Die Mauern und Tore von Nancy
und Potsdam
Uber Stadtgrenzen, vor allem im 27. und 18. Jahrhundert
Wer es schafft, sich aus dem magischen Geviert der Place Stanislas zu Nancy zu lösen, und
einmal hinter die »Kulissen« tritt und das Rokoko-Rathaus von seiner Rückseite betrach-
tet, wird eine positive Überraschung erleben. Die vom Platz abgewandte Hälfte des Kom-
plexes entpuppt sich als ein nobler Annex im Stile des französischen Art Deco — grund-
verschieden in Disposition und Auffassung, nur an den beiden Schmalseiten durch ein
emblematisch verkürztes Rokoko an den Hauptbau angepaßt.
In die abgeschrägte Süd-Ost-Ecke ist eines der drei Portale des Neubaus eingelassen,
und dieses ist umgeben von plastischen Zeichen. Wie Prägestempel oder Siegel, so stehen
aus der Wand acht erhabene Rundreliefs heraus, welche die Tore der Stadt repräsentieren.
Es sind dies Bilder von zwei Binnen- und sechs Außentoren, davon eines aus dem Mittel-
alter, drei aus dem späten 16. bzw. frühen 17. Jahrhundert, vier aus dem 18. Jahrhundert.
Das Bemerkenswerte an dieser Bestandsaufnahme ist zunächst, daß die Reliefs nicht von
einer Vergangenheit berichten: Mit einer Ausnahme stehen die acht Tore, die Nancy im
Laufe seiner Geschichte hatte, noch an ihrer Stelle und dies, obwohl Nancy, die Hauptstadt
eines kleinen Landes zwischen den Reichen, mehr Kriege angezogen hat, als einer Konti-
nuität gerade der Militärarchitekturen guttun könnte. Und obwohl natürlich auch hier die
Erzfeinde aller städtischen Befestigungsanlagen, die sogenannten »Kräfte des Fortschritts«,
ihren Tribut gefordert haben: Niedergelegt wurden im 19. Jahrhundert alle Mauern und
Bastionen, aber die Tore hat man bis auf eines gerettet. Der Kampf um ihre Erhaltung wurde
auf nationaler Ebene ausgetragen. Von seiner Schärfe bekommt man einen Eindruck, wenn
man unter einer Radierung, welche die Porte Saint-George zeigt, liest: »Zum Tode verdammt
durch die Vandalen und Ikonoklasten im Gemeinderat dieser Stadt. Zweimal gerettet durch
Herrn A. Proust, Abgeordneter des Departments Deux-Sevres, und veröffentlicht von
O. Rochebrun.«1
Daß man am Rathaus des 20. Jahrhunderts diese stolze Bilanz ziehen kann und zieht,
möchte man als die Folge einer spezifischen Grenzempfindlichkeit der Nanceiens begreifen.
Diese war in Jahrhunderten territorialer Exponiertheit gewachsen, sie resultierte in einer
nachhaltigen Pflege der Grenzmarkierungen und Nahtstellen von Stadt und Land. Die Tore
wurden nicht nur erhalten oder blieben einfach stehen, sie wurden modernisiert und ver-
mehrt. Und sie wurden, was vielleicht das schwierigste ist, in sich ändernde Stadtbilder
integriert.
1 Christian Pfister, Histoire de Nancy, Nancy igozff, Bd. 2, S. 455. Alle folgenden Angaben, die Tore und
Mauern von Nancy betreffend, sind Pfisters großartiger Stadtgeschichte entnommen, man befrage besonders
Kap. VIII des 2. Bandes.
und Potsdam
Uber Stadtgrenzen, vor allem im 27. und 18. Jahrhundert
Wer es schafft, sich aus dem magischen Geviert der Place Stanislas zu Nancy zu lösen, und
einmal hinter die »Kulissen« tritt und das Rokoko-Rathaus von seiner Rückseite betrach-
tet, wird eine positive Überraschung erleben. Die vom Platz abgewandte Hälfte des Kom-
plexes entpuppt sich als ein nobler Annex im Stile des französischen Art Deco — grund-
verschieden in Disposition und Auffassung, nur an den beiden Schmalseiten durch ein
emblematisch verkürztes Rokoko an den Hauptbau angepaßt.
In die abgeschrägte Süd-Ost-Ecke ist eines der drei Portale des Neubaus eingelassen,
und dieses ist umgeben von plastischen Zeichen. Wie Prägestempel oder Siegel, so stehen
aus der Wand acht erhabene Rundreliefs heraus, welche die Tore der Stadt repräsentieren.
Es sind dies Bilder von zwei Binnen- und sechs Außentoren, davon eines aus dem Mittel-
alter, drei aus dem späten 16. bzw. frühen 17. Jahrhundert, vier aus dem 18. Jahrhundert.
Das Bemerkenswerte an dieser Bestandsaufnahme ist zunächst, daß die Reliefs nicht von
einer Vergangenheit berichten: Mit einer Ausnahme stehen die acht Tore, die Nancy im
Laufe seiner Geschichte hatte, noch an ihrer Stelle und dies, obwohl Nancy, die Hauptstadt
eines kleinen Landes zwischen den Reichen, mehr Kriege angezogen hat, als einer Konti-
nuität gerade der Militärarchitekturen guttun könnte. Und obwohl natürlich auch hier die
Erzfeinde aller städtischen Befestigungsanlagen, die sogenannten »Kräfte des Fortschritts«,
ihren Tribut gefordert haben: Niedergelegt wurden im 19. Jahrhundert alle Mauern und
Bastionen, aber die Tore hat man bis auf eines gerettet. Der Kampf um ihre Erhaltung wurde
auf nationaler Ebene ausgetragen. Von seiner Schärfe bekommt man einen Eindruck, wenn
man unter einer Radierung, welche die Porte Saint-George zeigt, liest: »Zum Tode verdammt
durch die Vandalen und Ikonoklasten im Gemeinderat dieser Stadt. Zweimal gerettet durch
Herrn A. Proust, Abgeordneter des Departments Deux-Sevres, und veröffentlicht von
O. Rochebrun.«1
Daß man am Rathaus des 20. Jahrhunderts diese stolze Bilanz ziehen kann und zieht,
möchte man als die Folge einer spezifischen Grenzempfindlichkeit der Nanceiens begreifen.
Diese war in Jahrhunderten territorialer Exponiertheit gewachsen, sie resultierte in einer
nachhaltigen Pflege der Grenzmarkierungen und Nahtstellen von Stadt und Land. Die Tore
wurden nicht nur erhalten oder blieben einfach stehen, sie wurden modernisiert und ver-
mehrt. Und sie wurden, was vielleicht das schwierigste ist, in sich ändernde Stadtbilder
integriert.
1 Christian Pfister, Histoire de Nancy, Nancy igozff, Bd. 2, S. 455. Alle folgenden Angaben, die Tore und
Mauern von Nancy betreffend, sind Pfisters großartiger Stadtgeschichte entnommen, man befrage besonders
Kap. VIII des 2. Bandes.