Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

DOI Artikel:
Haushofer, Max: Die Stimmungslandschaft
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0259

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

:oo Dic Ltimmmigslaiidschaft. van Mar kiausboser

ungen. Sehnsucht und Wehmut sind rein menschliche
Stimmungen; die Natur kennt sie nicht, aber sie
kann sie im Menschen erwecken. Sie erweckt Wehmut
durch die Erscheinung des Untergegangenen, Verlorenen:
Sehnsucht durch die Erscheinung weit entfernter Schönheit,
von welcher der Beschauer durch große Zwischenräume
oder Hindernisse getrennt ist.
Die Bestandteile der Landschaft — Lust, Wasser,

Erde und Pflanzenwelt — können, jeder für sich oder
gemeinsam, Träger der Stimmung werden. Je gemein-
samer die Stimmung über sie ausgegossen liegt, nm so
voller muß ihr Eindruck werden. Aber es ist durchaus
nicht notwendig, daß alle Bestandteile der Landschaft von
gleicher >L>timmung beseelt sind. Unter heiterem Himmel
können Wasser, Erde und Pflanzenwelt düster gestimnit
sein, oder da» Gewölk am Himmel kann eine sehnsucht-
vollc, der irdische Vordergrund dagcgen gleichzeitig eine
sehr profane Stimmnng wecken. Ja, die Tifferenzierung
geht noch weiter; sie erstreckt sich selbst auf die einzelnen
Leile der Lust und ves Wassers, der Erde und der

Pflanzenwelt. Tenn in der Luft erscheiut ja beleuchtetcs
und dunkles Gewölk; auf dem Wasser Licht und Wolken-
schatten; und die Pflanzenwelt einer und derselben Land-
schast kann Gestorbenes und Aufblühendes zeigen.
Und zu alledem treten noch die Spuren menschlichen
Wirkens und menschlicher Geschichte, sowie die lebendige
Staffage, um das Gebiet der Stimmungen immer mannig-
iacher zu machen. Eine zerfallene menschliche Wohnstätte,
cin verwüstetes Arbeitsfeld in derLandschaft
muß eine ganz andere Stimmung wecken,
als ein wohl geordnetes Heimwesen oder
ein Stück Landschaft. in welchem die leitende
Hand des Menschen sichtbar ist. Diese
leitende Hand kann sich in winzigen Kleinig-
keiten ofsenbaren und durch sic doch die
Stimmung schon wescntlich verändern. Tazu
reicht schon ein Stückchen Weg oder Mauer-
werk, ein Steg oder Zauu, ein Rauch-
wölkcheu oder Lichtschimmer; der wegge-
worfene durchlöcherte Stiefel des Handwerks-
burschen oder ein im Moose liegendes Säu-
lenkapitäl.
Jhren Grundcharakter crhält die land-
schaftiiche Stimmung sreilich immer durch
die Luft. Sie ist das herrschcnde in der
Stimmungslandschaft. Und je mehr der
Landschastsmaler die Luft und ihrc Wirkung
zum ausschließlichcn Gegenstande seiner Aus-
merksamkeit macht, je energischer er ihr alle
übrigen Bestandteile der Landschaft unter-
ordnet, um so entschiedcner wird sein Werk
zum Stimmungsbilde. Tic lluendlichkcit des
Äthers mit seinem ewig sich wiederholenden
Wechsel von Licht und Finsternis, von Klar-
heit und verschleiertem Tümmer iiiuß im
Stimmungsbilde alles, was unter ihr lebt
und webt, in ihren Bann bringen.
Damit hängt zusammen, daß im
Stimniungsbilde die Zcichnung, die Plastik
der Landschast uur cine bescheidenc Rolle
spielen dars. Sobald die Form der Land-
schast zur Hauptsache wird, stört sie die
Stimmuug. Je weniger eine Laudschaft
eigentlich schön genannt werden kann, um
so mehr wird der Beschauer für ihre anderen
Eigenschaften empfänglich. Teshalb sucht die
modernc Landschaftsmalerei mit Vorliebe
solche Eindrücke wiederzugeben, welche nicht
die Bezeichnung einer „schönen Gegend"
verdienen. Nicht das einfach Schöne will
man mehr, sondern man will eine viel
reichere Stufenreihe von Empfindungen wecken. Tas
wäre nun ohne Zweifel ein künstlerischer Fortschritt, wenn
es immer mit vollem künstlerischen Bewußtsein gcschähe
und — wenn es immer gelänge. Beide Bedingungen
treffen aber wohl nur bei einer kleinen Minderzahl von
Meisterwerken zu. Tie Stinimungslandschaft ist nnstreitig
für den Künstler selbst ein weit bequemeres Arbeitsfeld,
als die stilvolle Landschaft. Tie Schwierigkeit der Zeich-
nung fällt hinweg, auch die Farbengebung kann eine weit
einfachere sein, und was die Hanptsache ift, der Zufall
wirkt bei der Stimmungslandschaft im höchsten Grade
hilsreich. Diese Sätze werden von den ausschlicßlichen
 
Annotationen