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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 2.1886-1887

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Was mir grad so einfiel
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https://doi.org/10.11588/diglit.9417#0378

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2YS

Was mir grad so einfiel. von ks. L. von Berlepjch

den Schatten aufgesucht hätte. Das Haus war oder
ist bemalt, drum hatte ich auch einen guten Grund, mir
alles gründlich anzuschaueu, die gemalten, Galerien mit
ihreu luftigeu Jlrchivolten, die zierlichen Balustradeu, über
welche reichfarbige Teppiche herunterhängen, dcn Marcus
Curtius, wie er sein Pferd anspornt zum Sprunge in deu
Abgrund und den braven klassischen Romer, der zur Er-
härtung seines Zeugnisses die Hand iu's offcne Feuer hielt,
und dessen Nanie mir momentan um alles in der Welt
uicht einfallen will; (ein Lehrbuch der römischeu Ge-
schichte oder gar ein Konversations - Lexikon gibt's hier
oben nämlich nicht, ans dem ich die Lücke meines
Wissens schnell ergänzen könnte). Und iu den gemalten
Galerien der Fassade gehen schöue Signoreu uud Douneu
in reicher Renaissancetracht spazieren — aber sie mußten
alle verblassen vor dem einen Stück lebendigen Lebens,
das aus einem wirklichen Fenster hcraussah, und das ich
nachher lange Zeit sündhafter Weise in jedem Madouneu-
vild erblickte, wenn ich vor einem Altar mich befand, oder
in einer Marmorfigur, wenu ich einer solchen gegenüber-
stand. Ja, schließlich sah ich es sogar in einem Sphinxkopf
im Garten des Palazzo Giusti zu Verona, und da schauten
mich die Augen nimnier au, sie starrten mich an und er-
zählten mir ein lang Geschick „von freudlos öden Tagen
und Plagen" — sie starrten mich an, wie wenn sie von
mir Hülfe vcrlangten, und ich konnte nicht helfen! Mir
war's förmlich unheimlich zwischen den dustenden Citronen-
büscheu uud blüheuden, stark wohlriechenden Stauden, aus
denen das bleiche Gesicht mit den großen dunkcln Augeu
hervorsah und mich mit seinem Blick bannte, bis ich endlich
laut aufschrie und das erlösende Wort zn sagen versprach,
wenn ich es fände. Da verzog sich das ernste Sphinxeu-
gesicht zu einem Lächeln, aber es war bitter und schmerz-
lich nud die Lippen sagten mir's, es war das alte, alte
Wort, das niminer ausstirbt, nud wenn huuderttausend
Millionen Priester und andere, die es scheinbar nichts vcrstehen,
dagegen eifern nnd geifern — ach! ihr wißt'S ja, und ich
brauch's nicht zu sagen. Dann war Sie wieder die alte
marmorne Sphinx wie früher und ein Gartenbeamter trat
herzu und sagte in laugweiligem Tou, aber höflich
zu mir: Nicht wahr, Sie berühren die Sphinx nicht mit
dem Stocke. Ob er mir's verboten hätte, sie mit den
Lippen zu bcrühren, der brave Hüter der marmornen uud
doch lebeudigeu Sphinx, ich weiß es nicht!
Als ich dann später nach Trient zurückkehrte,
ging ich wieder am gleichen Haus vorbei und schaute
wiederum hinauf zu den Malereien der Fassade und zu
dem Fenster mit den Nelken — aber die schöne Frau sah
ich nimmer, denn sie war seit gestern tot, sagte mir der
redselige Barbier vis-ä-vis; sapete Ligaor, era unn 61
cguslle ircalattie 6i cor elli I'tm nirnnarrü (wißt Jhr
Herr, es war eine von den bösen Herzenskrankheiten, die
ihr den Tod gab), versicherte er mit glaubwürdiger
Miene und legte dabei die seifenschaumbespritzte Hand in
die Gegend seines Herzens, nicht ohne eine gewisse Grazie.
Und als er sein Geschäft an mir vollzogen hatte, und ich
ihn fragte, ob er denn zuweilen auf der Guitar-re, die an
einem verblichenen rosafarbenen Bande an der Wand
hing, spiele, da machte er ein paar wirklich betrübte
Augen und sagte: Oh, Signor, ich'wur auch einmal
unglücklich verliebt — ina quel nmore irou mi ba am-
marato, aber beinah', setzte er schnell hinzu, und ich bin
deshalb cslibatero geblieben, denn die ich liebte, war

eine junge schöne Frau mit einem stupickissimo von
Mann, der sonst recht gute Herzens- und Charakter-
eigenschaften hatte. Er war eben der rechtmäßige gesetz-
liche Besitzer und dagegen konnte ich nichts machen; die
Guitarre da hat sie mir einmal verehrt mitsamt dem
Bande d'ran; ich mußt' ihr venezianische Lieder singen,
die ich von meiner Lehrzeit her auswendig wußte, und
eines Tages nahm sie mich um den Hals und küßte mich
— nlr cguei bacci, 8i§uor! — und sagte mir: Oiovnrmiiro
(Hänschen), ich liebe Dich, mehr als den Himmel mit
allen seinen Seligkeiten —; ja das waren Zeiten,
Signor, schöner hat si« Adamo sicher nicht im Paradies
verlebt mit seiner Eva. Aber dann kam ihr Gatte
und sagte zu ihr in trockenem Tone: Du darfst keinen
anderen lieb haben außer mir, Betta, und nahm sie am
Arm und giug mit ihr fort. Was hat's ihm schließ-
lich geuützt, daß er ihr verbot, mich lieb zu haben?
Signor, im Herbst drans kanien Truppen auf dem Durch-
zuge in die Stadt und unter ihnen war ein lluo§oteueuts,
ein schöner Mensch, ich versichere ench. Er war drübeu
bei ihrem Gatten einguartiert und blieb drei Tage lang
da. Dann zog er mit dem Regiment wieder davon und
ein paar Tage spätcr verschwand die schöne Betta. Sie
war ihm nachgereist. Jhr Mann war wohl gauz untröst-
lich, im Anfang; aber was wollte er? Nach ein paar
Wochen kam ein Brief an ihn, worin ihm seine Betta
ankündigte, daß sie nimmer wiederkehren werde, und weun
er ihr alles nehme, denn sie wisse jetzt erst, was Liebe
sei und ihr blondcr Guglielmo heirate sie in acht Tagen!
So, da habt Jhr's! Jch sang zuerst ein Miserere und
daun, als ich in Gottes Namen wieder Seifenschaum
schlug, das andere, was Jhr auch kennt: lla 6ouun e
urobile! Nachher habe ich die Guitarre nie mehr
berührt, sie tönt blos manchmal so, wenn der Wind vom
Hof hinten her durch die Stube hiustreicht, uud danu mein'
ich, Betta's Stinime zu hören und das macht mich wenig-
stens ein bischen glücklich in der Erinuerung. Signor,
Jhr seid jung uud ich geb' Euch deu Rat, haltet Eure
Augcn in gnter Acht, daß sie sich nicht verirren und
immer wieder irgendwo hinschauen, wo eigentlich nur der
rechtmäßige packrous hiuschauen darf!"
Jch gab dem biedern pmrruccbisre die Hand —
was er mir gesagt hatte, war mir zn Herzen gegangen,
grad weil's so ganz einsach und ungekünstelt herauskam.
Und als er mir seinen Namen, Mucio. sagte, da fiel
mir auch der Römer cin, auf dessen Nameu ich mich zudor
nicht besann: Mucius Scaevola.
Das Bild hinter den Nelken bin ich seitdem iiimmer
losgeworden. Es Verfolgt mich Tag und Nacht und macht
mein Herzblut kochen oder wie Heine sagt: Jch hatte
wieder die ganze Brust voll Blumen und diese sproßten
hervor und wuchsen mir gewaltig über den Kopf. Wohl
sah auch ich in selbiger Stadt noch gar manch ein schwarz-
äugig Frauenantlitz — aber keine, keine glich ineiner
schönen, toten Unbekaunten, die mir so ties ins Herz
gewachseu war.
Jm Dom, dcm herrlichen romanischen Bauwerk, mit
seinen großen Sänlenhallen, die so kühl sind, wenn's
draußen auf dem großen Platz flimmert von lauter
Sonnenstrahlen, bekam ich leider die Hauptsache nicht
zu Gesicht, weil eine durchgehende Restauration vorge-
nommen und vor allem dic Knppel ausgebaut wurde.
So trieb's niich denn dem alten Kastell zu; man uiuß
 
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