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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 45.1940, (Nr. 1-13)

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Oaetaiios 8oIlN 18l M8lOI'I)bN . . . .

Von ^v o l b k X cl s r

Ani Golf von Salerno liegt Positano. Als
hätte eine riesige Woge viele weiße, graue und
bunte Muscheln auf die rotbraune Felsenbucht
unter den: Monte San Angelo geschwemmt, so
schimmern die Häuschen auf das sattblaue Meer
herunter, in unregelmäßigen Terrassen an das
nackte Gestein geklammert. Nur eine große
Straße führt durch den Ort. Es ist „ein Städt-
chen, Signore". Auf dieser Straße fahren die
bunten Zweiräderkarren der Weinbauern, die
flinken Carrozzen mit einem mageren Pferdchen
davor und einem Svnnendacb für die Fremden,
die nach Ravello oder Sorrent wollen, denn die
Sonne brennt vom glutblauen Himmel. Es gibt
nur die eine Straße. Alle anderen Wege sind
Treppen mit wer weiß wie vielen Stufen, bis
hoch in die Berge hinauf, wo die letzten Häuser
stehen. Es kann sie niemand zählen, höchstens
einer. Gaetano.
Gaetano muß sie alle ersteigen, denn er ist der
Briefträger des Ortes und übt seit fahren die-
sen Beruf aus. Wenn cS eine Himmelsleiter

gäbe, er würde sie trotz seines Alters hinanf-
laufen und keinen Schnaufer mehr tun als sonst.
Und dem PetruS würde er genau so auf die
Frage nach seinen Sünden antworten wie den
Leuten, die sehnsüchtig Briefe erwarten, mit
einem listigen Lächeln im faltigen Gesicht, vor
dem er mit gespreiztem Daumen und Zeigefinger
die Hand dreht. „Niente, signore, nienle!"
Nichts, gar nichts! — Er ist kein Briefträger
von Amts wegen, kein Beamter. Er tut cS wie
andere fischen, Wein keltern oder den Fremden
das Gepäck über die Seuszerstiegen schleppen.
Für ein paar Lire. Viel Geld für ihn dort, wo
der Liter roter Lanöwein zwei Lire kostet.
Aber Gaetano ist traurig. Sein Lächeln hat
er in dem verfallenen Hänselten in der t'ivilü
inortu, in dem verlassenen Stadtteil, gelassen,
wo Francesco krank liegt und der Dottore hat
heute ein sehr ernstes Gesicht gemacht. Ein
kluger Mann, der Oottore, der weiß, ob die
Ncenschen am Leben bleiben oder sterben. Wie
könnte Gaetano lächeln. Francesco ist sein ein-

ziger Sohn und seine Frau längst tot. Ein
schöner Bursche, der den Fischern die Boote ans
Land ziehen half und mit Botengängen ver-
diente. Und so stark/war er. Nein, er darf
nicht sterben! Der Dottore und die Madonna
werden helfen... Er hat ihr eine dicke Kerze
geschenkt und ein wächsernes Herz. Acht Lire
zusammen. Die Madonna wird verstehen, daß
es ein großes Opfer ist.. . Gaetano seufzt und
steigt, steigt. . .
Am späten Nachmittag kommt er heim. Das
Opfer war umsonst. Francesco ist tot und vor
seiner Tür spielen lachende Nachbarskinder.
.Nur als der Dottore Herauskvmmt, halten sie
die Hände vor die Augen. Er war bei einem
Aoten und sein Blick könnte schaden. Sic laufen
davon, uni den Schreiner zu rufen, der den
Sarg bringt.
Die Nachbarn drängen sich an Gaetano.
„Alles Heil für dich!" wünschen sie. Die Ge-
sundheit/ die Kraft, die Zugenö des Dahin-
gescbiedcnen möge sich aus Gaetano übertragen,
denn der Tote braucht sie nicht mehr. Und
Gaetano, der Briefträger, dankt. Viele Male,
überall, wo er zu treffen ist. Er schüttelt mit
verzerrtem Gesicht die Fäuste: „Oh, mein Fran-
cesco! Er war so schön und stark! Mein Ein-
ziger! Grazie, signore!" . . .
Am nächsten Morgen ist schon die Be-
erdigung. Es geht schnell dort im Süden. Zm
Dom halten sic die Totenmesse. Dann tragen
sie den Sarg auf den Wagen, der schwarz aus-
geschlagen und mit düsterem Zierat geschmückt
ist. Sechs Männer! Gaetano läßt es sich
etwas kosten. Stumm und unbewegt geht cr
vor den weinenden Frauen her, die folgen. Zn
der Carrozza folgt der Pfarrer. Die Meß-
buben laufen, daß ihre Kopftücher flattern,
und schleppen den Kranz. Einen einzigen nur.
Blumen sind selten. So zieht sich der Zug
auf zahlreichen Windungen hin, bis die
Straßentreppe zum Lergfriedhof abzweigt.
Kurz segnet der Priester, dis Träger heben
den Sarg auf ihre Schultern und tragen ihre
Last davon. Sie und die Meßbuben sind alles
vom Lcichenzug, was den Friedhof erreicht.
Die Leidtragenden zerstreuen sich, reden vom
Wein, von kleinen Geschäften und Klatsch.
Der Tod ist vergessen und die südliche Lebens-
freude siegt. . .
Nur Gaetano schließt sich noch an. Er hat
dort oben an den Häusern Post zu bringen.
So vereint er beides. Das Grab wird er
später sehen, das man in den Felsen schlug.
Zeder Brocken Erde muß hier Frucht tragen
in der Felsenbucht. Man kann den Toten die
Erde nicht schenken. Es geht auch so mit einer
gemauerten Platte. Vor dem letzten Haus
bleibt Gaetano stehen und schaut dom schwan-
kenden Sarg auf den Schultern der Träger
nach. Die Meßbubcn trällern ein Liedchen
und die Männer scherzen miteinander. Die
Sonne blinkt auf den Messingbeschlägen der
eichenen Truhe und die bunten, armen Papier-
blumen darauf leuchten fast fröhlich dazu.
Am Abend wird Gaetano hinaufsteigen zum
Bergfriedhof, wo die Fremden oft sitzen, wenn
sie traurig sind, und über das Meer blicken . . .
„Alles Gute für.Euch, Gaetano! — Euer
Sohn!" . . . „Oh, er war schön und stark, oh!"
— „Habt Zhr Briefe?" — „Niente, signore!"
Die wohlbekannte Handbewegung, der ein
schwaches, schmerzliches Lächeln folgt. Ge-
witter haben in der Bucht nur kurze Dauer,
aber sie sind gewaltige Ausbrüche der Natur,
bind dann scheint die Sonne wieder. Morgen
wird Gaetano wieder lächeln. Morgen ist
alles vorüber. Auch der Tod! — „Niente,
signore!"

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Register
Hermann Kaspar: Zeichnung ohne Titel
Wolff Eder: Gaetanos Sohn ist gestorben
 
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