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Der eröhafte Jachl

Von Karl Spengler

Wer Fritz Brösicke nur von hinten sah,
wenn er im Dorf oder in der Umgebung her-
umstreifte, der mußte glauben einen krach-
ledernen Holzknecht vom hintersten Hieb vor
sich zu haben.

So echt war Fritz Brösicke — von hinten.
Der abgefegte Hosenboden seiner ehemals
schwarzen Lederhose, die Lodenjoppe mit dem
auögebleichten grünen Kragen und das ver-
waschene Miesbacher Hütl stempelten ihn zu
einem Eingeborenen, der mit selbstverständ-
licher Würde die Tracht der Väter trägt. Die
Väter Fritz BrösickeS stammten aber aus der
Kurmark, was jedem offenbar wurde, der den
Nachkommen von vorne sah. Mit der seltsa-
men Verwandlung Fritzens hatte es aber eine
besondere Bewandtnis.

Der Ruf nach dem unverfälschten Volks-
tum, der allerorts ertönte, war auch an Brö-
sickeS Ohr gedrungen und hatte seine lichtbild-
nerische Seele in Wallung gebracht, die umso
höher schwoll, als die Ergebnisse seiner folk-
toristischen Streifzüge in zahlreichen Heimat-
zeitschriften reißende Nachfrage fanden. Seit
einigen Monaten hatte er das Oberland zu
seinem Jagdgebiet erwählt, nachdem er sich als
versierter Kenner des Brauchtums bei einem
Tändler die nötigen Kleidungsstücke erhandelt
hatte, in denen er seine Pirschgänge zu unter-
nehmen gedachte.

Und so kam's. Manche taufrische Schöne
hatte er schon auf Hochglanz eingefangen und
manche Bräuche, von denen bisher kaum die
Kunde bis zur Elbe und an die Spree ge-
drungen war, schwarz auf weiß festgenagelt.

Seine Spezialität waren Typen; sorgen-

Clä re I r 1 c

Fronttheater

„Weißt, die ganze Bewunderung macht
einem nur halb so viel Spaß, wenn die
pikierten Blicke der Damen fehlen.“

Karl Roth

Der Sylvester-Pessimist
„Det liewe ick. Noch ’ne Stunde Audienz
an der Haltestelle und ick bin nächstes
Jahr zuhause.“

durchfurchte MütterleinSgesichter unter Kopf-
tücheln, rassige Bauernköpfe mit kühnen Ad-
lernasen, schalkhafte Dirndln und verwegene
Burschen. Wie ein balzender Auerhahn um-
girrte er sein Opfer, verschmähte auch nicht
ihm das Koderl zu kratzen, wie man hierzu-
lande sagt, indem er die Mundart der Land-
bewohner gebrauchte. DaS wirkte dann im
Verein mit seinem „älplerischen Kostüm",
wie er eS nannte, ganz echt.

Neulich, eS war an einem Samötagnach-
mittag, ging er wieder mit geschulterter Foto-
bür auf einem Gangfteigl, das dem Berg zu-
führte. Er pfiff in aller Gemütsruhe sein Lieb-
lingSlied „Im Grünenwald, im Grünenwald
iS Holzauxion — — — " und dachte an nichts.
Auf einmal schrak er zusammen, wer stand vor
ihm? Ein kapitaler Holzknecht.

ES war der Zittern-Jackl, der wildeste Hol-
zer im ganzen Revier. Er schaute drein wie ein
Feld voll Teufel und der fuchsrote Vollbart,
der ihm wie eine Kranewittstauden vom Kinn
wucherte, milderte den Ausdruck nicht.

„Oha", sagte der Jackl, denn sie wären bei-
nahe aneinandergeprallt.

„Eha", sagte Brösicke geistesgegenwärtig
und setzte rasch hinzu, als er merkte, wie sich
der Holzer an ihm vorbeischieben wollte: „'zei-
hen Sie, geht'6 da auf's Gwänd hinzuwi?"
BrösickeS Herz bubberte vor Freude über diese
prachtvoll gestartete Redewendung, aber Mickl
sagte nichts weiter als „Han?"

„Ob man da aufs Gwänd hinzuwi kommt?"

„A so moana S'", begriff jetzt der Jackl,
„a Stund a drei wern S' scho no hi Ham."

„Kommen Sie her vom Gwänd?" warf
Brösicke rasch ein, um den dünnen Unterhal-
tungsfaden nicht abreißen zu lassen.

„I kimm vo der Arbat", sagte Jackl.

„Sö sin wohl a Holzfäller, nöch?"

„Han?"

„Ob Sö ein Holzfäller sind?"

Jetzt ging dem Jackl eine Stallaterne auf.
„A so?! Beim Forschtamt bin i, ja."

„Als Holzfäller?"

„Freili."

Brösicke zwinkerte mit einem Auge. „Und
n' bisken wildern tun Se aa?"

„Han?"

„Wildern, mein i'?"

Jackl schaute dem sonderbaren Ausfrager
bolzengrad in die Augen. „Da is ma garnir
bekannt", sagte er.

Brösicke zwinkerte heftiger „Na?"

„DöS san a so dumme Gschichten in de
Büacha".

Brösicke sah ein, daß er auf diese Weise
nicht weiter kommen könne, aber er müßte ein
im Volkstum schlecht versierter Bildberichter
gewesen sein, wenn er für diesen Fall nicht
eine neue Finte auf der Pfanne gehabt hätte.
Er hatte aus der Ioppentasche des Holzers
ein Pfeifenrohr spitzen sehen und diese Wahr-
nehmung sollte ihm die Brücke zu dem er-
sehnten Schnappschuß bauen. Er zog aus der
Tasche eine tabakgefüllte Schweinsblader,
wickelte sie auf und reichte sie Jackl hin.

„Den Tabak müssen S' amal versuachen!"

Jackl schaute den freundlichen Herrn erst an
wie einen, der es nicht recht beisammen hat,
griff aber dann doch zu.

„DaS iS was feines!" versicherte Brösicke,
„das iS a Latakia, wie ihn Thoma geraucht
hat."

Jackl blieb unerschüttert.

„Den Ludwig Thoma wern Se wohl ge-
kannt haben?" forschte Brösicke in schärferem
Ton weiter.

„War dös dersell Krattler, wo an HanS-
bauern sein Ganserer gstohln hat?" erwiderte
Jackl, während er bedächtig seine Pfeife stopfte.

Erschütterung

..Das kann doch einen Seemann nicht
erschüttern.“ —

„Setz du mal n Seemann sowas von
Grog vor.“

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Register
Karl Roth: Der Sylvester-Pessimist
Karl Spengler: Der erdhafte Jackl
Cläre Irle: Fronttheater
Karl Roth: Zeichnung ohne Titel
 
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