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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 45.1940, (Nr. 1-13)

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Nr. 9
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Oewerberat Olckpielbauer besucht Mailand
Von VGlbclm buitas Kristl

Der letzte Tag seines Italienaufenthaltes
führte den Gewerberat Gschpielbauer nach Mai-
land. Der Gewerberat war aus den Mailänder
Friedhof neugierig, von dem man sich an seinem
Münchner Stammtisch so viel erzählt hatte.
Sein Neffe, der Dekorateur Esterl, schwärmte
von einem Cafe, das sich auf dem Dach des
berühmten Domes befinde. Dem Fräulein Hül-
sebusch, einer Lehrerin aus den nördlichen Ge-
genden Deutschlands, die sich auf dieser Fahrt
den beiden Bayern angeschlossen hatte, schwebte
ein italienischer Frühjahrshut vor. Ihren alten
Hut ließ sie gleich im Koffer.
Gewcrberat Gschpielbauer erreichte mit seinem
Geleite am frühen Vormittag die lombardische
Hauptstadt. Den ersten Eindruck wollten sich
zunächst alle drei nicht eingcstehen. Diesig-dun-
stig sah alles aus und fahlgelb lastete der Him-
mel über staubigen, rußigen Straßen. Verwun-
dert schnupperten Mailands neue Gäste und
reckten die Nasen in die Höhe. Aber erst
Gschpielbauer sprach aus, was alle so befrem-
dete:
„Ich möcht' bloß wissen, was da eigentlich
a so stinkt. Man sieht nichts, man weiß nicht
von waS, aber stinken tuts mordsmäßig. Sagen
Sie das nicht auch, Fräulein Hülsebusch?"
„Wenn ich ehrlich sein will, auch ich bin von
diesem eigenartigen Geruch unangenehm berührt.
Ich dachte mir ohnehin Mailand anders."
„Im Süden hat eben die Luft überhaupt
einen andern Charakter", wandte Esterl ein.
„Hör mir doch mit dein'm Süden auf! Ich
glaub, daß bei dir a Misthaufen, wenn er unter
Palmen steht, auch nach Maiglöckerl duftet."
„Es ist wohl das Beste, meine Herren, ich be-
schaffe mir sogleich neu Hut. Ich möchte es
Ihnen ersparen, daß Sie mit mir auch nur
weitere hundert Meter ohne Hut laufen müssen.
Zu komischer Anblick!"
Bald liefen sie Kilometer ab, weil ihnen

Fräulein Hülsebusch diesen komischen Anblick
keine hundert Meter mehr zumuten wollte. Die
langweiligsten Stadtviertel durchstreiften sie auf
der Jagd nach einem Hutgeschäft. Jeder zweite
Laden war ein Blumenladen.
„Was Schrecklichö", seufzte Gschpielbauer,
der die Hutkauferei schon verwünschte, „ich
möcht' bloß wissen, loaS die Italiener mit die
ganzen Blumen machen. Die können doch nicht
alle Dag Namenstag haben oder silberne Hoch-
zeit oder eine Beerdigung!"
Gegen neun Uhr waren jie in Mailand ein-
getrosfen; gegen zwölf Uhr zierte Fräulein Hül-
sebuschs Kopf der neue Hut. Nach der zwei-
unddreißigsten Hutprobe im dritten Geschäft
hatte sie nicht mehr den Mut gefunden, die Her-
ren in einen weiteren Laden zu schleppen.
So sahen sie immerhin vor dem Essen den
Dom, dem es gelang, zunächst auch seinen neuen
Beschauern respektvolles Erstaunen abzunötigen
Erst im Innern enttäuschte ec sie.
„Ein Kunstwerk ist es natürlich. Ein großes
Kunstwerk sogar. Aber wenn ich an den Kölner
Dom denke!" lind Fräulein Hülsebufch S Ge-
danken schwirrten um den neuen Frühjahrshut,
der ihr ganz und gar nicht gefiel.
„No ja", meinte der Gewerberat, „er wäre ja
von innen auch ganz schön, aber man hat halt
gar nimmer das Gefühl, daß das eine Kirche
ist. Da gehts zu wie in einem Daubenschlag.
Und nachher die Stühle, wie in einem Möbei-
lager alle aufeinander gestellt."
Die Stühlchen mit den strohgeflochtenen
Sitzen häuften sich zu beiden Seiten des Haupt-
schiffes, was Gschpielbauer noch nie gesehen
hatte. Umso auSgeräumtec wirkte auf ihn die
weite Halle, darin sich zu Hunderten, zu Aber-
hunderten, allein und in Gruppen, Fremde in
Knickerbockern, in karierten Anzügen, in Sport-
kostümen und Touristenstiefeln ergingen. Alle
blätterten in dem gleichen dicken roten Büchlein,

blieben nacheinander vor den gleichen Säulen,
Skulpturen und Altarbildern stehen und blickten
ab und zu mit der gleichen pflichtgemäßen Ehr-
furcht zur Decke empor.
Esterl störte das weniger. Ihm ließ das Cafe
auf dem Domdach keine Ruhe. Wenn er nur
den Ausgang gewußt hätte! Wie der kunstbe-
sessenste Liebhaber, so emsig durchforschte er die
letzte Seitenkapelle und die letzte Nische. Und
mit sanfter Gewalt drückte er an jede geschlosse-
ne Pforte.
„Jetzt hast allweil g sagt, du kennst dich aus
in Mailand. Derweil weißt net amal, wo 's da
miss Dach naufgeht."
„Mailand hat schließlich a Million Ein-
wohner. Da steht doch net a jeds Türl auf'n
Stadtplan."
„Mir iS sowieso Wurscht. Ist gescheiter, wir
machen, daß ma bald in Friedhof nauskommen,
dann Ham ma'n hinter uns."
Man verließ gemeinsam den Dom, aber nur,
um dessen Außenfronten zu untersuchen. Um den
ganzen Bau führte sie Esterl, keine Ecken und
keinen Winkel ersparte er ihnen. Eine Treppe
aufs Dach fand sich nirgends. So gingen sie
abermals in den Dom hinein und irrten kreuz
und quer durch die Düsternis der riejigen Mar-
morhallen.
„So, jetzt mag ich nimmer!" Der Onkel
streikte. „Net umS Verrecka geh ich weiter!
Such dir dein damisches Cafe solangst magst.
Ich sitz mich in die nächste Wirtschaft und rast'
aus. So a Viecherei!"
„Gar koa Viecherei! Wenn du dich für nichts
interessierst, nachher soll sich a anders auch für
nichts interessieren. Grad das ist das Wichtigste
von Mailand."
„Das Wichtigste von Mailand ist der Fried-
hof. Mit deinem saudummen Cafe führst uns
in derer Kirch umeinander wie in an Irrgarten
auf'n Oktoberfest."
„Bst, bst", beschichtigte Fräulein Hülse-
busch, „wir jind an einem geweihten Ort."
„Ach was, geweihter Ort hin, geweihter
Ort her. Raus will ich amal und zum Fried-
hvf."
Der Neffe schwor sich, nie mehr in seinem
Leben Reisebegleiter zu spielen. Lieber bloß
von München nach Landshut zu fahren, aber
als sein eigener Herr. In Mailand und nicht
auf diesem Cafe oben!.
Wieder unterm Haupkportal, kamen die
drei gerade recht,, um das Hereinbrechen
eines Platzregens über Milano zu erleben. Es
goß dermaßen, daß die weite Piazza im Nlb
einer Wasserwüste glich, über die sich wiA
Schiffbrüchige die letzten Fußgänger rettetenä
„Du lieber Gott, mein neuer Hut!", entLl
setzte sich Fräulein Hülsbusch.
„Jetzt Ham ina die Bescherung! Weil mein
Herr stresse da dcinn am liebsten übernach-
ten hätt' woll'n."
Esterl entfann sich der Gallerie Vittoria
Emmanuele aus dem Baedeker.
„Dieser Regen trifft sich ausgezeichnet.
Kommt wie bestellt. Könnt gar nicht schöner
sein. Nun werden wir das Wunder von Mai-
land erst richtig erleben."
Und er flüchtete mit den beiden zu den glaS-
überdachten Straßen der Galleria hinüber.
Hier, bei Chianti und Makkaroni kehrte
Zufriedenheit ein.' Die Gemüter beruhigten sich.
Mochte es draußen schütten, hier ging das
Straßenleben im Trocknen weiter. Man schien
nicht müde zu werden, diese herrliche Einrich-
tung eines überdachten Stadtviertels zu be-
wundern und zu loben.
Aber man wurde müde. Der Platzregen


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Register
Robert Rabolt: Zeichnung ohne Titel
Wilhelm Lukas Kristl: Gewerberat Gschpielbauer besucht Mailand
 
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