Wolfs Eder / Vom seligen Heimgang des Schnitzer-Pauli
was sich in den siebzig Lebensjahren
des Schnitzer-Pauli zutrug, wäre gewiß
auch des Erzählens wert, aber cs hat ihn
niemand danach gefragt und so behielt er
es für sich. Der Gemeindeschreiber wußte
wohl einiges, weil es in seinen Akten
stand, aber er hätte weit lieber überhaupt
nichts von den: Alten gewußt, der draußen
vor dem Dorfe im Gemeindehaus wohnte.
— Vor Jahren einmal war der Schnitzer-
pauli irgendwoher zugcwandert und, weil
er sich darauf verstand, den Bauern aller
Hand hölzernes Gerät zu schnitzen, wies
man ihm das Armenhaus als dauernde
Bleibe an.
Es lag am Ende der breiten Dorfstraße,
ein gutes Stück ab von den Höften, und
täglich sah man dort, wenn die Sonne
schien, den Pauli auf einer selbstgezimmer-
ten Bank vor der Türe sitzen. Dann
schnitzelte er mit den groben Händen an
einem hölzernen Etwas Kerum und meist
brummte er ein Liedchen in den langen
weißen Bart.
Er war glücklich. Das ist sehr viel und
mancher Mensch, den das Schicksal segnete,
wie man sagt, hat es nicht soweit gebracht.
Denn das Glücklichsein kommt von innen
heraus und nicht umgekehrt. Den Pauli
freute das Leben, weil er die Berge von
seinem Plätzchen sah, weil im Frühling
der Hollundcrbaum vor dem Hause blühte
und weithin die Felder grünten. Niemand
tat ihm ein Liebes oder Leides und das
war ihm von Herzen recht. Biele, lange
Jahre war er aus allen Straßen kerum-
gezogen und was ihn damals begleitete,
umgab ihn heilte wie ehedem. — Arme
Leute pflegen keine Freunde zu haben,
denn die Not ist ein schlechter Gesellschaf-
ter. Aber der Pauli hatte einen. Das war
der Anderst, das kleine Büblein eines Häus-
lers, der in einer kleinen Hütte zwar, aber
doch im Dorfe wohnte. Der Alte besaß
allerhand, was die kindliche Freundschaft
zu schätzen wußte. Zunächst stand in
seinem wohnraum ein wackeliger sichtener
Schrank, verschunden und rissig. wie bei
vielen unscheinbaren Dingen, barg die
häßliche Schale den prächtigsten 'Lern.
Darin bewahrte der Pauli die kleinen
'Kostbarkeiten seiner geübten Kunst, wol-
lige Schafe, bunte Rühe, braune Pferde,
bärtige Ziegen und mancherlei Getier, das
ihm lebend vor Augen kam. Alle diese
schönen Sachen verkaufte er im Sommer
für ein paar Pfennige an die Sommer-
frischler und im Winter ergänzte er den
Borrat wieder.
Der Pauli besaß weiterhin die seltene
Eigenschaft, ein stiller Zuhörer und gedul-
diger Antwortgeber zu sein. Das machte
ikn dem Anderst besonders lieb, weil er
nach Kinderart endlos fragen konnte. An
einem schönen Herbstabend saßen die
beiden wieder vor dem Hause auf der
Bank. Der Bub schlenkelte vergnügt mit
den kurzen Beinchen und der Pauli flickte
an seiner fadenscheinigen Joppe herum.
Da sauste ein blitzblankes seines Auto die
Straße herunter und verschwand als win-
ziges Pünktchen drüben im Wald. Der
Ander! sah ihm nach, bis es die dunklen
Bäume aufnahmen. „Sag, Pauli, wo
führt denn die Straß hin?" — Der Pauli
sah nicht aus. „In d' Stadt halt, Bua!"
— „Ja, und weiter, Pauli-" — „wanns
d' immer weiter gehst, in Himmel nei!"
„Und nach der anderen' Seiten-" -
(fos-lselruuJ auf Zeit« 10)
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