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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Heilbut, Emil: Studie über den Naturalismus und Max Liebermann, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0292

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226

Studie über den Naturalismns und Mar Liebermann

durch ein gesegnetes Thal sich schlttngelt, tind hinten die
Ferne in blauem Dufte schwebt ... ah, es gibt nichts
Schlimmeres. Bare Unmöglichkeit für ihn . . . sieht es
nicht aus, als ob das komponiert wäre? ... ein Bild
für Eleven von Meisterschaftsateliers in Landschaftsmalerei,
als ob selbst die Natur Akademikerin gcworden wttre.
Die rhetorischen Glanzstellen der Natnr kann er nicht ver-
tragen, ihre Ausrufungszeichen kommen ihm zu gewöhnlich
vor: er entzückt sich aber an dem einfachen Stammeln
der Natur, an ihrer kindlichen Rede und ihren unpathetischen
Lauten. Das Schöne im Unscheinbaren gesehen, das Schöne
im Charakteristischen. Keine Zuthaten. Rasche Bewegungen
eingefangen, ein Sonnenstrahl, ganz intime Sachen. Wie
die Goncourts als Schriststeller von sich sagen, ihr Beruf
wäre, das Blatt von einer Rose, tells cpu'elle est, in ihr
Tintenfaß zu bannen. Ganz sineerite nnd Noblesse und
Enthaltsamkeit und ohne viel verweilende Deutlichkeit,
damit der Haufe es verstehe. Liebermann hat wunder-
hübsche Jdeen über Licht und Luft, über Grün im Freien
und Sonnenstrahlen, die durch die Zweige brechen.

Seltener in seinen Bildern, oft aber auf den Zeich-
nungen mit raschen Kreidestrichen hat er das Glück,
die völlige Frische der Natur zu bewahren, welche er
erstrebt. Wenn es ihm gelingt, ist er von origineller
Kraft, spröde zwar, doch reizend. Seine Skizzen, nament-
lich die landschaftlichen, sind ein Vergnügen. Mit Energie
ist gegriffen, worauf es ankam, ohne auf Chic zu achten
und ohne eine Eleganz der Mache, die zur Manier führt;
keine Anwandlung von Modeton ist sichtbar, keine vorge-
faßte Meinnng über eine einznhaltende Skala, nichts von
Konvention im Beharren auf der eigenen Note, die ein-
mal Beifall fand, keine unterscheidende Besonderheit, welche
stets wieder hervorgenommen wird und an der man sich
erkennen zn lassen wünscht: keine Marke für den Kttuser,
„llic est ein Liebermann".

So ist, meine ich, seine Erscheinung eine vielleicht
interessantere als die seines vorzüglichen Genossen Fritz
v. Uhde, der mehr Meisterschaft hat, reinlicher malt, besser
arbeitet; viel mehr subjektive Tiefe anfweist, Charaktere
schafft, Typen bildet, allgemeiner ist und folglich sich
abschleift — Höheres, das Höchste selbst von vornherein
vorhat und von Begriffen ausgeht, die in seiner Brust
liegen. Wie die Natur denn doch eine originalere Kraft
besitzt als die tüchtigste bewußte Arbeit des Menschen,
also ist Liebermann frischer, einschlageuder, chockierender als
Uhde. Denn er überläßt sich voraussetzungslos der
Natur, und wohin sie ihn führe, ist es ihm recht. Jhr
antwortet er all' das Seine aus, in ihr zu verschwinden ist
sein Streben, und um ja einfach zu sein — um durchaus
der Versnchung fern zu bleiben, daß er an den Vorgang,
den er wählte, subjektiv beteiligt werde, macht er aus-
schließlich Menschen, die nnter ihm stehen, in niedrigen
Hantierungen, als Stücke der Natur.
Nur einer Schwäche macht er sich schuldig, als
Schwäche angesehen von seinen eigenen Voraussetzungen
ans: er hat eine Passion für den Schmutz. Und eine
Passion bleibt eine Passion, und wenn sie sich auch auf
Häßliches richtet: es ist immer Romantik, Generntion von
1830, Trübung des Auges: ein Naturalist vom Scheitel
bis zur Sohle darf mit keiner Passion zu schaffen haben.

Diese aber gibt ihm etwas allerliebst Neckisches, es ist
mir, ich gestehe es, eine Frende, ihn so leidenschaftlich auf
das Malen des Schmutzes erpicht zu sehen, wenn es sich
um die Gesichter und Hände seiner Opfer handelt. Unsere
Zeit ist an Begeisternngsfähigkeit so arm, daß ich den
wirklich einen Glücklichen Preisen möchte, bei dem sich
die Flamme des Enthusiasmus wahrnehmen läßt, es sei
auch, für was es sei.
Liebermann zeigt auf seinen Arbeiten eine frische frohe
— enorme Häßlichkeit. Uhde hat sie nicht in dem Grade,
Liebermann ist bis zum Stupiden häßlich. Er gibt die
Hüßlichkeit, kann man sagen, mit hehrer Ernsthaftigkeit,
sacerdotal, ohne die Miene zu verziehen, ohne es doch ein
wenig komisch zu finden; mit einem Gefühl von achtungs-
voller Liebe. Er ist hart nnd hölzern im Strich, hat
blecherne Töne, setzt sie ohne Leichtigkeit und Berve hin,
knnstlos. Er scheint knnstmäßig Vollendetes als ein Ni-
hilist zu verachten. Er ist mit allem ein Charakter aus
unserer Zeit: sehr merkwürdig wie er sich ttußert, recht
eine problematische Natur. Jnteressanter durch das, was
ihn bewegt, als durch das, was er eigentlich. kann. Er
darf darnm nicht allein nach seinem Geleisteten beurteilt
werden, es bleibt ein Überschuß für das Lesen und Denlen
zwischen den Zeilen. Er ist anregend, von modernstem
Gepräge. Nicht in dem Grade Künstler als eben Anreger:
er hat mehr Frische wie Talent. — Jm Grunde bleibt
er ein auf das Geistreiche angelegter Kopf, der auf die
große Einfachheit hinarbeitet, weil er sie als das
bessere Teil erkannte. Möchte dnrch die Jllnstration dieses
Aufsatzes belegt werden, wie er mit der Einführung fertig
geworden ist und bis zu welch' hohem Grade der Prozeß
gelang.
6.
Jch greife von den Zeichnungen eine heraus. Sie
zeigt einen Kartoffelacker, darauf schwer gearbeitet wird.
Mann und Weib kauern und beugen sich, entreißen dem
Boden Kartoffeln, füllen sie in Säcke. hinterwärts
werden sie auf einen Karren geladen, dessen Gttule der
Last harrend, die Köpfe senken, alles atmet den Schweiß
der Arbeit: über der Armut aber und der drückend
schweren Erdarbeit geht in einer Gloriole die Morgen-
sonne anf und überstrahlt mit ihrem roten Glanze das
Feld der Mühsal.
Für jedcn, dem Millet bekannt ist, ist dies Geist von
Millets Geiste, völlig ist es sein Gedankengang, dem
Liebermann sich angeschlossen, Bastien-Lepage, der herrliche,
strebte auch auf diesen Bahnen, nngefähr Zeitgenosse von
Liebermann. Liebermann ist keiner, der von selbst groß
wurde. Seine für die deutsche Kunst geschichtliche Bedeu-
tung ist, daß er von der Kleinlichkeit und dem Philisterium
des deutschen Genres den Blick zu den Sachlichkeiten der
Natnr erhob. Er streifte den Berolinismus ab und suchte,
mit Spürsinn für neue Wege begabt, nach der Wirkung
des Ruhigen.
Vielleicht brachte Lektüre ihn zuerst in dieses Streben:
wie denn häufig die Großstädter durchs Lesen erst der
Natur inne zu werden pflegen. Er hat keine spontane
Naturliebe, Liebermann. Jch finde wenig Natürlich-länd-
liches an ihm, wenig Dentsches . . . ich finde fremde^Be-
einflußnngen, jüdische, slavische, französische^ Züge. Als
Jude mochte er Anregungen des Auslandes zugänglicher
sein. Vielleicht klang ihm aus den Novellen Turgenjews
 
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