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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 45.1940, (Nr. 1-13)

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Nr. 11
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Urei kl ö r n e r i in O s u e r t ii I

Retter das Liebst« zu eigen haben soll, lvaS ich
nur auf der Erde kenne, und das ist meine
Halde Nichte Diotwina! Sie sei ihm verlobt
vor Gott und Menschen. Er hatte die rechte
Hand wie zum Eide gegen den Himmel aus-
gereckt. Der Zug hielt staunend und betrach-
tete den glühenden Greis; seine Hausfrau aber
sah totenbleich vor Schrecken aus und brachte
endlich mühsam die Worte hervor: Mann,
Mann, was hast du getan? Woher noch die-
ser verderbliche Ungestüm unter so weißem
Haar? Sieh doch um dich, wo wir stehn. Da
ist ja die Kapelle, drinnen unser einziger Sohn
schläft, und du hast gleich nach dessen Fall
DiotwinenS frommes Gelübde wohl vernom-
men, als reine Braut unseres Sigebald zu
leben und zu sterben. Welch ein Eidschwur soll
denn nun gebrochen werden? Ihrer oder
deiner?
Der alte Ritter ließ die Hand in großer
Betrübnis sinken und seufzte: Das ist cs! Der
Himmel streut seine herrlichsten Gaben und der
Mensch verkehrt sie im zügellosen Jubel sich
zum Verderb. Der ganze Zug blickte traurig
und erschrocken auf den verstörten Herrn. Da
tat Diotwina mit einem Engelslächeln ihren
schönen Mund auf und sagte: Vater und
Mutter, betrübt Euch nicht. Ich denke, unsere
Eide laufen nicht so gegeneinander, als ihr
fürchtet. — Und zum alten Lanömann gekehrt
fuhr sie fort: Woher wißt ihr denn, daß euer
Anführer von heute Nacht eben Richard war?
— Mein Gott, edles Fräulein, entgegnete der
Alte, wer sollte es denn anders gewesen sein?
Trug er ja doch die Farben unseres herrschaft-
lichen Hauses und dessen Wappenzeichen aus
Feldbinde und Schild! War ja doch sein Wesen
und Sprache, und Art zu reiten, ganz und gar
nach Art unserer Herren! Auch rief er des
Stammhauses Namen immer mit furcbtbar
herrlicher Kriegsstimme aus, so oft sein Schim-
mel in die Haufen der Feinde hineinflog. Ja,
er sprach mehrmalen zu uns, wir föchten unter
einem Sprossen der echten Wurzel. Wer
konnte es denn nun anders sein, als Junker
Richard? Sein Antlitz hat freilich niemand

geschaut, denn er trug das Helmgitter immer
geschlossen. — So laßt euch denn erzählen,
was mir heute zu Nacht begegnet ist, sagte
Diotwina mit erhobener Stimme und feier-
lichem Wesen, und hört mir achtsam zu, denn
ich rede die reine Wahrheit, als eine reine
Jungfrau es soll. — Ich stand an meinem
Kammerfenster und begoß teils mit frischem
Dluellwasser, teils auch mit eigenen Tränen
ein schönes, blühendes Myrtenbäumlein, das
ich mir früher in glücklichen Zeiten zu meiner
Brautkrone hatte aufziehen wollen. Nun
prangte es wunderherrlich, aber das Fest, dem
es leuchten sollte, war für alle Zeiten verwelkt.
In diesen und ähnlichen Gedanken ward ich
durch ein Geräusch vor der Kammertür ge-
stört. Ich konnte deutlich hören, wie etwas
mit leichten, leisen, aber waffenklirrenden Trit-
ten die kleine Stiege heraufkam, und weil
Vater und Mutter schon längst unten schlie-
fen, auch es tief in die Nacht ging, überlief
mich ein banger Schauder. Da machte es die
Türe halb auf, ein gepanzerter Arm hielt die
Feldbinde herein, die ich meinem Bräutigam
gestickt hatte, und die ihm mit in den Sarg
gelegt war; dann sagte es draußen mit Sige-
balds Stimme: Ich bin es. Darf ich herein,
ohne daß ich dich zum Tode erschrecke? — In
Gottes Namen, rief ich, vor Furcht und Sehn-
sucht zitternd. Da trat der bleiche, geharnischte
Jüngling mit aufgeschlagenem Helmsturze ernst
und langsam ins Gemach. Ich kannte seine
holden Züge wohl wieder und hatte doch nicht
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Wis sin Stück Samt «juick Keils kiöncis
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so blükt rur dlsckl «jsin disms in mir sut:
bstslit mick, ssugl mick suk, un«j glsnr-
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tinri' ick in msinsn stsilon lsgsslsul.
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recht das Herz, hineinzusehen, so daß ich noch
nicht mit mir eins bin, ob seine Augen starr
und hohl waren, wie die eines Toten, oder
mildeglühend, wie sonst. —- Brauchst du die
Myrte noch zu deinem Hochzeittage? fragte er
freundlich. Ich schüttelte das Haupt. — Ge-
nüßlich nimmermehr? —- Ich schüttelte wieder.
— Ach, bat er, ganz so schmeichelnd, lieb und
treuherzig, wie sonst im Leben, flechte mir doch
einen Siegeskranz daraus, mein Bräutchen
schön. Denn siehe, mir ist zugelassen, das Ge-
schäft der Rache und Rettung in diesem bleichen
Erdenleibe zu üben, und wenn er sich dann
wieder in den Sarg legt, nimmt er den Sieges-
kranz mit. — Ich flocht und flocht emsig, und
flocht die Zweige allzumal in einen schönen
Kranz. Der Bräutigam stand lange und
schweigsam an der Tür. Als ich nun fertig war,
da beugte er sein Knie vor mir, ich setzte ihm
den Kranz auf den Helm, und hinausschreitenö,
sprach er zurück: Sei auch nicht bang', schön
Liebchen, Wenn s nun von Schlachtlärm durch
die Täler rauscht. Der Sieg ist mir von Gott
in meine Hand gegeben. — Und damit grüßte
er, Abschied nehmend, so anmutig, daß all mein
Dangen schwand, und ich ihm nachlächeln
mußte, wie ehemals, wenn er aus ein freudiges
Turnier von mir hinauszog. Nur als ich ihn
aus seinem Schimmel so sehr schnell und luftig
durch die Nacht hinsprengen sah, kam mir wie-
der ein Grauen an.
Ihr kennt nun Euren Retter, teure Eltern
und getreues Volk, und wenn Ihr wie ich Euch
denn darum bitte, Kapelle und Sarg eröffnen
wollt, zweifle ich nicht, der Myrtenkranz um
meines Bräutigams Helm wird Euch die Wahr-
heit aller meiner Worte bestätigey.
Sie sahen sich allzumal schweigend und zwei-
felnd an. Freilich erhub sich in mancher Brust
der Gedanke, DiotwinenS holder Geist sei durch
die seltsamen Begebenheiten der Nacht und wohl
auch durch einen furchtbaren Traum zerrüttet;
aber wenn man es sich zurückrief, wie besonnen
heiter sie dem Zuge, aus der Hütte tretend, be-
gegnet war, konnte dieser Wahn keinen Raum
mehr finden, und in der Tat mußten sich die
Landleute erinnern, daß ihr Führer, nachdem er
sie gesammelt, eine Weile fern gewesen und dann
mit einem schönen Kranz um den Helm wieder-
gekommen war. So geschah es denn nach
DiotwinenS Bitten; die Kapelle ward eröffnet,
und die Hausfrau, zweifelnd, ob man des lieben
Toten Gebein so dreist ans Licht rufen dürfe,
durch die Verheißung der Landleute beruhigt,
an der Stätte Wache zu halten, bis Tür und
Schloß wieder kunstreich gefertigt dastehe. Wie
nun aber die eingerostete Pforte so gewaltigen
Widerstand leistete, da war es, als drücke die
Körperwelt mit ihrer Schwere den Glauben an
jene Erscheinung in aller Herzen zu Tod. Nur
Diotwina lächelte zuversichtlich der Bewährung
ihrer Worte entgegen. Und ab rollte der
Deckel, und in seiner vollen Rüstung lag auf-
geschlagenen Visiers der junge Held mit lächeln-
dem Antlitze da, den Siegeskranz, geflochten aus
der Myrtenkrone seiner Verlobten, um sein be-
helmtes Haupt. Da sank alles zu Boden und
dankte und preiste Gott. Diotwina aber lösete
freudig ihr und des Oheims Gelübde. Sie ver-
harrte als die treue Verlobte des Ritters bis
an ihren Tod, in der Nähe seiner Kapelle ein
kleines Häuslein bewohnend, welches Richard,
als er nach vielen Jahren wirklich heimkam, und
die Erbschaft ihm von den beiden alten Leuten
in gutem Frieden hinterlassen, antrat, zu einem
schönen Frauenkloster erweiterte, unter dessen
Schirm die Sigebalds-Kapelle noch lange nach-
her eine Stätte voll heiligen Schauders und ein
Ziel vieler Wallfahrten geblieben ist.

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Register
Curt Rabethge: Drei Hörner im Gauertal
Maria Forster: Beschwörung
 
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