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Kerschensteiner, Georg
Die Entwickelung der zeichnerischen Begabung: neue Ergebnisse auf Grund neuer Untersuchungen — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27816#0391
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Das Kind und das Ornament.

Ebensowenig wie das Kind bisher auf die Fähigkeit geprüft Veranlassung des
worden ist, einen Raum im zweidimensionalen Bilde darzustellen,
ebensowenig hat man die Fähigkeit des Kindes untersucht, einen
Gegenstand zu verzieren. Vielleicht rührt das daher, dass die ge-
wöhnliche zeichnerische Betätigung des Kindes weitab liegt von
allen abstrakten Verzierungsaufgaben, so weit, dass man sogar dem
6—14jährigen Kinde überhaupt jede Fähigkeit abgesprochen hat, aut
dem Felde der Ornamentierkunst irgend etwas Nennenswertes zu
leisten. Der gänzliche Ausschluss von Aufgaben dieser Art aus den
neuen preussischen Fehrplänen ist wohl zum Teil aus dieser An-
schauung heraus veranlasst worden. Mancherlei Erscheinungen wäh-
rend meiner vieljährigen Voruntersuchungen hatten mich aber eines
andern belehrt. Zum mindesten konnte ich jene geometrischen,
linearen Verzierungskünste aus Zickzacklinien, Wellenlinien, Kreisen,

Sternchen, Punkten erwarten, jenen primitiven geometrischen Stil, wie
wir ihn an den gewerblichen Erzeugnissen der ältesten Kulturvölker
und der heute noch lebenden Naturvölker zu sehen gewohnt sind.

Die Zeichnungen von 6 Fandschulen*) mit etwa 500 Kindern hatten
mir diese Vermutung nahegelegt, da die Bauernkinder die Kleider
ihrer schematisch dargestellten Menschen vielfach mit solchen linearen
Alustern verziert hatten, eine Erscheinung, die ich vorher bei den
Stadtkindern nicht oder nur selten bemerken konnte. Insbesondere
ragte eine Schule hervor, die Schule des Dorfes Foiching bei Dingol-
fing in Niederbayern, wo unter den 104 Kindern nicht weniger als
27 solche primitive geometrische Aluster an den Röcken der Alenschen,
ja selbst an den Tierzeichnungen anbrachten. Dabei stand im all-
gemeinen die figürliche Zeichnung selbst, wie auch an den andern

*) Niederviechtach und Loiching bei Dingolfing, Oberdorfen bei Erding,

Wörth an der Isar, Reichendorf bei Landshut, Oberammergau.

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