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Keller, Harald [Bearb.]; Stoß, Veit [Ill.]
Veit Stoß - Der Bamberger Marien-Altar — Werkmonographien zur bildenden Kunst in Reclams Universal-Bibliothek, Band 48: Stuttgart: Reclam, 1959

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https://doi.org/10.11588/diglit.65779#0014
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Leider ist auch der Mittelschrein (Abb. 2) unvollendet
liegengeblieben und gerade den tektonischen Aufbau,
die Gesamtkomposition, kann man überhaupt nur ver-
stehen, wenn man abermals den Krakauer Riß zu Rate
zieht. Dann bekommt vor allem die hohe Säule, die, von
dem Laute spielenden Engel umfangen, heute aus der
Mittelachse heraus ins linke Bildfeld gerückt ins Leere
aufragt (Abb. 6), ihren guten Sinn. Sie gehört in die
Mittelachse, um den Schrein in zwei Hälften zu teilen.
Zwei Spitzbogen sollten von ihr aufsteigen, und damit
wäre jede Kompositionshälfte von einer hohen, steilen
gotischen Arkade tektonisch umrahmt worden, links Ma-
ria und Joseph, rechts das Kind mit dem Chore der an-
betenden Engel und Hirten. So spitze gotische Arkaturen
verwendete man damals eigentlich nur noch bei Dar-
stellungen der Geburt Christi, um den fremdartigen und
ruinösen Charakter des Stalles herauszukehren. Infolge-
dessen beeilt sich Stoß auch, die beiden äußeren Schenkel
der Spitzbogen-Arkaden unter dem harmonischen, präch-
tig gezierten Halbkreisbogen des oberen Schreinabschlus-
ses wieder verschwinden zu lassen. Veit Stoß hat dies
Motiv aus Dürers Holzschnitt der Verlobung Mariä
übernommen, einem Blatt aus der Folge des Marien-
lebens, wo die Säule ebenfalls die Komposition in der
Vertikalen halbiert.
Da es zu der tektonischen Aufteilung nicht mehr kam,
geriet die Komposition aus dem Gleichgewicht. Jeder
Betrachter muß sich stets den heute besonders im Hinter-
gründe zerfließenden Bildaufbau in zwei hohen Spitz-
bogenfeldern strenge gefaßt vorstellen. Die nackten Holz-
bohlen von der Rückwand des Schreines, die heute sicht-
bar sind, wären selbstredend durch die Arkaden verdeckt
worden. Sehr störend macht es sich schließlich bemerkbar,
daß es zur Ausarbeitung des Übergangsstreifens nicht
mehr kam, in dem die vordere, fast dreidimensionale
Reliefgruppe und die Flachreliefzone der Rückwand in-
einander übergeführt werden sollten (Abb. 2). Die Durch-
formung einer solchen zwischen Hochrelief und Flachrelief
vermittelnden Zone wäre natürlich der letzte Abschnitt
des Arbeitsvorgangs gewesen, und man kann sich gut

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