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Justi, Carl
Murillo — Leipzig, 1892

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https://doi.org/10.11588/diglit.8593#0031
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Das erste Jahrzehnt nach der Rückkehr.

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Das erste IaHrzehnt nach der Uückkehr.

Die Erzählung steht mm vor einem fünfunddreißigjährigen Schaffen, aus dem
noch ein Schatz von angeblich einem Halbtausend Gemälden verzeichnet ist, über deren Zeit-
folge, mit weuigen Ausnahmen, die Akten schweigen. Freilich steht der Anfangspunkt
fest und der Schluß: die großen Folgen der Caridad, der Kapuziner, und einige wenige
Zwischendaten, aber das ist auch alles. Ob es möglich ist, die zeitliche Kette der
übrigen Stücke aus inneren Gründen beweiskrüftig herzustellen? Die Erfahrnng zeigt
ja, daß man, bei gutem Willen, sich immer in eine so bestimmte Überzeugung hinein-
forschen kann (jeder iu seine besondere), als hütte man das Tagebuch des Meisters ein-
gesehen, ja in den verborgenen Falten seines Herzens gelesen.

Die alte Unterscheidung dreier Stilperioden — des kalten, warmen, duftigen
(brio, oaliäo, vaxoroso) — ist allgemein ausgegeben worden. Gewiß kann man eine
große Anzahl Bilder bezeichnen, auf welche diese von spanischen Malern früherer Zeit
(die keine leeren Wortmacher waren) aufgestellten Ausdrücke wie gemünzt scheinen; aber
es wäre ein trostloses Beginnen, alle unter diese Begriffe, oder auch, wenn sie versagen,
berufsmäßig unter so nichtssagende, wie „zweiter Stil", „bester Stil" unterbringen
zu wollen.

Man hat jene drei Stile neuerdings sogar für gleichzeitige, durch die Stoffe
bedingte Vortragsweisen erklürt: den kalten Stil nahm er sür die Mönchsgeschichten, den
warmen für die Madonnen, den duftigen sür die Visionen und Konzeptionen (Tubino).
Diese Auskunft wird indes durch schlagende Gegenbeispiele hinfällig. Sicher aber ist,
daß viele Wechsel, die man sonst geneigt sein würde, aus Stilwandlungen zu erklären,
iu gleichzeitigeu Werken vorkommen, also andere Ursachen haben: z. B. die poetische,
aufregende, oder nüchterue, vertrauliche Art der Handlung; den Geschmack, die Geistesart,
die Gunst der Besteller, den Aufstellungsort.

Nur soviel stellen jene wenigen sicheren Jahrzahlen außer Zweifel, daß Murillo
den Weg zur völligen Beherrschung seines malerischeii Rüstzeugs und dessen flottestem
Gebrauch in sehr wenigen Jahren durchmessen hat. Denn ins Jahr 1655 fällt bereits
die „Geburt Mariä", ein Gemälde, dessen üppige Orchestrirung er nie überboten hat, und
ins folgende sein Meisterwerk, der heil. Antonius der Taufkapelle. Für alle die Stil-
nüancen, welche in den darauffolgenden 27 Jahren vorkommen, wird man andere
Ursachen suchen müssen, als eine vermeintliche Entwicklung; sie können keiuen festen An-
halt zu chronologischer Anordnung geben.

Jns erste Jahrzehnt nach der Rückkehr dürste eine Anzahl der verschiedenartigsten
Werke gehören, in welchen Kraft und Schönheit des Lichts, Wärme der Empfinduug


 
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