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Der Charakteristiker.

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Nach diesen wenigen Proben war es Murillo's Grundsatz, seinen Bildnisauf-
nahmen die mehr oder weniger reine Vorderansicht zu geben, mit fest auf den Beschauer
gerichtetem Blick, und im Vertrauen auf die Wirkung dieses ruhigen Blicks von Andeu-
tnng bestimmter Situationen oder Erregungen günzlich abzusehen.

Per ßharalUeristiker.

Von Malern der Empfindung, der „Lebensgeister", der Ekstasen wird man nicht
erwarten, daß sie große Charakteristiker sind. Correggio hat keine Bildnisse gemalt,
nnd wie wenig Stoff zu physiognomischer Deutung enthalten, trotz ihres mächtigen
Baues, ihrer erregten Mienen- und Gebürdensprache, seine Heiligen und Apostel! Aber
giebt es unter den großen Malern der Vergangenheit überhaupt viele, aus denen sich
ein Album selbstgeschaffener, idealer und historischer Charaktere znsammenstellen ließe?
Wo ist ein Kunstwerk, das sich hierin mit Raphaels Disputa vergleichen könnte?

Murillo hatte für dramatische Momente keinen besonderen Bernf; er hat die
Erzählung historischer Handlungen nicht selten ins Sittenbildliche gezogen. Er bietet
uns dann unter großen Namen das Namenlose, das Gattungsmäßige: die Weiber und
Kinder am Quell der Oase, die Handwerkerfamilie in der Hütte, die Wandercr auf dem
Waldpsade, das Publikum bei der Hinrichtung des armen Sünders. Weniger das
Drama als dic Umrisse der bewegten Gruppe, iu die es sich kleidet. Auch das Feld,
auf dem sein physiognomischer Sprachschatz liegt, ist nicht sehr nmfassend.

Gleichwohl würde man ihm nicht gerecht werden, wollte man ihn zu denen zühlen,
deren Figuren alle einer Familie angehören, die alles in eine und dieselbe Gußform
ihrer Phantasie werfen. Man kann sich heute mit Bequemlichkeit davon überzeugen,
daß er doch eine nicht geringe Anzahl fesselnder Charakterköpfe geschaffen hat. Man
stelle nur seine Mönche nebeneinander, diese heil. Diego, Felix, Antonius, Franz von
Paula, Thomas, Pedro Nolasco: keiner könnte mit dem anderen vertauscht werden
in Zügen, Temperament und Mienenspiel. Wie gut hat er im heil. Ferdinand den
Typus eines tapferen, beschränkt frommen Rittersmanns getroffen! Over in dem
müchtigen Breitkopf seines Santiago (von Mengs gelobt: lisllissiirm biAuru, Prado 863)
den treuen Wanderlehrer, der den Weg durch die römische Welt bis zum tinis tsrrno
durchmessend Millioncn die Pilgerstraße vorzeichnete!

Seine Methode war augenscheinlich, sich passende Leute zu suchen, wie der Regisseur
einer Liebhabervorstellung, in welche die Zuschauer sich leicht finden, wenn sie auch
nicht immer ganz mit dem ihnen vorschwebenden Bilde sich decken. An diesen Modellen hat
er uicht zu viel vcründert, — veredelt oder verallgemeinert. Jhre Wahl ist nie taktlos.
 
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