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Kerschensteiner, Georg
Die Entwickelung der zeichnerischen Begabung: neue Ergebnisse auf Grund neuer Untersuchungen — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27816#0321
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f

Bildliche Darstellung des Raumes.

Was wir bisher in der Literatur an Untersuchungen über die
graphische Ausdrucksfähigkeit des Kindes oder primitiver Völker be-
sitzen, bezieht sich ausschliesslich auf die Darstellung von einzelnen
Figuren oder auf Oma m e n t e. Wie weit die Fähigkeit geht, einen
Gesamtraum darzustellen, bezw. wie sich diese Fähigkeit bei Kindern
und Urvölkern entwickelt, war meines Wissens noch kein Gegenstand
der Forschung. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, dass alle
bisher bekannt gewordenen Zeichnungen von primitiven Völkern
entweder gar kein oder nur ein ganz geringes Raumgefühl verraten,
und dass selbst die Darstellung von einzelnen Figuren günstigenfalls
auf der Stufe des mit Erscheinungsmässigem gemischten Schemas
stehen bleibt. Ist die Zeichenkunst in einem primitiven Volke über-
haupt so weit gediehen, ein Ereignis darzustellen, so wählt der Zeichner
entweder eine lineare Anordnung der Gestalten, die an dem Ereignis
beteiligt sind, oder er setzt die Figuren beliebig über- und neben-
einander ohne ein irgendwie deutlich erkennbares Raumgefühl oder
irgendwelche Perspektive (vergl. Tafel 17, Sonnentanz der Sioux-
Indianer), oder er mischt beide Formen miteinander, indem er die
Hauptpersonen der Begebenheiten in grösserem Massstabe linear an-
ordnet, die Nebenpersonen aber in kleinerem Massstabe irgendwo darüber
oder darunter einfügt.

Selbst bei Kulturvölkern ist gewöhnlich auf anderen Gebieten
schon ein hohes künstlerisches Gefühl und ein hoher künstlerischer
Ausdruck entwickelt, ehe Bedürfnis und Fähigkeit vorhanden sind, ein
Ereignis, eine Landschaft, das Innere eines Gebäudes charakteristisch
in einem Bilde darzustellen. In den Wandmalereien der Felsengräber
Ägyptens, vor allem den berühmten Bildern aus den Gräbern
von Beni-Hassan, auf den ausgedehnten Wandflächen der the-
bani sehen Architektur finden wir diese lineare Anordnung der

Allgemeine
Betrachtungen
(Ethnographisches
und Historisches).
 
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