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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 1.1885-1886

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Brandes, Otto: Der Römerpreis
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https://doi.org/10.11588/diglit.9416#0429

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Oon Dtto Brandes

ZZ9

fessoren, die Lvgiste» und einzelne Frennde derselben zu
einein frvhlichen Tiner. Tns ist scit mehr denn hnndert
Jnhren so gewesen und wird wvhl auch so bleiben, denn
in Frankreich hängt nian ain Zopf, ivie der Zopf an
Frankreich.
Taf; es sich bezichlich des „Lrix cle lvome" wirklich
iini einen Zopf handelt, davon geben die mittelmäßigen
Arbeiten am T.uai Blalagnais einen schlagenden Beweis.
Noch mehr sprechen dafür aber die von der akadeniischen
Jury gestellten Aufgaben, sowie das in der Sektion der
Mnlerei ergangene Urteil.
Beide Ausgaben, sowohl fnr die Sknlptnr ivie die
Malerei, haben, so verschiedenen historischen Gebieten sie
anch entnommen, doch im Grunde ein gemeinschaftliches
Motiv. Die Aufgabe für die Malerei lautet: „Nach dem
Tode des Caligula verbarg sich Claudius hinter den
Teppichen, welche die Thüre bedeckten. Ein einfacher
Soldat, den der Zufall hier vorbeisührte, bemerkte seine
Füße, wollte wissen, wer er sei und zog ihn hier hervor.
Clandius warf sich ihm zu Füßen und flehte um sein
Leben. Der Soldat begrüßte ihn als Kaiser uud sührte
den Traurigen und Zitternden zu seinen noch unent-
schicdenen aber vor Zorn bebenden Kameraden Tie Worte:
„Er wollte wissen wer er sei und zog ihn hier hervor",
warcn in der Ausgabe unterstrichen, iim dadnrch anzu-
deuten, daß auf dieses Moment der Hauptwert zu legen
sei. Die für die Skulptur gestellte Aufgabe war folgendc:
„Tobias machte sich auf den Weg. Als er sich die Füße
waichcn wvllte, kam ein müchtiger Fisch herbeigeschwominen,
vor dem er sich entsetzte, aber der Engel sprach: Nimm
ihn bei den Floßfedern. Tobias zog den Fisch, der sich
stränbte, auf das Land." Hier sind die letzten Wvrte Vvn
Tobias nnterstrichen.
Ter Jury hat offenbar vorgeschwebt, die Darstellung
eines vor Schrecken Zaudernden zu fordern. Hier Claudius,
der das Schicksal des Caligula fürchtet, der dem Rufe
des Vivat Augustus nur sehr mittelmäßig traut und nur
widerstrebend der ihn materiell ziehenden Gewalt des
Prätorianers folgt, dort Tobias in der Furcht, daß ihn
der Fisch fressen werde, dcm Befehle des Engels gehor-
chend. Anf nicht einem der zwanzig Kunstwerke hat
dieser phtzsische Kampf einen gleichwertigen Ausdruck ge-
funden. Was sind das aber auch für Äufgaben. Keiner
der dieselben behandelnden jungen Leute hat jcmals gc-
sehen, was sie bilden sollen. Keiner von ihnen dürfte eine
so gründliche Kenntnis der Geschichte besitzen, daß er sich
ganz nnd voll in die Situation versenken könnte. klnter
solchen Verhältnissen müssen die Kandidaten notwendigcr-
weise nur unwahres, gemachtes Zeug produzieren. Wäre
die Aufgabe aber wenigstens eine einfache, schlichte, so daß
sich das technische Können, eine gewisse Summe von Ge-
schmack an ihrer Ausführung beurteilen ließe! Sie ist
aber durchaus komplex. Claudius hinter der Thür — aus
seinem Versteck aufgescheucht — das Geschick Caligulas
sürchtend — von einem Prätorianer, der ihn infolgc
einer blitzartigen Gedankenkombination zum Kaiser aus-
ruft, zu den Kameraden geschleppt — die noch unent-
schieden, alser vor Zorn beben. Ganz dasselbe ist
der Fall für die Tobiasaufgabe: das Wasser — die Furcht
vor dem Fisch — der Befehl des Engels — der Kamps
mit dem Fisch — die Vorschrift, den Fisch bei den Kiemen
zn fasscn.

Jst es nicht ein Verbrechen an der Kunst selbst, den
Kandidaten, der, nm hier nur von der Malerei zu spiechem
sich selbft überlassen, eine stimmungsvolle Landschaft al»
Maß seines Könnens. ein zum Herzen sprechendeS Familien-
stück, ein hnmorvolles Genrebild schasten würde, in die
komplizierte Zwangsjacke einer solchen Konknrrenz zu iiotigen,
die jeden individuellen Flug des Talentes lühmt? >cn dci
That haben verschiedene der Künstler, die in dicsem >caine
kvnkurriert haben, ich citiere hier nur Sinibaldi, Bour-
gonnier, Charpentier für die Salons der letzten drei ^cahie
sehr beachtenswerte Arbeiten geliefert. Tie Konkurrenz-
arbeiten aller drei sind kläglich, obwohl Liiiibaldi einen
dritten Preis davongetragen.
Die Unznlänglichkeit des historischen Tnrchdringens
des Gegenstandes ergibt sich am besten oder am tranrigsten
aus der Auffassunq der Hauptperson des Bilde», de»
Claudius. Alle haben ans' ihm, mit Ansnahme vielleicht
des Malers des Entwurfes 2 (Danger), einen Jdioten
gemacht. Das widerspricht aber den historischen That-
sachen. Der Mann, der den Fucino-See, den Hafen von
Ostia, die berühmte Wasserleitung, die seinen Namen trägt,
anlegen ließ, der einer aus Beamten bestebenden Provinzial-
Teputation, die ihm für seine gute Verwaltung dankte,
erwiderte: Danket mir nicht, verwaltet Jhr nur gut und
ich werde Euch danken, war vielleicht ein in seinen Ge-
wohnheiten lächerlicher Mann, vielleicht ein nicht sehr
mannhafter Charakter, aber nichk der blode Geselle, als
welchen ihn seine zehn malenden Landsleute jüngeren
Tatums — Claudius war in Lpon geboren — hinstellen
wollen. Jst der Ausdruck der allgemeinen geistigen Jndivi-
dualität verfehlt, so ist das charakteristische Moment, den
zum Kaiser ausgerufenen tranrig und zitternd darzustellen,
ganz gewiß nicht erreicht. Entweder ist dieser Ausdruck
ein oberflächlicher, irgend einem Kulissenreißer schlimmster
Sorte abgelauschter, wie in dem Bilde von Lebahle, welchem
der „Aiancl prix" zuerkannt ist, oder er ist ein über-
triebener wie in dem Sinibaldi'schen Bilde, der den
Claudius in seiner Furcht zu einer widerwärtigen Kari-
katur verzerrt. Auch in dem Bilde von Lavalley, welches
sich durch ein hübsches Arrangenient. dnrch große Diskretion
in der Farbe, durch mehrere technische Vorzüge, namentlich
eine gehörige Tiefe auszeichnet und das wegen dieser Eigen-
schaften wohl mit dem zweiten Preise bedacht worden,
fehlt eine gehörige Charakterisierung des .Clandins, eine
klare Erzählung des Borganges. Wenn der graue Ton
in dem Bilde Dangers und die Anwendung gewisser
Gemeinplätze nicht verletzte, so müßte ihm unter dem Ge-
sichtspunkte der Charakterisierung entschieden ein Lob zu-
gesprochen werden. Sein Claudius ist ein vornehmer,
von der Blässe des Gedankens eines möglichen Todes
allerdings angekränkelter und zaudernder Thronkandidat,
aber diese Furcht ist weder zu flach noch zu ties gegrissen.
Tangers Prätorianer sind anteilsvolle Gestalten, von denen
die einen den „furchtsamen und zitternden" Kaiser mit
Hohn, die andern mit ermunterndem Jubel und wieder
andere ihn mit dem Ausdruck stnmpfer Gleichgültigkeit
enipfangen, während die Soldaten fast aller übrigen Bilder
teilnahmlos dreinblickende, den Mund zu einem „Vivat"
ungebührlich aufreißende Burschen, vorzugsweise Goten
sind. — Ter Gote ist heute cin Lieblingsvorwurf der
modernen französischen Geschichtsmalerei. Man hat hierfnr
ein vollständiges Klischee, mit deni auf den Konkurrenz-
Entwürfen nicht gespart worden. Blondes Haar, blonder
 
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