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Kerschensteiner, Georg
Die Entwickelung der zeichnerischen Begabung: neue Ergebnisse auf Grund neuer Untersuchungen — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27816#0489
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§ II-

Einige Forderungen der Kunst.

Wer die Holzschnitte Albrecht Dürers betrachtet und sie etwa Ökonomie der
mit den Holzschnitten Menzels vergleicht, wird zwischen beiden 'L‘ ö'

Ausdrucksweisen einen charakteristischen Unterschied finden, und je
länger und je mehr er sich in diesen Vergleichen vertieft, desto mehr
wird er geneigt sein, dem alten Meister Nürnbergs für alle Zeiten
die Palme zu reichen. Welche Fülle von Einzelheiten bei Menzel,
welche Sparsamkeit der Mittel bei Dürer, welcher Kampf mit der
Form bei der kleinen Exzellenz und welche plastische Klarheit in den
fein empfundenen Linienzügen Dürers, deren jeder einzelne seine
spezifische Aufgabe in der Darstellung zu haben scheint!

Wenn unser Zeichenunterricht irgendwelche Bedeutung ge-
wännen soll für die künstlerische Erziehung des Volkes, so kann er
das nur auf dem einzigen Weg erreichen, der ihm im vorigen Bei-
spiel vorgeführt ist, nämlich so früh als möglich bei der
grössten Sparsamkeit der Mittel den höchst charakteri-
stischen Ausdruck zu erzielen suchen. Das scheint mir das
Wesen aller Meisterschaft zu sein. Betrachtet man aber den heutigen
Betrieb des Zeichenunterrichtes, so sehen wir fast ausschliesslich
zunächst gerade den gegenteiligen Weg einschlagen, man überlässt
den Schüler der verwirrenden Mannigfaltigkeit aller Einzelheiten einer
Erscheinung, man lehrt ihn nicht von vornherein absehen von
dem Zufälligen in Form und Farbe, man gibt ihm keinen Einblick
in den Bau des Objektes, in die Art der Herstellung, in die Eigen-
schaften des Materials und versäumt damit ihn anzuleiten, nur das
Charakteristische der Erscheinung zu erfassen und mit den geringsten
Mitteln wiederzugeben. Ja, man behauptet, eine solche Anleitung zur
Auffassung der Gesamtform sei unmöglich und wenn sie möglich
ist, dann wäre es gleichwohl besser, den Schüler seinen Weg selbst
 
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