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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Reber, Franz von: Über Bühnenkostüme
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0154

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Über Bühnenkostüme


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Testanientes zu zühlen. Unsere ganze Vorstellnng davon
ist klassizistisch, nnd die tansendjührige Tradition, welche sie
in klassisches Gewand hüllt, anch im Bühnenkostüm nicht
abznweisen, odgleich es als ziemlich sicher gelten mag,
das; die Tracht der Bevötkernng Palüstinas in den Zeiten
vor und unmittelbar nach Christi Geburt der syrv-phöni-
kischen nüher stand als der griechisch-römischein Überdies
ist nnsere Üenntnis von dem phönikisch - palüstinischen
Kostüm geringer als man glaubt, so das; es nur drei
Wege gibt, die biblischen Personen orientalisch zn kleiden.
Der eine ist, die Gewandtypcn von Mesopotamien zu ent-
lehnen, welches in den assyrischen Relicfs allerdings
Material genug darbietet und anch sowohl durch die
Herknnft des biblischen Stammvaters Abraham wie spüter
dnrch die assyrische nnd babylonische Gcfangenschaft cinige
Anknüpfungspunkte gewührt. Einen anderen Weg bieten
die Vorbilder ügyptischer Knnst dar, zn welchem die Ge-
schichte Josephs und der Umstand, das; die Jsracliten in
Egypten aus einer Familie znm Volk erwnchsen, eyiige
Berechtignng ableiten zn lassen scheinen. Wir haben in
einem früheren Anfsatz dieser Zeitschrift über die biblische
Historienmalcrei das Falsche dieser Versuche gezeigt, ebenso
aber auch den dritten Weg als verfehlt bezeichnet, das
Bedninische als Kostümvvrbild heranzuziehen. Da aber
das moderne Judentnm hier gar nicht in Frage kommen
kann, bleibt nichts andercs übrig, als anch auf dcr Bühne
an der Traditiou festzuhalten, wclche Millionen von
Kunstwerken lüngst kanonisiert und nns vertraut gemacht
haben.
Die jnstiniancische und überhaupt byzautinische Periodc
kommt auf der Bühne im ganzen wenig in Betracht, für
die seltenen aus der byzantinischen Geschichte entnvmmeneu
Dramen würde ich indes anch ein allzngennues Studium
der mnsivischen Kostümfigiiren nicht sür nötig, und auch
für die Gesamtwirkung eines modernen Dramas nicht für
zntrüglich halten. Wichtiger ist die nordische Heroenzeit
bis zur karolingischen Periode einschiiestlich, die gegenwürtig
anf der Bühne einen ziemlich breiten Raum erobert hat.
Leidet schon der geschichtliche Roman, wie er z. B. in deu
dlhnen von Freytag vorliegt, in dieser Beziehung an einer ge-
wissen Disharnionie, indem die Gefühls- nnd Sprcchivcise dcs-
selben dvch eine etwas abweichende, modernere ist nnd sein
ninß als der studierte archäologische Apparat, so tritt
dieser Gegcusatz in der Bühnendichtung natürlich um so
stürker hervvr, indeni die volle Körperlichkeit der Dar-
stcllung der Phantasie den Ausgleich uoch erschwert. All
diese Haarschöpfe und Bürenhantkvstüme der ültesten
germanischen Zeit, >vie die Jmitation der Fundstücke aus
ver mervvingischen nnd der karolingischen Epvche erheben
sich selten über nnkleidsames und disharmonischcs Stück-
wcrk zn einer naturgemüsten Wirknng, znnial eine glanb-
hafte Verbindnng solchcn Kranis mit dessen moderncn
Trügern doch nur sclten gelingen kann. Wir würdcn
erfundene Jdealbildnngen, bei welchen nur die Antike auf-
gelockert und einigermaßen barbarisiert erschiene, nnbcdingt
vorziehen, zunial sie anch dem Grnndzuge der Kultur
jencr Zeit, welche im wesentlichen Barbarisierung der
Autike ist, entspricht.
Das eigeutliche Mittelalter der romanischen nnd
gotischcn Pcriode erscheint einigermasten zngünglicher. Minia-
tnren nnd Grabdenkmüler bieten bereits reichere Grnnd-
lagcn, nnd es fehlt insbesondere in der gotischen Zeit auch
nicht an Schönheit und malerischem Reiz des KvstümS.

Jedcr Versnch aber, die romanische Beiniimhiillnng und
rvhe Beschnhung, oder den Kettenpanzer in gröstercm Um-
fang als ctwa an den Armen nnd Beinen nnd insbesondere
anch über den Kopf gezogen auf der Bühne einzuführen,
erschiene mir kläglich und lächerlich, wie auch das kutteu-
hafte Franenkleid armselig nnd plnmp kleidet. Günstigcr
ist das gotischc Kostüm, wer aber die italienische Malerci
des Tre- nnd Quattrocento kennt, wird ivvhl schwerlich
dafür plüdicren, die Personen in der Weise cines Giotto,
Geutile da Fabriano, Pier della Francesca oder selbst
Mantegna nnd Carpaggio zn kostümieren Namentlich
nicht was Haarbchandlnng, Kopfbedecknng, Halsausschnitt
und Fustbekleidnng betrifft, da Darstellcr wie Znschaner
sich gegen die Verunstaltung strünben würdcn. Die vollc
Echtheit ist selbst in dcr modernen Malcrei mittelalterlichen
Sloffes schwer crtrüglich, nnd doch sind in dcr Malerei
die Bedingnngen wesentlich andere, wie in der Bühnen-
kostümiernng. Der Ai'aler ringt nicht in dem Grade mit
der Disharinvnie zwischen dem Träger des Kostüms und
dem Kvstüm selbst, auch lüstt er scine Gestaltcn nicht ivie
der Bühiiendichter in modcrner Sprache odcr Mnsik in
Verkehr nnd Aktion trctcn. Wenn also auch der Maler
cbcnsoweiiig die Anfgabe hat, eine praktische Vvrlesung
über Archüvlogie zu geben, so wird cr doch in Bezng auf
Echtheit viel weiter gcheu dürfen, als der Bühnenkostümier.
Jn der That ist jene romaiitische Vcrsüstlichnng nnd
Modernisiernng des mittelalterlichen Kostüms, welche uns
jctzt die Malerei der romantischen Pcrivde von Anno
Goldschmiedstöchterlein und Falkenier so widerwärtig macht,
in dcr Bühuendarstellnng keineswegs so versehlt als in
der Malerei. Jch sehe vielmehr gar keinen nnderen Weg
nm der Dichtung nnd Darstcllung wie dei» rvmantischen
Gegenstand zngleich gerecht zu werdc», iusbesonderc wenn
dcr Stoff ganz nnhistorisch und lediglich in der Phan-
tasie lokalisiert ist. Wo aber anch dcr Ort bestimmt und
die Zeit der Handlung annühcrnd gegcbcn ist, scheint mir
die Rücksicht ans die bezügliche Kostümicrung sekundür oder
nnr ganz im allgemeinen von Bclang. Jch glaube, daß
Hamlet ebensowenig veranlassen kann, anf nordisches Ko-
stüm Bedacht zn nehnien, wie Macbeth und seine tkmgcbiing
schottisch oder Rvmeo und Julia nach dcr Art Pieros della
Francesca kvstümicrt werden niüssen.
Von den Zeiten der Hochrenaissance an iverden die
Trachten der Bühne günstiger und anch zugünglicher. Wir
nähern uns mit dieser Zeit dem Enipfindeu und dcn Au-
schannngen, der HandlungSweise und dcr Sprache der
modernen Zeit. Die Kuiist der Renaissance lüßt anch hin-
sichtlich dcr Tracyt bis ins Einzelue keiiieu Zweifel, so-
wie noch zahlreich erhaltene Originalstücke allen Aufschlnst
geben. Darans ergibt sich schon nugleich mchr Gebnuden-
heit an das wirkliche Vorbild, wozu auch dcr Umstaud
beiträgt, dast die Stoffe mehr und mehr ans dem Gebiet
dcr Mythe nnd reiuen Phantasie in das der Welt- und
Kultnrgeschichte übertreten. Gleichwohl spielt auch da die
Kleidsamkeit der jeiveiligen Zeit- nnd Laudestracht eine
Rolle, dic sogar wichtiger ist, als das kultnrgeschichttiche
Ntodell. Denn wie gar kein Grniid vorliegt, allzuüngstlich
zu sein, im Ganzen wie im Einzelnen in die Renaissance
überzugreifen, wo es die Zeit der Handlung noch nicht
zu erlauben scheint, so wäre es auch ^verfebly die Zuthat
der eigenen Phautasie und des eigenen Geschmackes von
der Kostümgestaltnng der Renaissancezeit auszuschließen und
dem Streben nach tadellvser Echtheit zu opfern. Das
 
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