38
Da wir den Verlauf jenes Bogens willkürlich annehmen, so kann natürlich die Gleichheit
der vier Abschnitte nichts beweisen. Das ändert sich jedoch, wenn wir bei den anderen Ideal-
köpfen dieser Zeit dieselben Gesichtsabschnitte auf einem ebenso laufenden Bogen wiederum
gleich finden.
So scheint es bei der Madonna mit der Heuschrecke (B. 44), wenigstens erklären sich
so die regelmässigen Verhältnisse glatter als wenn man sie auf einer Geraden misst. Deutlich
ist es dann bei der Bäuerin (B. 83), der kleinen Reiterin (B. 82); ferner bei der Madonna mit
den vielen Tieren (Zeichnung, Albertina 109). Vielleicht ist es auch noch anzunehmen, aber
weniger sicher, bei der Madonna mit Engeln (Holzschnitt, B. 100), der Magdalena (H., B. 121),
den Vier Hexen (B. 75) und dem Fahnenträger (B. 87, der Haaransatz nicht deutlich).
Indessen, das alles bleibt Hypothese, und wir
wollen nicht etwa durch eine feste Behauptung in dieser
schwer zu entscheidenden Frage die andern — unseres
Erachtens sicheren — Resultate gefährden. Eins dagegen
können wir mit Bestimmtheit sagen, dass hier noch kein
Proportionsschema vorliegt: dazu ist die Mehrzahl der
Maasse zu willkürlich, die Stellung zu schwierig, die Ver-
schiebungen und Verkürzungen zu gross; insbesondere
fehlt die Beziehung zu Vitruv: dessen später stets be-
folgte Proportionierung des Gesichts zum Kopf wie J/lo
zu 4/s ist hier deutlich ausgeschlossen.
Als ein Analogon dürfen wir vielleicht noch die
interessante Londoner Zeichnung von 1503 (L. III 229;
vgl. die Abbildung) anführen. Die roten geometrischen
Linien regeln die Hauptabmessungen der Köpfe.48) Wir finden in dem Madonnenkopf die
Abschnitte auf einem Bogen abgetragen, wie wir es für die erwähnte Gruppe vorgeschlagen
haben. Die Linien sind schnell gezeichnet, aus freier Hand, wie man namentlich an der senk-
rechten Hauptlinie erkennt (auf unserer Abbildung nur ein Stück zu sehen); also eine Hilfs-
zeichnung zu praktischem Zweck, zu unterscheiden von jenen mit Zirkel und Richtscheit her-
gestellten Konstruktionen nackter Idealfiguren und strenger Profilköpfe.
48) Als Analogon, nicht als Argument, weil diese Zeichnung etwas später ist als die Gruppe jener frühen Madonnen-
köpfe. — Es ist selbstverständlich, dass Dürer, wenn er etwa 1520 einen Körper konstruierte, nicht ein Prinzip von 1504 an-
wandte: das System ist zu Einer Zeit dasselbe. Dagegen konnte er natürlich nicht, wenn er Köpfe in verschiedener Stellung
brauchte, ein und dasselbe Schema benutzen. Das Profilschema liess sich bei Madonnen kaum anwenden. (Madonnenköpfe im
Profil sind in Dürers Werk äusserst selten und dann durch ein besonderes Motiv begründet: so die Zeichnungen Lippm. IV 353
und 395, wo die Madonna das Kind an ihr Gesicht presst, und IV 443, wo sie nach der Seite gewendet das Kind hält.) Das
Schema für den von vorn gesehenen Kopf hatte er damals noch nicht ausgebildet, so war es nur natürlich, dass er zu seinem
schon früh üblichen Verfahren bei Madonnenköpfen griff, die Hauptmaasse auf einem Bogen abtrug; hier in etwas reicherer Aus-
führung als es dort wohl anzunehmen ist.
Da wir den Verlauf jenes Bogens willkürlich annehmen, so kann natürlich die Gleichheit
der vier Abschnitte nichts beweisen. Das ändert sich jedoch, wenn wir bei den anderen Ideal-
köpfen dieser Zeit dieselben Gesichtsabschnitte auf einem ebenso laufenden Bogen wiederum
gleich finden.
So scheint es bei der Madonna mit der Heuschrecke (B. 44), wenigstens erklären sich
so die regelmässigen Verhältnisse glatter als wenn man sie auf einer Geraden misst. Deutlich
ist es dann bei der Bäuerin (B. 83), der kleinen Reiterin (B. 82); ferner bei der Madonna mit
den vielen Tieren (Zeichnung, Albertina 109). Vielleicht ist es auch noch anzunehmen, aber
weniger sicher, bei der Madonna mit Engeln (Holzschnitt, B. 100), der Magdalena (H., B. 121),
den Vier Hexen (B. 75) und dem Fahnenträger (B. 87, der Haaransatz nicht deutlich).
Indessen, das alles bleibt Hypothese, und wir
wollen nicht etwa durch eine feste Behauptung in dieser
schwer zu entscheidenden Frage die andern — unseres
Erachtens sicheren — Resultate gefährden. Eins dagegen
können wir mit Bestimmtheit sagen, dass hier noch kein
Proportionsschema vorliegt: dazu ist die Mehrzahl der
Maasse zu willkürlich, die Stellung zu schwierig, die Ver-
schiebungen und Verkürzungen zu gross; insbesondere
fehlt die Beziehung zu Vitruv: dessen später stets be-
folgte Proportionierung des Gesichts zum Kopf wie J/lo
zu 4/s ist hier deutlich ausgeschlossen.
Als ein Analogon dürfen wir vielleicht noch die
interessante Londoner Zeichnung von 1503 (L. III 229;
vgl. die Abbildung) anführen. Die roten geometrischen
Linien regeln die Hauptabmessungen der Köpfe.48) Wir finden in dem Madonnenkopf die
Abschnitte auf einem Bogen abgetragen, wie wir es für die erwähnte Gruppe vorgeschlagen
haben. Die Linien sind schnell gezeichnet, aus freier Hand, wie man namentlich an der senk-
rechten Hauptlinie erkennt (auf unserer Abbildung nur ein Stück zu sehen); also eine Hilfs-
zeichnung zu praktischem Zweck, zu unterscheiden von jenen mit Zirkel und Richtscheit her-
gestellten Konstruktionen nackter Idealfiguren und strenger Profilköpfe.
48) Als Analogon, nicht als Argument, weil diese Zeichnung etwas später ist als die Gruppe jener frühen Madonnen-
köpfe. — Es ist selbstverständlich, dass Dürer, wenn er etwa 1520 einen Körper konstruierte, nicht ein Prinzip von 1504 an-
wandte: das System ist zu Einer Zeit dasselbe. Dagegen konnte er natürlich nicht, wenn er Köpfe in verschiedener Stellung
brauchte, ein und dasselbe Schema benutzen. Das Profilschema liess sich bei Madonnen kaum anwenden. (Madonnenköpfe im
Profil sind in Dürers Werk äusserst selten und dann durch ein besonderes Motiv begründet: so die Zeichnungen Lippm. IV 353
und 395, wo die Madonna das Kind an ihr Gesicht presst, und IV 443, wo sie nach der Seite gewendet das Kind hält.) Das
Schema für den von vorn gesehenen Kopf hatte er damals noch nicht ausgebildet, so war es nur natürlich, dass er zu seinem
schon früh üblichen Verfahren bei Madonnenköpfen griff, die Hauptmaasse auf einem Bogen abtrug; hier in etwas reicherer Aus-
führung als es dort wohl anzunehmen ist.