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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Fitger, Arthur: Aus meinem Leben, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0130

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Aus meinem Leben. von Artbur Fitger.

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gungen, hätte jedermunu das Recht über diese bizarre Ber-
einigung von Extremen zu lachen; aber der Haushalt ging
keineswegs aus den Fugen, und meine sümtlichen Geschwister
sind wackere, angesehene Leute geworden.
Aus diesem Strndel fortwährender Thätigkeit suchte
ich, so oft ich konnte, mich davon zu machen, sei es, daß
ich zu einer Schivester meines Vaters flüchtete, oder auf
dem obersten Hausboden zwischen Gerümpel aller Art
mir mit meiner Lieblingsschwester eine Zelle einrichtete, in
der wir ungestört an unserem Puppentheater arbeiten
oder auch .wohl gar Ton Carlos und Macbeth lesen
konnten. Noch herrlicher wars, wenn wir im Sonimer
in dem baumreichen Garten oder auf den Wiesen, wo
dann der Kuhhirt gelegentlich der Dritte im Bunde war,
eine Fcstnng aus Buschiverk nnd Brettern zimmerten.
Meiu Vater hatte weder Muße noch Talent, sich
seinen Kindern zu widmen; er schenkte uns aber die
lehrreichsten und lustigsten Bücher, — meine Mutter mußte
außer sür ihre Kinder immer an den riesigen Haus-
halt denken, da bekam natürlich jedes Einzelne auch
nur ein bescheiden Teil von traulichem Geistesverkehr.
Bieine Schularbeiten litteu sehr, ein flüchtiger Schüler war
ich von Haus aus; nun wollte das Unheil, daß die in-
samste Jesuitennatur mein Lehrer wurde: dieser Mann,
dessen Nameu ich nicht nenneu will, ist der einzige Mensch,
gegen den ich nach nuiimehr sast 35 Jahren noch imnier
einen tiefen Widerwillen nicht überwinden kann. Nach
emem fürchterlichen Krach, in welchem ich meinen Mit-
schülern als warnendes Beispiel, als Kandidat für Galgen
und Rad und das ewige Feuer obendrein hingestellt wurde,
jverschiedene von uns größeren Knaben hatten nümlich mit
den größeren Müdchen mehr oder minder intinie Liebes-
verhältnisse angeknüpft, und ich war Hauptperson in dem
Minnehose gewesen) wurde ich nach Oldenburg auss
Gymnasium geschickt. Jm Hause des vortrefflichen Bau-
rates Lasius wurde ich aufgenommen, und hier trat mir
die bildende Knnst mit einem Male überwältigend, alle
Sstine bezaubernd eiitgegen. Mein Pflegevater war in
Jtalien gewesen, römische Ansichten hingen in seinem Zimmer,
er besaß allerlei gute Kupferstichwerke, verschaffte mir
andere aus der Bibliothek, zeigte mir seine eigenen Reise-
stizzen, die Welt war mir aufgegangen! Hätte ich besseren
Zeichennnterricht gehabt, märe mir mancher spätere Schmerz
erspart worden: aber ich gewöhnte mich an eine heillose
Flüchtigkeit; was nicht in zmei Stunden fertig werden
wollte, wars ich weg. Strenges Arbeiten kannte ich nicht
und lehrte mich keiner; d. h. man wollte es mich wohl
lehren, aber es sollte sich um arithmetische Formeln, um
die Verba auf,ni, um Geschichtszahlen und Quadratmeilen
handeln. Dagegen empörte sich mein Jnnerstes; ich lernte
flüchtig vom halben Hinhören in den tötlich langweiligen
Schulstunden, meine Exercitien schrieb ich samt und sonders
von einem anderen ab; meine Präparationen machte ich,
menn überhaupt, immer mit einer Eselsbrücke; da wir das
Neue Testament im Urtext lasen, hielt ich es sür das ein-
fachste, eine katholische Übersetzung. die von dem Luther-
schen Wortlaut sorgfältig abwich, in ihre einzelnen Blätter
zerlegt meinem Buche einzuverleiben. Nach unzähligen,
durch schlechte Zeugnisse veranlaßten häuslichen Szenen
sahen denn endlich meine Eltern und Lehrer ein, daß auf
eine normale juristische oder medizinische Carriere nicht zu
rechnen sei; der schmere Entschluß, daß ich Maler werden
solle, wurde gefaßt. Llber diesen Entschluß auszusühren

kostete abermals tausend Sorgen und Schmerzen; denn
außer .dem alten Landschafter Ernst Willers, der aber
immer in Rom lebte, gab es keinen Landsmann, der Maler
gewesen wäre, an den man sich um irgend einen Finger-
zeig hätte wenden können. Mein ehemaliger Mitschüler
Griepenkerl war Schüler Rahls in Wien geworden; Rahl
aber wollte keine anderen Schüler annehmen, und so zog
ich denn schließlich aufs Geratewohl nach München auf
die Akademie.
Mein erster Eindruck war namenlose Niedergeschlagen-
heit — ich will gar nicht von der Pinakothek und Glyp-
tothek sprechen — nein, in der Antikenklaffe wurden
Meisterwerke geschaffen, die selber hervorzubringen ich völlig
verzweifclte. Statt meiner Flüchtigkeit sah ich dort solides
Studium, 14 Tage, 3 Wochen und länger pflegten manche
junge Leute an einer Arbeit zu sitzen, das imponierle mir,
mie Keulenschläge einem Schmetterlinge. Es herrschte ein
lustiger, liebenswürdiger Ton in der Klasse, der meistens
von Rudols Seitz und Heinrich Lossow angegeben wurde;
persönlich war ich besonders mit Camillo Genelli bald
nahe befreundet. Der Geist Genellis und Cornelius'
riß mich, der ich wie ein Ertrinkender nach einem An-
halt griff, ganz dahiii; selbst Rubens trat mir in den
Hintergrund; in meinem Herzen hat die erlöschende Flamme
des Cornelianertums vielleicht mit ihren letzten Zuckungen
geflackert, ehe sie ganz verstarb. Während die ganze An-
tikenklasse eine schließliche Aufnahme in die Pilotyschule als
Ziel aller Sehnsucht erstrebte, mühte ich mich an den ab-
straktesten Konturen ab, trotzdem mir Prof. Hlltensperger
mit den väterlichsten Mahnungen das Unfruchtbare solcher
Quälerei klar machen wollte. Auf der S8er Ausstellung
hatte ich die apokalyptischen Reiter gesehen: ein Karton
schien mir die höchste Potenz der Kunst, und wenn mein
koloristisches Gewissen sich manchmal gegen diese asketische
Selbsttäuschung anflehnen wollte, so wurde es von Camillo
Genelli und einem älteren Freund, der aber, wie mir
später klar geworden ist, vom Cornelianertum nur das
Knotige an sich hatte, immer wieder zur Ruhe gebracht.
Mein fleißiges Arbeiten auf der Akademie hatte oft wochen-,
monatelang gegen die tiefste Entmutigung anzukämpfen,
das Studiuni wurde mir, vermutlich weil ich ganz ani
verkehrten Ende anfing, äußerst schwer; bald verzagte ich
gauz und erwog, ob es nicht besser sei, mit der Gelievten
meines Herzens durchzubrennen nnd Schauspieler zu werden,
dann, und zumal seit Genellis nach Weimar gezogen waren,
reifte mir der Plan, nach Dresden zu gehen und als
Schüler von Schnorr einen Karton zeichnen zu lernen.
Jm Frühjahr 1861 reiste ich ab. ich besuchte, ohne den
Meister selbst zu sehen, Schnorrs Atelier 'nd sah die
titanischen Kompositionen, welche daselbst von halb ergrauien
Jünglingen geschaffen wurden. Es ging mir, wic dem
Kinde, das über Tisch beständig nach dem Senftopf greist
und dem die Mutter schließlich die heißbegehrte Süßigkeit
zu kosten giebt. — Ohne mich bei Schnorr auch nur vor-
gestellt zu haben, reiste ich wieder ab und zwar —> nach
Antwerpen. Jch war drei Jahre Kunstjünger gewesen
und hatte noch keinen Pinsel in der Hand gehabt. Jch be-
gann die Tollheit zu fühlen, die iu solchem Treiben lag;
ich hatte mich mit der Persönlichkeit auch der Autorität
Genellis unvermerkt entzogen, die kessere Einsicht begann
uun unwiderstehlich ihr Recht zu behaupten.
(Fortsetzung folgt.)
 
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