gen, in deren genial ertüftelter Mischkam-
mer Luft mit Leuchtgas gemengt und der-
art in weißgefärbter Gummilösung ver-
sprüht wurde, daß sich besagte hauchdün-
ne, hauchleichte zauberische weiße Bäll-
chen von unterschiedlicher ungefährer Erb-
sengroße bildeten, welche unter weiterem
Luftdruck in einem fabelhaften und ergie-
bigen Strahl verspritzt werden konnten.
Die märchenhaften Gebilde schaukelten
tänzerisch durch die Luft und ließen sich
je nach dem Mischungsverhältnis früher
oder später irgendwo nieder, manchmal
auch gar nicht wie beim ersten Versuch
des Meisters, als er der Mischung zu viel
Gas beigesetzt hatte, so daß sein gesam-
ter Schneefall auf Nimmerwiedersehen in
den Lüften verschwand. Aber das waren
Anfangsschwierigkeiten, welche nicht viel
besagen wollten.

Am Neujahrstag, bei strahlender Sonne
und zehn Grad Wärme überraschte der
Professor das Häuserviertel am Rand der
Stadt, wo er wohnte, mit einem prächtigen
Schneefall mitten aus heiterem Himmel.
Ganz leise hatte er alle Vorbereitungen
getroffen, und nun stand er auf dem Dach
seines Hauses, den Gartenschlauch in der
Hand, den er vorläufig benutzte, und diri-
gierte den flockigen, schaumigen, zum
Himmel schießenden Wirbel nach rechts
und links, über die Dächer der benach-
barten Häuser hin, über die Lindenallee
und die Vorgärten der schmucken Straße,
über den Hof einer Schule, die in der
Nähe lag. Das Phänomen fand gebührende
Aufmerksamkeit.

Vom Dach aus sah der Professor, wie
sich die Menge neugierig mit dem noch
nie geschauten Wunder zu beschäftigen
begann. Ernste Männer rieben die Substanz
ratlos zwischen den Fingern und rochen
daran, Jungens fielen mit Hallo darüber
her, und irgendwo tauchte auch schon
ein reizendes Sportgirl mit geschulterten

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Register
Rudolf Schneider-Schelde: Silvesterschnee
Max Spielmann: Zeichnung ohne Titel
Fritz Stüber: Heimweg
 
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