Kultur und Kunſt in Oberſchwaben im Zeitalter des Barock, Rokoko und Klaſſizismus. 95
Kirche begrenzte man gewöhnlich in hergebrachter Weise den Kreuzgang im Norden:
ſo wurde eine Beſchattung des Klosters durch das Dach der Kirche vermieden.
Hie und da entſchloß man sich, diese in ſymmetriſche Lage zur Baumasse zu rücken;
dann trat sie mit dem Schiff in der Hauptachſe vor: Marchthal, Ottobeuren; oder
sie lief innen durch, so daß zwei große Höfe entstanden: Weingarten und Wiblingen
unvollendet, Modell für Schussenried im ehemaligen Bibliothekſaal daſelbſt. Solche
Modelle für Klosterbauten oder die Kirche allein ließ man, wenn die Pläne vor-
lagen, durch Schreinermeister anfertigen, wie es für Marchthal, Wiblingen, Roth,
Ottobeuren bezeugt ist; ein ſchönes, noch erhaltenes für die Stiftskirche in St. Gallen
wurde bei der Ausführung des Baues nur teilweise benützt.
Was haben aber, ſo hört man verächtlich fragen, jene „Zopfmünſster“ mit
der hohen Kunst gemein ? Ich weiß von manchem Albwanderer, der in sonnen-
trunkener Abendstimmung niederstieg zum stillen Thal von Zwiefalten, wie er im
Vorübergehen, ohne Ungewöhnliches zu ahnen, die von warmen Lichtwellen durch-
flutete Kirche betrat und nun urplötzlich von Staunen ergriffen wurde. Welch im-
poſante Innenwirkung, welch strahlende Pracht in Kirchen solcher Art auf uns ein-
dringt! Mächtig gewölbte Räume in offener Folge, kein Wald von Pfeilern durch-
ſpaltet ihre lichte Weite, ungehemmt schwingt sich der Blick hindurch. Die hohen,
weitgeſpannten Gewölbe überzieht erfindungsreicher Stuckzierrat oder es leuchten in
friſchem Farbenzauber Fresken herab und erhöhen in kühner Perspektive den Raum.
Dann wieder als Zielpunkt fürs Auge der Hochaltar *), ein gewaltiger Säulenbau,
von Kolossalfiguren flankiert, durch bunte Farben und reiche Vergoldung sich ab-
hebend, ein mächtiges Hauptgemälde und ein kostbares Tabernakel umſchließend.
Nebenaltäre und Kanzel voll Prunk, mit ſymboliſchem Beiwerk überladen. Prächtige
*) Näheres über den Aufbau der Prunkaltäre in dem Vortrag von B. Riehl, Studien über
Barock und Rokoko in Oberbayern, Zeitschrift des bayeriſchen Kunstgewerbevereins in München, 1893.
Das dort Gesagte gilt im allgemeinen auch für Oberſchwaben.
Kirche begrenzte man gewöhnlich in hergebrachter Weise den Kreuzgang im Norden:
ſo wurde eine Beſchattung des Klosters durch das Dach der Kirche vermieden.
Hie und da entſchloß man sich, diese in ſymmetriſche Lage zur Baumasse zu rücken;
dann trat sie mit dem Schiff in der Hauptachſe vor: Marchthal, Ottobeuren; oder
sie lief innen durch, so daß zwei große Höfe entstanden: Weingarten und Wiblingen
unvollendet, Modell für Schussenried im ehemaligen Bibliothekſaal daſelbſt. Solche
Modelle für Klosterbauten oder die Kirche allein ließ man, wenn die Pläne vor-
lagen, durch Schreinermeister anfertigen, wie es für Marchthal, Wiblingen, Roth,
Ottobeuren bezeugt ist; ein ſchönes, noch erhaltenes für die Stiftskirche in St. Gallen
wurde bei der Ausführung des Baues nur teilweise benützt.
Was haben aber, ſo hört man verächtlich fragen, jene „Zopfmünſster“ mit
der hohen Kunst gemein ? Ich weiß von manchem Albwanderer, der in sonnen-
trunkener Abendstimmung niederstieg zum stillen Thal von Zwiefalten, wie er im
Vorübergehen, ohne Ungewöhnliches zu ahnen, die von warmen Lichtwellen durch-
flutete Kirche betrat und nun urplötzlich von Staunen ergriffen wurde. Welch im-
poſante Innenwirkung, welch strahlende Pracht in Kirchen solcher Art auf uns ein-
dringt! Mächtig gewölbte Räume in offener Folge, kein Wald von Pfeilern durch-
ſpaltet ihre lichte Weite, ungehemmt schwingt sich der Blick hindurch. Die hohen,
weitgeſpannten Gewölbe überzieht erfindungsreicher Stuckzierrat oder es leuchten in
friſchem Farbenzauber Fresken herab und erhöhen in kühner Perspektive den Raum.
Dann wieder als Zielpunkt fürs Auge der Hochaltar *), ein gewaltiger Säulenbau,
von Kolossalfiguren flankiert, durch bunte Farben und reiche Vergoldung sich ab-
hebend, ein mächtiges Hauptgemälde und ein kostbares Tabernakel umſchließend.
Nebenaltäre und Kanzel voll Prunk, mit ſymboliſchem Beiwerk überladen. Prächtige
*) Näheres über den Aufbau der Prunkaltäre in dem Vortrag von B. Riehl, Studien über
Barock und Rokoko in Oberbayern, Zeitschrift des bayeriſchen Kunstgewerbevereins in München, 1893.
Das dort Gesagte gilt im allgemeinen auch für Oberſchwaben.