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Kemp, Wolfgang; Heck, Kilian [Hrsg.]
Kemp-Reader: ausgewählte Schriften — München, Berlin: Dt. Kunstverl., 2006

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https://doi.org/10.11588/diglit.55647#0301
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Hansens Landhäuser in Altona.
Ihre räumliche Organisation

Die Voraussetzungen: Als Hansen in den 1790er Jahren begann, die Grundrisse seiner
Landhäuser - und nur um die geht es hier - zu planen, war eigentlich alles erfunden, was
zur architektonischen Kunst der räumlichen Organisation, zur »art de bien distribuer« ge-
hörte und immer noch gehört - nur der offene Grundriss nicht, der kam erst viel später.
Ich nenne nur die horizontale Kontinuität zusammengehöriger Räume, die Enfilade, die
Differenzierung zwischen versorgenden und versorgten Räumen, zwischen Durchgangs-
räumen und bewohnten Räumen, die mehrfachen Erschließungssysteme, das Apparte-
ment, also die geschlossene Wohneinheit in der Einheit Haus, und anderes mehr. Aber
nicht alle Dispositive, die man erfunden hatte, waren um 1800 noch aktuell. Es waren
auch schon wieder Errungenschaften aus der Mode gekommen: In dieser Beziehung ist
vor allem das Ende des französischen Appartement-Modells und der Dispositionsform des
»appartement double« zu bedenken. Appartement double heißt ja nichts anderes, als dass
zwei Zimmerfolgen nebeneinander geführt werden - dies ergibt tendenziell lineare Struk-
turen, bandförmige Trakte, die zu H- oder U-Grundrissen abgewinkelt werden.
In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts beobachten wir eine deutliche Gegenbewegung,
»eine populäre Tendenz«, wie Damie Stillman es formuliert, »weg von einer ausgedehn-
ten Flucht von Räumen hin zu einer dichteren und komprimierteren Anordnung«.1
Diese Tendenz zum »plan mässe«, zur geschlossenen Grundrissfigur und zum kompakten
Baukörper, wird von verschiedenen Motiven bestimmt: von stilistischen - Stichwort
Neoklassizismus oder die Liebe zu den geometrischen Grundformen, von sozialgeschicht-
lichen - hier ist auf die gerade im Hinblick auf Hamburg und Altona wichtige Bautätig-
keit des Großbürgertums zu verweisen, das an Raumbedarf und Repräsentationsbedürf-
nis nicht die gleichen Ansprüche stellte wie der Adel, von sozialpsychologischen - neue
Formen des familiären und gastlichen Zusammenseins verdrängen die zeremoniellen
Mechanismen, die den formalen Plan, die langen Fluchten in linearer Anordnung not-
wendig machten. Die »circuits«, die Umläufe im Haus werden kürzer und weniger ein-
sinnig; die Ideale der Zeit heißen jetzt »informality«, »commodite«, Simplizität.
Es darf experimentiert werden, mit der Gesamtform wie mit der Anordnung von
Binnenräumen. 1806 schreibt Humphrey Repton, für die Situation in England sprechend:
Offenkundig sei »an increase in novel or fantastic ediflces, and the decrease of those speci-
mens of formet grandeur«.2 In Sebastien Merciers »Tableau de Paris« findet sich schon in

1 Damie Stillman, English Neo-ClassicalArchitecture, 2 Bde., London 1988, S. 144.
2 Zit. nach Stillman 1988 (wie Anm. 1), S. 140.
 
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