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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Heilbut, Emil: Studie über den Naturalismus und Max Liebermann, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0274

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2(2

^tudic übcr dcn Natiiralisiniis imd Mar Licberinaiin

Die Genreiiniier iiicilten Bilder anekdotischen Jnhalts.
Die schaulustige Welt ergätzte sich oder erschütterte sich,
je nach der Heiterkeit oder Bctrnlmis des Jnhalts, und
zeigte sich befriedigt. Und waren die Bilder anch ohne
Wahrheit, ohne Accent der Natnr, ohne cigentliches Leben,
— es that nichts, man sah doch koniischc Gesichter, eine
hübsche Legende, eine anheimelnde Erzahlnng, einen Stoff;
nnd was sehr schön war: jedermann konnte diese bildcnde
Kunst verstehen, war einem auch sonst das Verständnis
für Kunstdinge böllig verschlossen. Die diese Gcnrebilder
anfertigten, standen auf schlechtem Fnß mit der Tarstcllung
als solcher, seit ihrcr jugendlichen Lehrzeit hatten sie das
Stndieren der Natnr meist an den Nagel der Tinge
gehängt, die sie nicht mehr nötig hatten, und sie begannen
einen Kollegen wie Liebermann, der kein Gewicht auf den
erzählenden Jnhalt legte, der die Wünsche des Publikums
nach „Gegenständen" unberücksichtigt ließ und ihm keine
lachenden oder weinenden Schauspiele, sondern Malerei
bieten wollte, zu verachten, wie denn er seinerseits sich
als ihren Berufsgenossen von Anfang an nicht fühlte nnd
ganz andcre Dinge vor Augen sah.
Nicht als ob er mit seiner ersten Arbeit schon völlig
cmanzipiert gewesen wäre, es war noch immer ein sehr
gemäßigtes, nicht zwar akadcmisches, doch malklassenhaftes
Bild gewesen, nnd wir, die ein starkes Jahrzehnt später
davor stehen, wir vermögen kanm mehr zn begreifen, wie
diese Fülle des Stanbes bei den engeren Zeitgenossen anf-
wirbeln mochte über ein Gcmälde, das nns schon fast kor-
rekt dünken will.

Jn jenen Zeitläuften — man spricht wie von vor
einer Ewigkeit — stand das „groß gedachte" Geschichts-
bild als Tragödie oder Drama in der ersten Linie der
Werffchätzung, das dnrchkomponierte figurenreiche Genre-
bild als bürgerliches Schauspiel L la Jfflanff in der
zweiten Linie, danach folgte das Tierbild, die Landschaft,
das Jnterieur, das Stillleben und lasr ancl least das
Damen-Blumenstück. Daneben aber stand ein Genus für
sich: Menzel.
Menzel war nicht fürs Volk, er war für die Besseren.
Er war ein Vorangeschrittener, voll des lebhastesten
Geistes. Er wählte seine Stoffe aus allen Zonen, er
hatte keine Vorurteile, ihm stand die Historie nicht höher
als ein anderes Gebiet, er stellte Genrebilder hin, deren
Titel gleichgültig war. Und in den Kreisen der Amnteurs
sagte man: wir haben in Menzel den größten Realisten.
Sein Renomee als größter Realist, war ungeheuer, selbst
die Akademiker der strengen Observanz, für welche der
Künstler erst mit dem Maler der Historie anfängt, ver-
beugten sich und änßerten sich dahin, daß bei eineni solchen
Grade des Realismus der Realismus entschuldigt wäre.
Aber Menzel ist gar nicht der größte Realist, er ist es
nmsoweniger, als er mehr Manierist wie Realist ist. Man
wolle mich nicht mißverstehen, ich sage nicht, daß Menzels
Natnrauffassung der Wahrheit entbehrte, allein er ist kein
ruhiger Geist, er sncht in der Natur, er gräbt, hat
die Recherche des Geistreichen, dies ist seine Manier, er
hat, wenn man sich so ausdrücken dürfte, ein lebhafteres
Naturell als die Natur. Ein höherer Standpunkt, als der
seinige, ist an die Natnr heranzutreten in ihrer Einfach-
heit, welche erhaben ist, in ihrer Ruhe; der höhere Stand-

punkt nnd der schwierigere, ohne Mühe und glcichsam von
selbst und von Anfang an eingcnommen nur durch die
wclche außerhalb der Reihe stehcn, die Genies, die mit
großcn Augen in die Natur sehen.
Nach der Uberwindung desTheatralischen, der „Pose",
welche Menzel vollbrachte, nach dcr schwereren Übcrwindnng
deS Geistreichen, das besiegt werden muß — bildet das
Erklimmc» der Einfachheit die dritte Etappe, die schwerste
Stnfe. Einfachheit inuß wohl in unserer Epoche das
schwerste sein, denn was wäre komplizierter, als einfach
zu wcrden, wenn man Großstädter ist, wenn man nun
gar in eincr Stadt wie Berlin das Licht der Welt er-
blickte, allwo die Gehirne einen Tag nach der Geburt
schon aus der Kindlichkeit hinansstreben und Witze machen.
Doch war Liebermann anch aus Berlin, und ward
auch Adolf Menzel bei den Berlinern für einfach wahr
genvmnien: so lernte Liebermann doch im stillen, in Pri-
vaffammlungen, einige neue französische Bilder kennen und
empfing seine bestimmende Direktive durch sie, in denen
znerst wieder, seit Erschaffung der modernen Kunst, das
Prinzip der „nature riLturelle" an seinen Platz gekommen
war. Diese Natürlichkeit nnd Einfachheit, sie schien Ivie
eine funkelnagelneue Erfindung: die ältesten Lente erin-
nerten sich nicht, in der Kunst ihr begegnet zu sein,
dunkel empfand man für sie wie für einen Köhlerglauben
aus dem Mittelalter, versunken war sie, ohne daß man
Sehnsucht nach ihr empfand, man sprach von ihr als von
einer Sache, deren Zeit abgethan war, nachdem, in gewissen
Uranfängen der Kunst, sie zu einigen interessanten und
merkwürdigen Naivitäten der Produktion geführt hatte,
aber sie zurückrufen zn wollen, fiel niemandem bei. Das
würde vorwitzig ausgesehen haben gegen diejenigen Vor-
gänger, die sie auch nicht gehabt . . . . es wäre ein
Heidentum, eine Rohheit, eine Barbarei gewesen, man
löschte die Sonne der Kunst aus, man stieg vom Gipfel,
zerbrach die Tradition, man höhnte das Palladium, die
Schule von Rom, Herman Grimm, die Schönheit des
Urbinaten und das Leben von Michel Angelo: in den
Augen aller Ästhetiker.
Aber es ist in der Berührung mit der einfachen
reinen Natnr allein, in der Berührung mit der dkuture
vier§6, die Möglichkeit gegebcn, eine greisenhaft gewor-
dene Kunstbildung zur Auffrischung und Erneuerung hin-
znführen.
2.
Alle Entwicklnng von Kunst hat ihren Anfang, ihre
Mitte nnd ihren Verlauf; ist anfänglich naiv gewesen,
später meisterhaft geworden, uoch später, in ihrer Kunst-
fülle, erstarrt. Aber die Abschlüsse in ihrem Verlaufe
sind nicht von der Straffheit, welche in ihren Leitfäden von
unseren Theoretikern angenommen wird. Diese glauben,
daß zu eiueni gegebenen Zeitpunkt sich die in die Jahre
gekommene Kuust als eine überreife Dame, au Dekadence
krank, zn Bette legt und einschläft, und danach kämen
mit federleichten Schwingen reine Jünglinge angehüpft,
weder durch verfallene Schlösser noch durch Erinnernng
an Basalte belästigt, mit durchaus kindlicher Gemütsart
und brächten mit einem Rucke eine bis dahin uicht gese-
hene Kunst des folgenden Zeitalters auf die Beine, welche
nach diesem fest, munter und plötzlich dastände. Aber
in der Wirklichkeit geht es anders zu; die Herren,
 
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