Der Dock blickte mich mit seinen hellgelben
Augen groß an: Siehst du, hier bin ich zum
Gärtner gemacht worden, so sieht der Früh-
ling ohne Menschen aus, was du hier siehst,
ist Überfluß und Überschwang, drum halte dich
still und störe nicht. Nach dieser stummen An-
sprache legte ec den Kopf zur Seite, meckerte
höhniscb und ließ mich stehen, (sch stand nun
oben auf der höchsten Klippe, unter mir lag
das Meer, das brandend gegen den dunkeln
Fuß des steilabfallenden Felsen schäumte. Da
saß ich nun, einsam und verlassen auf dieser
einsamen Insel, ein Untertan eines bösen,
höhnischen Ziegenbockes. War das Blendende
in der Sonne dort nicht ein rettendes Segel?
Was sollte ich tun? Was tat Robinson in
solcher Stunde? Wie er seine Fellweste so zog
ich inein Hemd aus und winkte und winkte —
aber als der Bock sah, daß ich seiner Herr-
schaft entfliehen wollte, jagte er mit gesenkten
Hörnern ans mich zu und stieß mich über die
Xlippe. Es wird oft davon gesprochen, was
der Mensch in seiner letzten Sekunde denkt —
(schläfst du — fragte ich den Gefährten, da-
mit er diese Feinheit nicht versäume — „ich
wache und lausche", sagte er -— und ich fuhr
fort:) was also der Ncensch in seiner letzten
Sekunde denkt — ich dachte mir während des
Falles in die zwanzigrnetrige Tiefe: Alles, alles
— nur keinen Bauchfleck. KöpslingS kam ich
unten an, ging in die grüne, algenverwachsene
Tiefe, sah den lichten Sand auf dem Grund
und schoß wieder wie ein Bolz in die Höhe.
Ein Ruderboot kam, während ich tief Atem
holte, aus mich zu, oben in der Wand war
der Kops des bösen Ziegenbockes zu sehen,
der sich von meinem Tode überzeugen wollte,
man labte mich mit Kognak —"
„Da du gerade vom Trinken sprichst", sagte
mein Freund mit schläfriger Stimme —
„haben wir noch etwas Trinkbares?"
„Du, der alle Viertelstunden einen tiefen
Schluck tut", sagte ich über diese Unter-
brechung gereizt, „du solltest nicht so albern
fragen."
„Dann müssen wir sofort ans Land gehen",
sagte inein durstiger Gefährt«. Einige kurze
Paddelschläge und wir sind bei einem Wirts-
haus. Zuerst brachte uns der Wirt — da wir
wohl sehr von weit her aussahen, das Frem-
denbuch und dann etwas zum Trinken. Das
Fremdenbuch war mit Zeichnungen und Versen
bis zum Rande vollgestopft. Die Verse ende-
ten alle niil: Warten —- Garten — wegen —
Regen — Boot — Not — Donau — blau —
Sonne — Wonne — Sturm — Wurm —
Wind — geschwind — die Zeichnungen zeig-
ten Flaggen, Boote, Köpfe, Männchen — und
unter allen fast stand von den fremden Hän-
den kritischer Witzbolde irgend eine hämische
Bemerkung, (sch möchte den Dichter kennen,
dem beim Anblick so vieler kollegialer Leistun-
gen nicht ganz einfach schwindlig würde. (sch
kam mir vor wie eine Hebamme unter quäken-
den Säuglingen. In dieses aus Stolz und
Mißbehagen gemischte Gefühl platzte die
törichte Frage meines Freundes mitten hinein:
„Und die Geschichte des Ziegenbockeg — ist
die schon aus?"
„Aus" — sagte ich. „Man darf an ihr
nicht mehr rühren. Diese Insel liegt an. der
Westküste Norwegens — ich werde sie nie
wieder aufsuchen. Laß niemals Luft zu den
wohlverwahrten Bildern deiner Erinnerung, sie
altern dir sonst, sie werden welk und grau.
Das ist ein kleines Geheimnis, das ich dir hier
an der Donau anvertraue. Denn auch dieser
Tag kehrt nicht wieder — und ein einmaliger
ganz schöner Tag ist doch besser als viele, an
denen wir uns nur wohl gefühlt haben."
Toni klo t ll
128
Augen groß an: Siehst du, hier bin ich zum
Gärtner gemacht worden, so sieht der Früh-
ling ohne Menschen aus, was du hier siehst,
ist Überfluß und Überschwang, drum halte dich
still und störe nicht. Nach dieser stummen An-
sprache legte ec den Kopf zur Seite, meckerte
höhniscb und ließ mich stehen, (sch stand nun
oben auf der höchsten Klippe, unter mir lag
das Meer, das brandend gegen den dunkeln
Fuß des steilabfallenden Felsen schäumte. Da
saß ich nun, einsam und verlassen auf dieser
einsamen Insel, ein Untertan eines bösen,
höhnischen Ziegenbockes. War das Blendende
in der Sonne dort nicht ein rettendes Segel?
Was sollte ich tun? Was tat Robinson in
solcher Stunde? Wie er seine Fellweste so zog
ich inein Hemd aus und winkte und winkte —
aber als der Bock sah, daß ich seiner Herr-
schaft entfliehen wollte, jagte er mit gesenkten
Hörnern ans mich zu und stieß mich über die
Xlippe. Es wird oft davon gesprochen, was
der Mensch in seiner letzten Sekunde denkt —
(schläfst du — fragte ich den Gefährten, da-
mit er diese Feinheit nicht versäume — „ich
wache und lausche", sagte er -— und ich fuhr
fort:) was also der Ncensch in seiner letzten
Sekunde denkt — ich dachte mir während des
Falles in die zwanzigrnetrige Tiefe: Alles, alles
— nur keinen Bauchfleck. KöpslingS kam ich
unten an, ging in die grüne, algenverwachsene
Tiefe, sah den lichten Sand auf dem Grund
und schoß wieder wie ein Bolz in die Höhe.
Ein Ruderboot kam, während ich tief Atem
holte, aus mich zu, oben in der Wand war
der Kops des bösen Ziegenbockes zu sehen,
der sich von meinem Tode überzeugen wollte,
man labte mich mit Kognak —"
„Da du gerade vom Trinken sprichst", sagte
mein Freund mit schläfriger Stimme —
„haben wir noch etwas Trinkbares?"
„Du, der alle Viertelstunden einen tiefen
Schluck tut", sagte ich über diese Unter-
brechung gereizt, „du solltest nicht so albern
fragen."
„Dann müssen wir sofort ans Land gehen",
sagte inein durstiger Gefährt«. Einige kurze
Paddelschläge und wir sind bei einem Wirts-
haus. Zuerst brachte uns der Wirt — da wir
wohl sehr von weit her aussahen, das Frem-
denbuch und dann etwas zum Trinken. Das
Fremdenbuch war mit Zeichnungen und Versen
bis zum Rande vollgestopft. Die Verse ende-
ten alle niil: Warten —- Garten — wegen —
Regen — Boot — Not — Donau — blau —
Sonne — Wonne — Sturm — Wurm —
Wind — geschwind — die Zeichnungen zeig-
ten Flaggen, Boote, Köpfe, Männchen — und
unter allen fast stand von den fremden Hän-
den kritischer Witzbolde irgend eine hämische
Bemerkung, (sch möchte den Dichter kennen,
dem beim Anblick so vieler kollegialer Leistun-
gen nicht ganz einfach schwindlig würde. (sch
kam mir vor wie eine Hebamme unter quäken-
den Säuglingen. In dieses aus Stolz und
Mißbehagen gemischte Gefühl platzte die
törichte Frage meines Freundes mitten hinein:
„Und die Geschichte des Ziegenbockeg — ist
die schon aus?"
„Aus" — sagte ich. „Man darf an ihr
nicht mehr rühren. Diese Insel liegt an. der
Westküste Norwegens — ich werde sie nie
wieder aufsuchen. Laß niemals Luft zu den
wohlverwahrten Bildern deiner Erinnerung, sie
altern dir sonst, sie werden welk und grau.
Das ist ein kleines Geheimnis, das ich dir hier
an der Donau anvertraue. Denn auch dieser
Tag kehrt nicht wieder — und ein einmaliger
ganz schöner Tag ist doch besser als viele, an
denen wir uns nur wohl gefühlt haben."
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